Modernes Arbeitsleben:Langweiler von Beruf

Modernes Arbeitsleben: Die Büros dieser Welt werden zunehmend von Simulanten bevölkert, die Beschäftigung vortäuschen. (Im Bild sind Modellfiguren abgebildet.)

Die Büros dieser Welt werden zunehmend von Simulanten bevölkert, die Beschäftigung vortäuschen. (Im Bild sind Modellfiguren abgebildet.)

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Wer im Job chronisch unterbeschäftigt ist, schadet seiner Firma - und sich selbst. Doch wie kommt man in diese Situation? Und warum ist es so schwer, sich daraus zu befreien?

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Kein anderer Simulant der modernen Arbeitswelt, nicht der Schleimer, nicht der Kompetenz-Imitator, fristet ein so klägliches Dasein wie der Beschäftigungsvortäuscher. Gut getarnt verbringt er die Tage damit, bis zum Feierabend Tätigkeiten zu simulieren, während er in Wahrheit doch vor allem eins tut: sich langweilen.

Für Firmen stellen solche Mitarbeiter eine Gefahr dar: Eine Forschungsgruppe von Montclair State University und University of South Florida fand unter den chronisch Unterbeschäftigten eine höhere Wahrscheinlichkeit für kontraproduktives Arbeitsverhalten. Stärker als ausgelastete Mitarbeiter beteiligen sie sich demnach an Mobbing, Selbstisolation, Diebstahl oder Sabotage.

Dabei ist Langeweile in der Arbeit, und das ist die traurige Wahrheit, eher Regel als Ausnahme: In der jährlichen Gallup-Umfrage zur Mitarbeitermotivation in Deutschland gaben zuletzt 68 Prozent der Beschäftigten an, lediglich Dienst nach Vorschrift zu machen. 16 Prozent hatten bereits innerlich gekündigt.

Effizienz wird bestraft

Nun ist Dienst nach Vorschrift nicht gleich Nichtstun. Manchmal reichen die Aufgaben in einer Position schlicht nicht aus, eine 40-Stunden-Woche auszufüllen. Effizienz wird in diesem Fall nicht belohnt, sondern bestraft. Denn was würde wohl passieren, wenn nun ein wackerer Simulant vortreten und gestehen würde "Ich habe zu wenig zu tun!"?

Der Wirtschaftswissenschaftler Roland Paulsen beschreibt in seinem Buch "Empty Work" das Schicksal eines solch tapferen Wesens: Ein schwedischer Bankangestellter langweilt sich zu Tode, weil sein Vollzeit-Job aus einer Tätigkeit besteht, für die er jeden Tag nur 15 Minuten benötigt. Als er es satt hat, den Rest seiner Zeit zu verschwenden, wendet er sich an einen Vorgesetzten. Das Resultat: Der Mann behält zwar seinen Job, aber leider auch die Aufgabe. Gekürzt auf eine Halbtagsstelle. In vielen anderen Ländern wäre er wahrscheinlich entlassen worden.

Früher galt der Gelangweilte schlicht als Faulenzer mit bösen Absichten. Sicher, hinter manchem Computerbildschirm döst ein Nichtstuer aus Passion, doch als Problem erhält das "Bore-out" ("Wie Burn-out, nur nicht so interessant", spottete der Guardian) seit einigen Jahren eine angemessene Würdigung.

"Erst gehst du ins Internet, und dann schließt du dich in ein leeres Büro ein und weinst"

Selbst als jüngst ein Franzose seinen Arbeitgeber wegen permanenter Unterforderung auf 385 000 Euro Schadenersatz verklagte, offenbarte der Fall neben Größenwahn die typische Tragik des Gelangweilten: "Ich hatte einige Materialien zu kaufen, ein bisschen Papier, und dann war mein Tag vorbei", klagte der Mann Medienberichten zufolge. "Erst gehst du ins Internet, und dann schließt du dich in ein leeres Büro ein und weinst."

Nicht nur dieser Extremfall wirft die Frage auf, wie Menschen in solche Situationen kommen. Häufig, so fand Paulsen in seiner Befragung von 40 unproduktiven Mitarbeitern heraus, seien interessante Aufgaben einfach von Vorgesetzten an Kollegen delegiert worden. Könnte es sein, fragt er deshalb, dass die wachsende Ungleichheit in der Arbeitswelt nicht nur finanziell stärker wird, sondern sich auch zwischen anregenden und langweiligen Jobs zeigt? Eine Frage, über die all jene nur müde lächeln können, die vor lauter Stress und Überstunden für Langeweile im Job schlicht keine Zeit haben.

Gegenwart trifft auf Ideal

Was die Ödnis des Nichtstuns zusätzlich belastet, ist der Anspruch, nicht einfach nur einen Job zu machen, sondern in der Arbeit Erfüllung zu finden. "Wir erwarten von einem Beruf nicht nur Aufstiegsmöglichkeiten und Einkommen, sondern auch Sinn, Freude und Daseinsberechtigung", schreibt die Atlantic-Autorin Ellen Ruppel Shell. Untersuchungen zeigen, dass die berufliche Midlife-Krise häufig so um die 40 beginnt und vor allem damit zusammenhängt, dass wir unsere (triste) Gegenwart mit dem (nostalgisch gefärbten) Wunschbild unseres Berufs vergleichen, das wir in unseren Zwanzigern hatten. Neben dem Faulpelz-Stigma bedeutet Nichtstun in der Arbeit auch eine ständige Konfrontation mit dem Ideal einer erfüllenden Arbeit, das mit dem Selbstverwirklichungs-Hype einhergeht.

Dabei, so legt eine Studie der Duke University in North Carolina nahe, sind wir es selbst, die häufig lieber einfache als erfüllende Aufgaben wählen. Die Forscher setzten eine Gruppe von Probanden in ein Klassenzimmer und erklärten, ihnen für fünf Minuten Stillsitzen 2,50 Dollar zu zahlen. Als Alternative boten sie an, ein Puzzle zu lösen. Wenn die Puzzelei gleichzeitig besser bezahlt wurde, entschieden sich 82 Prozent der Testpersonen dafür. Bei gleicher Bezahlung schrumpfte der Puzzlespieler-Anteil auf 36 Prozent - obwohl die Spieler danach deutlich zufriedener waren. Kurz: Wenn wir die Wahl zwischen einem langweiligen und einem interessanten Job haben, entscheiden wir uns bei gleicher Bezahlung für den langweiligen.

Die Ansprüche ans Arbeitsleben sind geringer als gedacht

Je länger wir in dieser Situation verharren, desto geringer die Motivation, zu kündigen. Gerade in Deutschland wächst mit der Dauer der Firmenzugehörigkeit die Sicherheit des Jobs, zugleich aber auch die Verantwortung für Familie oder die eigene Altersvorsorge. Und weiterhin bevorzugt der Arbeitsmarkt Erfahrung nur so lange, bis sie zu teuer wird oder die typische Altersdiskriminierung von Personalabteilungen einsetzt. Und wer garantiert, dass es in einer anderen Firma besser ist? Was also tun? Am Ende kommt es darauf an, wie sehr sich der Einzelne damit abfinden kann, regelmäßig nach einem unproduktiven Tag schlecht gelaunt nach Hause zu kommen - Langeweile macht schließlich schlechte Laune.

Wenn 68 Prozent der Deutschen Dienst nach Vorschrift machen, einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge jedoch 67 Prozent mit ihrer Arbeitsstelle zufrieden sind, deutet das darauf hin, dass unsere Ansprüche an ein erfüllendes (oder ausgefülltes) Arbeitsleben ohnehin geringer als gedacht sind. 65 Prozent der Deutschen würden sogar dann weiter arbeiten, wenn sie einen hohen Geldbetrag gewinnen würden. Ein Teil davon ahnt womöglich, sich ohne Arbeit vollends zu langweilen.

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