Süddeutsche Zeitung

Muslimische Schüler:Experten vermissen kulturelle Sensibilität bei Lehrern

Schüler mit Migrationshintergrund sind in Deutschland immer noch benachteiligt. Schuld daran ist auch die mangelnde interkulturelle Kompetenz der Lehrer, kritisieren nun Bildungsforscher. Sie fordern von den Pädagogen, gerade Kindern mit muslimischem Hintergrund mehr Orientierung zu geben - durch klare Ansagen.

Der Dortmunder Pädagogikprofessor Ahmet Toprak wirft den Lehrkräften in Deutschland mangelnde interkulturelle Kompetenz vor. "Sie wissen nach wie vor sehr wenig über Migration. Es fehlt an Kultursensibilität", sagte Toprak bei der Vorstellung der Studie "Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland" am Dienstag in Berlin.

In den unterschiedlichen Erziehungsstilen der Eltern muslimischer Kinder und Jugendlicher einerseits und der Lehrkräfte andererseits sieht der Experte große Probleme. "In konservativen muslimischen Elternhäusern werden Werte wie Loyalität und Ehrenhaftigkeit vermittelt", sagte Toprak. In den Schulen werde der Schwerpunkt hingegen auf den Individualismus gesetzt. Für die Kinder und Jugendlichen sei das ein "schwieriger Spagat".

Bei den Eltern von muslimischen Schülern herrsche zudem eine "tiefe Verunsicherung", weil sie sich im deutschen Schul- und Ausbildungssystem zu wenig auskennen würden. "Wenn sie nicht in die Schule kommen, heißt das nicht, dass sie faul oder uninteressiert sind", sagte Toprak. Um die Eltern einzubinden, brauche es niedrigschwellige Angebote, zum Beispiel eine direkte telefonische Einladung zum Elternabend.

Der Bochumer Arbeitswissenschaftler Aladin El-Mafaalani, Co-Autor der Studie, pflichtete seinem Kollegen bei: In den Heimatländern vieler Migrantenfamilien gebe es "ein ganz anderes Verständnis von Schule". Die Familien seien es gewohnt, dass die Erziehungskompetenz während des Unterrichts an die Lehrer übergehe, erklärte El-Mafaalani. Damit überschätzten sie die Funktion der Schule in Deutschland und empfänden in der Folge Lehrer häufig als imkompetent.

Um Problemen mit Schülern aus muslimischen Familien entgegenzuwirken, sollten die Lehrer nach Ansicht der Experten auf den "konfrontativen Ansatz" setzen, empfehlen die Experten, die ihre Studie im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt hatten. "Man muss den Schülern die Regeln erklären und ihnen sagen, was sie erwartet, wenn sie sich falsch verhalten", sagte Toprak. "Wir brauchen eine Erziehung, die mehr Orientierung gibt."

Wichtige Rolle der Eltern

Auch das Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen Wohfahrtsverband hatte die strukturelle Diskriminierung von ausländischen Jugendlichen im deutschen Bildungssystem scharf kritisiert. Zwar habe sich die Bildungssituation von Ausländern insgesamt leicht verbessert, doch sei die Kluft zwischen ausländischen und deutschen Jugendlichen noch immer eklatant, wie aktuelle Zahlen des statistischen Bundesamtes belegen, teilte der Zusammenschluss von etwa hundert Migrantenorganisationen aus Anlass der Interkulturellen Woche mit.

"Während jeder dritte deutsche Schüler das Abitur macht, ist es von den ausländischen Jugendlichen gerade einmal jeder zehnte", so Tshikudi Londji, Sprecher des Forums. Diese Kluft sei Ausdruck jahrzehntelanger bildungspolitischer Versäumnisse. Die drastische Ausgrenzung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund in den Schulen setze sich zudem an den Hochschulen und auf dem Arbeitsmarkt verschärft fort.

Zur Lösung der Probleme fordert das Forum durchgreifende Strukturreformen, eine durchgängige Sprachförderung und die systematische Stärkung der Elternarbeit. "Politik, Schulen und Eltern sind gemeinsam gefordert, sich vor Ort für mehr Bildungsgerechtigkeit zu engagieren", teilte Londji mit. Wichtig sei insbesondere, dass endlich die Erfahrungen der Migrantinnen und Migranten selbst stärker berücksichtigt werden. Für den individuellen Bildungserfolg sei die Beteiligung der Eltern wesentlich.

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