Multitasking:Alles auf einmal - und zwar sofort

Telefonieren und nebenher eine E-Mail schreiben? Das bringt weniger, als wir uns erhoffen. Eine Studie zeigt: Multitasking wirkt sich bei vielen Beschäftigten negativ auf ihre Leistung aus.

Petra Meyer

Alles schön der Reihe nach." Klingt ziemlich altmodisch, dieser Spruch. Schließlich gaukeln technische Neuheiten vor, der Mensch könnte viele Dinge gleichzeitig tun und dabei auch noch effektiv sein: telefonieren, lesen, schreiben, surfen. Auch außerhalb der IT-Welt hält sich hartnäckig der Mythos, wer Multitasking beherrsche, sei cool, irgendwie intelligenter als die anderen. Doch das Klischee der vielseitig und simultan Begabten ist trügerisch.

Multitasking Büro

Sie hängen sich rein und sind erfolgreich - trotzdem fühlen sich viele weiblichen Führungskräfte von ihren männlichen Kollegen nicht ernst genommen.

(Foto: iStock)

Zwar können Menschen problemlos gleichzeitig sprechen und sehen. Wir schaffen es auch, zur selben Zeit Musik zu hören und zu joggen. Dabei handelt es sich, so die Neurowissenschaftler, um einfache, automatisierte Vorgänge. Und die erfordern keine aktive Hirnleistung. Sollen wir indes komplexe Aufgaben annähernd simultan erledigen, funktioniert unser Gehirn nicht immer reibungslos.

Was genau im Kopf beim Multitasking passiert, wissen die Forscher noch nicht. Klar ist aber: Menschen sind nur bedingt fähig, Aufgaben gleichzeitig auszuführen. Das zumindest besagt eine neue Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Sie nimmt unter die Lupe, wie sich Multitasking einerseits und Arbeitsunterbrechungen andererseits auf Berufstätige auswirken. Denn bei beiden müssen Beschäftigte schnell ihre Aufgabe und Aufmerksamkeit wechseln. Befragt wurden etwa 20.000 Beschäftigte.

Das Hin und Her am Arbeitsplatz ist längst keine Seltenheit mehr, im Gegenteil. Von "häufigen Unterbrechungen" berichtet die Mehrheit der Büroangestellten. Belgische und französische Studien haben ergeben, dass eine Krankenschwester durchschnittlich 40 Mal pro Schicht ihre Aufgabe unterbricht. Deutsche Untersuchungen zeigen, dass Klinikärzte in bis zu 20 Prozent ihrer Arbeitszeit zwei oder mehrere Arbeiten gleichzeitig ausführen. Und bei Lehrern wurden drei bis 15 Störungen pro Unterrichtsstunde beobachtet.

Doch was heißt das nun? Zweierlei, so die BAuA-Studie. Wer eine einfache, monotone Aufgabe ausführt, freut sich möglicherweise über eine Störung. Denn sie bringt Abwechselung und sorgt für eine neue Herausforderung. In diesem Fall kann die Unterbrechung sogar leistungssteigernd wirken.

Ganz anders wirken hingegen Störungen bei komplexen Aufgaben. Wie nervig die Unterbrechung jeweils empfunden wird, hängt davon ab, wie oft sie passiert. Und wie viel Zeit die Bearbeitung der neuen Aufgabe frisst oder zu welchem Zeitpunkt die Störung einsetzt: Wer gerade mitten in einem komplizierten Zahlenwerk steckt, braucht natürlich eine gewisse Zeit, um sich hinterher wieder einzudenken. In der Studie heißt es daher: "Unterbrechungen und Multitasking können als Stressoren angesehen werden", welche die Stimmung trüben, zu Irritation führen und die Gesundheit beeinträchtigen.

Höhere Belastung für Ältere

Hier horchen die Arbeitsmediziner deshalb auf, weil die psychischen Erkrankungen deutscher Arbeitnehmer weiterhin ungebremst auf dem Vormarsch sind. Schließlich liegen die seelischen Störungen bei den Krankheitsursachen auf dem vierten Platz, wie eine Studie der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ergab, für die Daten von 9,7 Millionen erwerbstätigen Mitgliedern ausgewertet wurden. Psychischer Stress ist demnach mit durchschnittlich 23 Tagen für die längsten Fehlzeiten aller Krankheiten verantwortlich. Hinzu kommt, dass seelische Probleme schon heute die häufigste Ursache für Frühverrentung sind und somit einen immensen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten.

Jüngere und ältere Beschäftigte erleben Störungen gleichermaßen als psychische Belastung, so die BAuA-Studie. Das ständige Umdenken löst negative Gefühle und Frustration aus, denn wer von einer Aufgabe zur nächsten springt, verliert Zeit. Viele kompensieren dies mit schnellerer Arbeit und erhöhen damit oft auch ihre Fehlerquote. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechnet sich das nicht. So fand die New Yorker Beratungsfirma Basex vor einiger Zeit heraus, dass durch Unterbrechungen und Multitasking jedes Jahr ungefähr 28 Milliarden Arbeitsstunden verloren gehen. Für die amerikanische Wirtschaft bedeutet das einen Verlust von etwa 588 Milliarden Dollar jährlich.

Für die deutsche Wirtschaft spielt zunehmend die Demographie eine wichtige Rolle. Da die Bevölkerung immer älter wird, untersucht die BAuA-Studie auch, wie ältere Arbeitnehmer auf Multitasking und Störungen reagieren. Bekannt ist, dass es mit zunehmendem Alter zu Veränderungen im Gehirn kommt: Die kognitive Verarbeitungsfähigkeit, die Arbeitsgedächtnisleistung und die Fähigkeit zum schnellen Aufgabenwechsel nehmen ab. Gleichwohl ist das Fazit der Studie, dass ältere Beschäftigte, die komplexe Tätigkeiten ausführen, dieses Defizit ausgleichen können: mit ihrer langjährigen Berufserfahrung und einfachen Hilfsmitteln wie Notizen.

"Diese wissenschaftliche Erkenntnis gilt es in die betriebliche Praxis zu transportieren, um vorherrschenden Defizitmodellen des Alters und gesellschaftlichen Vorurteilen entgegenzuwirken", fordern die Autoren der Studie. Schließlich wird die Zahl der 55- bis 64-Jährigen bis zum Jahr 2020 um etwa 40 Prozent zunehmen im Vergleich zu 2007. Das zumindest besagen die Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg. Bis zum Jahr 2050 soll sogar jede dritte Person um die 60 Jahre alt sein.

Die Autoren weisen jedoch auch darauf hin, dass ältere Beschäftigte, die unter Zeitdruck einfache Aufgaben zu erledigen haben, durchaus ins Hintertreffen geraten. Denn in diesen Fällen hilft ihnen ihre Erfahrung nicht. Der altersgerechten Arbeitsgestaltung kommt der Studie zufolge daher künftig ein "herausragender Stellenwert" zu.

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