Wenn ein anderer Schulleiter ihr mal wieder stolz berichtet, dass er in naher Zukunft Tablet-Klassen an seiner Schule einrichten will, dann sagt Tina Veigel fröhlich "Oh, das ist ja schön." Man will ja nicht unhöflich sein. Die Schulleiterin der Steinhöfelschule mit Sitz in Mainz und Heidesheim behält dann lieber für sich, dass es an ihrer privaten Wirtschaftsschule schon vor der Jahrtausendwende Rechner und Beamer gab. "Im Jahr 1998 hatten wir bereits alle Klassenzimmer mit diesen Instrumenten ausgestattet", berichtet die 48-Jährige. Die Steinhöfelschule ist eine der Schulen Deutschlands, von denen sich andere in Sachen Medienkompetenz einiges abgucken können. "Zwischen 2015 und 2017 haben wir in allen Räumen digitale Tafeln angebracht. Sie sehen aus wie riesige Handy-Displays", findet Veigel. "Es ist gut für das visuelle Gedächtnis der Schüler, dass man mit diesen interaktiven Bildschirmen Tafelbilder speichern und wieder abrufen kann." Die circa 350 Schüler, die an der staatlich anerkannten Ersatzschule unterrichtet werden, sind 15 bis 22 Jahre alt. Man kann hier die mittlere Reife und die Fachhochschulreife erwerben sowie das Abitur machen.
Regelschulen müssen besonders viele Vorschriften beachten. Das erschwert Innovationen
Für eine berufsbildende Schule, die zugleich Wirtschaftsgymnasium ist, bietet es sich an, moderne Medien praxisnah einzusetzen. So gehört es zur Ausbildung im kaufmännischen Zweig, sich mit der Funktionsweise eines Webshops zu befassen. Veigel nennt einen weiteren Grund, der dafür spricht, digitale Medien fest im Unterricht zu verankern. "Privatschulen brauchen ein besonderes Profil", sagt die Schulleiterin, die Datenverarbeitung und Projektmanagement unterrichtet. Ihr ist wichtig, dass die Lehrer der Steinhöfelschule regelmäßig an Fortbildungen zum Thema Multimedia im Unterricht teilnehmen. Auf ihren festangestellten IT-Administrator wolle sie nicht verzichten. Sie kenne "viele Schulen, in denen die Lehrer mal nebenbei IT-Projekte betreuen". Das hält Veigel für falsch, da jene oft nicht über die notwendige Expertise verfügten.
"Unser Verband fordert, dass schon in der Lehrerausbildung an der Universität didaktisches Fachwissen für den Unterricht mit modernen Technologien vermittelt werden muss", sagt Klaus Vogt, Vorstand des Verbands deutscher Privatschulverbände (VDP) in Berlin. Zudem müssten angehende Lehrer erlernen, wie sie ihren Schülern Medienkompetenz vermitteln. "Hierzu gehören die Themen Geschicklichkeit beim Bedienen der Geräte ebenso wie Ethik und Etikette", betont Vogt.
Die Pädagogen der Steinhöfelschule achten auf die drei von Vogt genannten Aspekte. Ethik meint in diesem Kontext etwa, wie man in sozialen Medien kommuniziert und dabei den Respekt gegenüber anderen wahrt. Ein weiteres Beispiel: "Wir machen den Schülern klar, dass sie ein Foto aus dem Internet nicht für einen Flyer verwenden können, ohne nach dem Urheberrecht zu fragen." Auch das Thema Etikette hat verschiedene Facetten. "Viele Jugendliche, die zu uns kommen, wissen nicht, dass man eine E-Mail anders formuliert als eine Whatsapp", sagt die Schulleiterin. "Sie müssen es erst lernen." Aber auch das versteht Veigel unter Etikette: "Wenn der Lehrer den Raum betritt, sind die Laptops zugeklappt." Ihre Handys müssen die Schüler vor der Stunde ausschalten und in dafür vorgesehene Taschen an der Wand stecken. "Das sieht ein bisschen aus wie ein Adventskalender", erklärt Veigel. Eine raffinierte Idee: Die Mobiltelefone bleiben in Sichtweite, das wirkt beruhigend.
Damit moderne digitale Konzepte funktionieren, müssen alle an einem Strang ziehen - Lehrer, Schüler, Eltern, Träger. Veigel ist Schulleiterin und Trägerin in Personalunion, das vereinfacht so manches. Allerdings haben Privatschulen ihrer Ansicht nach ohnehin "durch die Selbstverwaltung einen Riesen-Vorteil". Die öffentlichen Schulen täten sich hingegen bei der Einführung moderner Lerntechniken schwerer, "denn sie müssen bestimmte Vorschriften einhalten und mehr mit den Behörden sprechen als wir. Und es fehlt ihnen an Personal, das sich um diese Themen kümmert."
Schüler der Steinhöfelschule können auch die Kunst des Programmierens erlernen. Dafür gilt: Früh übt sich. An der Freien Schule Anne-Sophie (FSAS) der Stiftung Würth in Berlin-Zehlendorf machen bereits Sechsjährige hierbei erste Gehversuche: Sie entwickeln zum Beispiel Marschrouten für Bee-Bots. Das sind Lernroboter, die aussehen wie Bienen-Comicfiguren. Die Grundschüler einer anderen Lerngruppe tragen Kopfhörer und machen Sprach- und Rechenübungen am Tablet: "Fünf kann man nicht halbieren", sagt eine metallisch klingende Stimme zu einem der Kinder. "Welche Zahl kann man halbieren?" Mit dem virtuellen Lehrmeister werden die Schüler, die an der FSAS "Lernpartner" genannt werden, freilich nicht allein gelassen. Sie können ihre "Lernbegleiter" um Hilfe bitten. So nennen sich die Lehrer an dieser internationalen bilingualen Privatschule. Die circa 340 Schüler stammen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Ländern wie Polen, Russland, Israel, China oder Kroatien. Sie werden in deutscher und englischer Sprache unterrichtet - fast alle der circa 40 Lehrer sind Englisch-Muttersprachler. Absolventen sollen sich fließend und gewandt auf Englisch ausdrücken können, das ist ein Hauptziel von Sabine Marsch, 38, Leiterin der staatlich anerkannten Grundschule sowie des staatlich anerkannten Gymnasiums.
Ein weiteres, ihr nicht minder wichtiges Anliegen formuliert die Schulleiterin so: "Sie sollen kompetent und verantwortungsbewusst in Studium und Beruf mit digitalen Medien umgehen können." Schüler der Sekundarstufe arbeiten an der FSAS mit der digitalen Lernplattform Its-Learning - per Computer, Tablet und Smartphone können sie Termine einsehen und auf Lehrmaterialien zugreifen. "Auch Eltern und Lehrer kommunizieren über die Lernplattform miteinander ", berichtet die Schulleiterin, die in Biologie-Didaktik promoviert hat. "Auf der Plattform gibt es auch ein virtuelles Lehrerzimmer, das nur den Pädagogen zur Verfügung steht." Außerdem setzt die Schule spezielle Apps ein. "Mit ihrer Hilfe kann man Aufgaben zusammenstellen, die dem individuellen Wissensstand eines Schülers entsprechen", erklärt Marsch. Diese Apps verfügen über eine Kontrollfunktion, mit der die Schüler erkennen, ob ihnen das Bearbeiten einer Aufgabe gut gelungen ist oder nicht. Siebt- bis Zehntklässler erhalten eigene iPads, Elft- und Zwölftklässler Laptops. So war es bisher. Doch vom kommenden Schuljahr an, das in Berlin am 20. August beginnt, werden bereits Fünftklässler eigene iPads bekommen.
Mit den digitalen Werkzeugen wandeln sich auch das Interieur und die Didaktik der Schulen. An der FSAS findet der Unterricht in der Sekundarstufe in sogenannten Input-Räumen statt: Die Schüler versammeln sich um Theken in der Form eines lang gezogenen Ovals, an denen sie einander gegenüberstehen oder -sitzen. "Der Lehrer steht an der Theke, zwischen den Schülern. Frontalunterricht ist bei uns nicht üblich", sagt Michael Hog. Er ist Leiter der Sekundarstufe und hat in Philosophie promoviert. Ein wesentlicher Bestandteil des didaktischen Konzepts ist eigenverantwortliches Lernen. "Für die Schüler gibt es Lernzeiten, die keinem Fach zugeordnet sind. Sie können dann selbst entscheiden, mit welchen Aufgaben und Medien sie sich beschäftigen", erläutert Schulleiterin Marsch. Während der Zeiten der Selbstbestimmung trifft man viele Schüler der Sekundarstufe in einem der beiden Lernateliers an. Dort lernen sie an Sitzpulten oder Stehtischen, in Gruppen oder allein. Sie können sich auch in Rückzugsinseln mit gepolsterten Lehnstühlen einnisten. Die Ateliers sind großzügig verglast und bieten Ausblicke auf das Wohnviertel Zehlendorf mit seinen zahlreichen Grünflächen. In den Lernateliers sitzen Jugendliche, die auf Bildschirme blicken, neben solchen, die in Büchern lesen. "Wir sind keine papierlose Schule", bemerkt Hog.
Beim Programmieren bleiben die Schüler natürlich nicht im Stadium der Routenplanung für Bienen-Roboter stecken. Im Grundkurs "Digitale Welten" üben sie unter anderem, Apps zu programmieren. Den Grundkurs leitet Physiklehrer Brian Swarthout. Doch wo steckt der Pädagoge? Er müsste schon anhand seiner Kleidung - hellblaue Crocs und ein gelb-rot-braun-gemustertes Hemd - leicht auffindbar sein. Swarthout hockt irgendwo im Raum auf dem Boden, weil er gerade Schülern dabei hilft, ihren Lego-Mindstorms-Roboter zu programmieren. Die Schüler sollen in dem Grundkurs solche Roboter bauen und bestimmte Parameter einstellen. "Man kann den Roboter so konstruieren, dass er einen Ball greift und in eine Box legt", erklärt Elftklässlerin Antonia Röttgen. Leistungen aus diesem Kurs könne sie ins Abitur einbringen, ergänzt die 19-Jährige, die nächstes Jahr Abi machen möchte. "Wir beschäftigen uns auch mit 3-D-Druck, CSS und Web-Page-Design", sagt Swarthout. Röttgen mag den Kurs auch deshalb, weil er ihr in puncto Berufswahl hilft. "Man bekommt viele Möglichkeiten gezeigt, was man mit Medien machen kann. Lego Mindstorms liegt mir eher nicht so", gesteht sie. "Aber ich habe entdeckt, dass mir das Website-Gestalten Spaß macht."
Mithilfe von Fördermitteln wenigstens einen Teil der Möglichkeiten zu realisieren, über die die FSAS und die Steinhöfelschule längst verfügen - das erhofft sich so mancher Schulleiter. Im Rahmen des neuen Digitalpakts der Bundesregierung sollen während dieser Legislaturperiode 3,5 Milliarden Euro in die digitale Ausstattung von Schulen fließen, 1,5 Milliarden in der nächsten. Bereits 2016 hatte die damalige Bildungsministerin Johanna Wanka einen Digitalpakt im gleichen finanziellen Umfang angekündigt, er wurde jedoch nicht umgesetzt. "Der Digitalpakt ist dringend erforderlich, auch als Signal, dass es der Politik ernst ist mit ihren Versprechen, die digitale Bildung in Schulen, aber auch in der beruflichen Ausbildung, voranzubringen", betont Klaus Vogt vom VDP. "Es gibt einen geeigneten Entwurf einer Bund-Länder-Vereinbarung für die Umsetzung des Digitalpakts. Die Finanzmittel sind bereitgestellt. Somit sind wir optimistisch, dass er Anfang 2019 realisiert werden kann."
Die Initiative an sich finde sie "gut", sagt Schulleiterin Veigel. "Doch der Papiertiger könnte beim Digitalpakt zu groß werden", so ihr Einwand. "Wer wird die Konzepte der Bewerber prüfen? Und wer wird die Maßnahmen in die Praxis umsetzen?", fragt sie sich. Sie sieht die Gefahr, dass Schulen ein buntes Bündel von Technologien einplanen, weil man sie als chic betrachtet. Veigel rät jeder Schule, die sich bewerben will, ein Konzept zu erarbeiten, das ihren Schülern dann auch wirklich nützt.