Süddeutsche Zeitung

Multikulti im Büro:Im Team mit Kollegen aus 36 Nationen

Ein Frankfurter Computerspiele-Hersteller beschäftigt Spezialisten aus insgesamt 36 Ländern. Klar, dass es da ab und an Verständigungsprobleme gibt - zum Beispiel, wenn zu Smalltalk neigende Amerikaner auf sehr direkte Russen treffen.

Juliane von Wedemeyer

Erdem Serhats Deutschland ist international. Seit 2006 lebt er hier, aber die deutsche Sprache benutzt der junge Türke in seinem Alltag fast nie. Erdem Serhat spricht Englisch. Zu Hause, in seiner WG, in der er mit seinem Kollegen Adam Johnson, einem Australier, lebt. Und bei der Arbeit. Serhat entwickelt für das Frankfurter Unternehmen Crytek Computerspiele und Graphik-Software. Er sorgt dafür, dass Landschaften und Architektur möglichst real aussehen.

Das deutsche IT-Unternehmen ist eine Ausnahme. Reiner Pogarell, Gründer des Instituts für Betriebslinguistik in Paderborn, schätzt, dass Englisch in kaum mehr als 500 deutschen Unternehmen gesprochen wird. Vor zehn Jahren waren es noch mehr. Damals begann eine Art Englisch-Hype. Egal ob Energieversorger, Autohersteller oder Supermarktkette - im Zuge der Globalisierung wollten viele Manager ihre Firmen bis in die kleinste Abteilung internationalisieren, erklärt Pogarell. "IT-Abteilungsleiter wurden zu CIOs und Kundenbetreuer zum Costumers Care Center - und keiner weiß so genau, was diese Wörter eigentlich bedeuten." Die Verkehrssprache sei aber meist Deutsch geblieben. Wozu sollten auch deutsche Kollegen englisch miteinander reden?

Bei Crytek sieht das anders aus. Gegründet hat die Firma 1999 Faruk Yerli gemeinsam mit seinen beiden Brüdern. In den Anfangszeiten hatten die drei Deutschtürken zehn Mitarbeiter, heute haben sie 600 an sechs Standorten in ganz Europa. Im letzten Jahr haben sie mehr als drei Millionen ihrer Spiele und Graphikprogramme weltweit verkauft.

In Frankfurt sitzen 300 Mitarbeiter in einer riesigen Bürohaus-Etage, in der sich Computerarbeitsplätze aneinanderreihen. Das Licht ist auch jetzt, um zehn Uhr morgens, schon gedämpft. Vor den Computern sitzen fast nur Männer, viele haben Kopfhörer aufgesetzt. Es ist sehr still. Nur das Klacken der Tastaturen ist zu hören. An den Wänden hängen Bilder von Waffen und muskelbepackten Kämpfern neben undurchschaubaren Zeichnungen und Organigrammen: Skizzenpläne für die verschiedenen Computerspiel-Ebenen. Und dann immer wieder Nationalflaggen. Schwedische, russische, kanadische. Erdem Serhats Kollegen stammen aus 36 Ländern, aus den USA, aus Korea, China, Portugal oder Brasilien zum Beispiel. Im Gemeinschaftsraum stellt sich gerade ein neuer Mitarbeiter seinem Team vor: "Hi, I'm from Denmark."

Für die Yerli-Brüder war da schnell klar, welche Sprache in ihrem Unternehmen gesprochen werden sollte: Die wenigsten ihrer Mitarbeiter haben in der Schule Deutsch, die meisten aber Englisch gelernt. Außerdem ist Englisch ohnehin die Sprache der Computerwelt. Faruk Yerli denkt mittlerweile sogar in Englisch. Deutsch oder türkisch spricht der 41-Jährige oft erst nach Feierabend mit seiner Familie und den Freunden.

Dabei hat er Englisch auch nur in der Schule gelernt. "Mein Englisch ist nicht perfekt", sagt Yerli. "Aber man darf keine Hemmungen haben, dann ist es nicht so kompliziert." Sein Tipp: Auf keinen Fall solle man die Sätze im Kopf erst in der Heimatsprache bilden und dann übersetzen. "Man muss einfach drauflosreden. Wenn man ein Wort nicht weiß, einfach umschreiben."

In den Einstellungsgesprächen wechselt seine Personalmanagerin Andrea Hartenfeller öfter vom Deutschen ins Englische, um die Bewerber zu testen. Aber so streng ist sie dann doch nicht. "Englisch ist zwar Einstellungsvoraussetzung bei uns, aber wenn ein genialer Informatiker es nicht fließend spricht, ist das auch kein Ausschlusskriterium", sagt sie. Für solche Fälle bietet Crytek Englischkurse an.

Auch Dmitry Sheiko hat einen besucht, denn in seiner Heimat hatte der Weißrusse selten Gelegenheit, sein Schulenglisch zu trainieren. Aus den ehemaligen Sowjetrepubliken stammen die meisten ausländischen Crytek-Mitarbeiter. "Dort finden wir unsere besten Mathematiker", erklärt Faruk Yerli. Und Crytek braucht sehr gute Mathematiker für die Entwicklung seiner Software. Der 37 Jahre alte Sheiko ist mit seiner Frau vor drei Jahren nach Frankfurt gezogen. Mittlerweile erwarten sie ihr erstes Kind.

Crytek ist auf seine ausländischen Mitarbeiter angewiesen. Seine Branche sei klein, nur 10.000 Computerspiel-Spezialisten gebe es weltweit, erklärt Yerli. Und die wenigsten von ihnen wohnen in Deutschland. Es sei denn, Crytek kann sie für sich gewinnen.

Darum ist das Unternehmen auch bemüht, seinen Mitarbeitern die Entscheidung, nach Deutschland zu ziehen, so leicht wie möglich zu machen. Crytek übernimmt die Behördengänge, beauftragt Immobilienmakler mit der Wohnungssuche, organisiert Kindergartenplätze und kümmert sich sogar darum, welche Impfungen die Haustiere brauchen, damit sie mit nach Deutschland ziehen dürfen.

Ab und zu prallen die verschiedenen Kulturen aber schon aufeinander, erzählt Personalerin Hartenfeller. Dann gibt es Verständigungsprobleme. Die hätten aber nichts mit der Sprache zu tun: Die Asiaten beispielsweise seien sehr feste Hierarchien gewöhnt, die Europäer nicht. Die einen mögen darum lieber ganz genaue Anweisungen, den anderen reiche eine ungefähre Zielvorgabe. "Lustig ist es manchmal auch, wenn Russen und Amerikaner aufeinandertreffen", sagt sie. Die Amerikaner neigten zu Smalltalk, die Russen seien sehr direkt und antworteten auf eine charmant gestellte amerikanische Anfrage schon mal mit einem schlichten "No".

Was aber gar nicht unfreundlich gemeint sei, erklärt Sheiko. Man sei in seiner Heimat eben einfach nicht so höflich. An den Bushaltestellen in Minsk etwa werde wie verrückt gedrängelt und geschubst. Ihn selbst habe die kurze Zeit in Deutschland schon viel höflicher gemacht. Bei seinem letzten Heimaturlaub habe er fünf Busse verpasst, "nur weil ich nicht schubsen wollte".

Gegen Mittag wird es im Crytekstudio plötzlich unruhig. Kleine Gruppen brechen auf, zu den Imbissbuden unten auf der Straße. Manchmal bringen die Kollegen aber auch Spezialitäten aus der Heimat mit. Neulich gab es Reiscracker aus Korea und kanadischen Kuchen. "Der war sehr lecker", sagt Serhat. Von seinen deutschen Kollegen hat sich Erdem Serhat eine Dönerbude empfehlen lassen, aber der Döner schmeckt hier trotzdem anders: "In Deutschland isst man ihn mit Soße, in der Türkei nicht", sagt er.

Serhat beherrscht auch die deutsche Sprache, er hat sie während seines Masterstudiums in Bayern gelernt. Und sein australischer Mitbewohner Johnson und der Weißrusse Dmitry Sheiko haben sich in Frankfurt bereits für Deutschkurse angemeldet. Die bietet Crytek nämlich auch an - sechsmal pro Woche kommt eine Lehrerin in das Unternehmen.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2011/tina
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