Süddeutsche Zeitung

Mobile Learning:Kleine Bissen Wissen

PC, Smartphone und Tablet bringen für die Erwachsenenbildung, für das Studium, aber auch für Alltagsthemen eine nie da gewesene Flexibilität.

Von Verena Wolff

Jacqueline Henning hat sich schon vor Jahren eines vorgenommen: Sie will Schwedisch lernen. Und zwar so gut, dass sie sich in Schweden mit den dortigen Freunden in deren Muttersprache unterhalten kann. "Ich bin immer an der Zeit gescheitert", sagt die promovierte Neurophysiologin über die ersten Versuche, mit CDs und anderen Lernhilfen, für die es viel Ausdauer bedurfte.

Und dann entdeckte Henning Babbel. Internetbasiert, nutzbar auf dem heimischen Rechner, auf dem Tablet und über das Smartphone. Sie lernte in längeren Sitzungen und mit kleinen Vokabelhäppchen. In Partnerschaften mit Muttersprachlern und mit vielen hilfreichen Werkzeugen. "Jetzt bin ich so weit, dass ich mit der Sprache etwas anfangen kann", sagt sie. Auf etwa 2500 Worte schätzt sie ihren Sprachschatz derzeit, ungefähr 8000 hat man, wenn man eine Sprache fließend spricht. "Ich kann Bücher auf Schwedisch lesen, und vor allem kann ich mit den Menschen reden", sagt sie.

E-Learning, das digitale Lernen, ist ein Trendthema - und es ist ein weites Feld. "Die Branche verzeichnet seit Jahren kontinuierliches Wachstum", sagt Juliane Petrich, Referentin für Bildungspolitik beim Branchenverband Bitkom. Das lebensbegleitende Lernen sei in Zukunft ohne Computer oder Smartphone kaum vorstellbar. "Der Umgang mit digitalen Medien ist zu einer Schlüsselkompetenz geworden", betont sie. Unternehmen nutzen diese Form der Erwachsenenbildung immer häufiger, auch im privaten Bereich ist das digitale Lernen nicht mehr wegzudenken.

Die Grenzen verschwinden dabei zunehmend. "Jeder guckt im Büro etwas Privates nach - und bereitet sich in seiner Freizeit auf Termine im Job vor", sagt Professor Peter Henning von der Hochschule Karlsruhe. Ingenieure entwickeln Software, über die sie technische Daten zur Verfügung stellen, "dafür musste man früher dicke Handbücher wälzen." Andere drehen Videoclips darüber, wie man ein Inhaltsverzeichnis in einem Dokument generiert oder die Batterie im Smartphone austauscht. "Freie Bildungsmedien, sogenannte Open Educational Resources, dienen vielen Menschen zur Hilfestellung und Information", sagt Henning. Wer bei Youtube danach sucht, wie eine Waschmaschine zu reparieren ist, kann aus einer Vielzahl von Ergebnissen wählen. "Vielfach ersetzt dieses Wissen bereits den von außen hinzugezogenen Experten", sagt Henning.

Statistiken in diesem Bereich sind rar gesät. Bei den Anbietern allerdings liegen Sprachangebote, Management-Themen wie Zeitmanagement und Softwareschulungen vorn, berichtet Sünne Eichler. Sie ist Beraterin für Bildungsmanagement und leitet zusammen mit Professor Henning die Learntec, eine internationale Fachmesse für das Lernen mit Informationstechnologie, die alljährlich in Karlsruhe stattfindet. Weder den Inhalten noch den Lernformen sind dabei Grenzen gesetzt. "Man kann sich mit Hilfe des Internets das Gitarrespielen beibringen, anschauen, wie man ein perfektes Soufflé hinkriegt oder Business-Englisch pauken", sagt Petrich vom Verband Bitkom.

Weiterbildung soll Spaß machen - nach diesem Prinzip funktionieren "Serious Games"

Immer weiter auf dem Vormarsch ist dabei das sogenannte Mobile Learning, das Lernen unterwegs also. Der große Vorteil: "Man ist räumlich und zeitlich unabhängig", sagt Eichler. Und man kann sich kleine "Bildungsnuggets" auf dem Weg zur Arbeit in der S-Bahn oder in der Mittagspause zu Gemüte führen. Diese Entwicklung ist durch Smartphones und Tablets in den vergangenen Jahren erst möglich geworden. Von wo aus man auf die Inhalte zugreift, hänge davon ab, was man lernen wolle. "Vokabeln kann man prima mit Smartphone oder Tablet lernen, andere Trainings eignen sich sicher eher für zu Hause am Rechner." Immer häufiger, so beobachtet sie, erfolgt das Lernen "on demand", "also in dem Moment, in dem ich es benötige und nicht 'auf Vorrat"'.

Wer sich tiefer in ein Thema einarbeiten will, kann unter einer ganzen Reihe von Möglichkeiten wählen: Fernunis und Akademien bieten ihre Inhalte ebenso online an wie einzelne Institute an Hochschulen. "Einen besonderen Schub hat hier das Angebot von MOOCs gebracht", sagt Eichler. Diese Massive Open Online Courses vermitteln Inhalte in Form von Videosequenzen, Skripten und anderen Lernmaterialien. Teilnehmer können sich dann in Foren und sozialen Netzwerken austauschen.

"Diese MOOCs werden häufig kostenfrei angeboten", sagt Henning von der Hochschule Karlsruhe. Zahlen muss nur, wer eine Prüfung ablegen oder ein Zertifikat bekommen möchte. Auf Portalen wie Iversity, HPI, Open Course World, Coursera oder edX kann man sich einen Überblick über das Angebot verschaffen.

Eine andere Variante sind die "Serious Games". Das sind Spiele, bei denen es nicht ums Ballern oder ums Steinchensortieren geht, sondern die einen Lerninhalt vermitteln, zum Beispiel eine Sprache oder Wissen über Krankheiten. "Zur Information über Gesundheitsfragen dienen zunehmend die frei verfügbaren Inhalte entsprechender Webseiten", erläutert Henning. Auch wenn es dabei noch viel Unqualifiziertes gebe, sei der Beitrag immens, den diese Informationen zur Gesundheitsvorsorge leisten könnten. "Die EU-Kommission schätzt den ,Wert' auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr und hat eigens zur Steigerung der 'Digital Health Literacy' einen Forschungsaufruf gestartet." Die genannte Zahl bezieht sich auf den Wert der Firmen und ihrer Dienstleistungen.

Es geht also um das Lernen einzelner Fähigkeiten und um die Erweiterung der Allgemeinbildung. Schwierig ist es noch, sich im Dickicht des riesigen Angebotes genau das Richtige für den eigenen Bedarf herauszusuchen. Denn die Formel: "Ist gut, weil es viel Geld kostet" funktioniert in dem Gemenge von Start-up-Unternehmen und Firmen mit langer Geschichte nur noch selten. "Wir sind in einer Wachstumsphase, da schwimmt eine gewisse Menge Schrott mit, das geht nicht anders", sagt Henning. Doch es sind eben auch viele Perlen dabei. Auszeichnungen, die von verschiedenen Verbänden und Initiativen vergeben werden, können Orientierung bieten.

Wer nun Sorge hat, dass jeder zum "Nerd" wird und zum Lernen ausschließlich allein vor dem Computer hockt, liegt allerdings falsch. "Es hängt vom Szenario und dem Thema ab", sagt Sünne Eichler. "Doch generell kann man sagen, dass das Lernen sich stärker hin zu kollaborativem Lernen entwickelt." Die Interaktion zwischen Lerner und Lerner sowie zwischen Trainer und Lerner trage stark zur Motivation eines Bildungswilligen bei und damit zum Erreichen seiner Lernziele. "Auch die Qualität des Contents ist entscheidend: Je interaktiver und je vielseitiger mit Übungen aufbereitet, desto höher der ,Spaßfaktor' und desto besser das Ergebnis."

Auch Jacqueline Henning verlässt sich beim Schwedisch-Lernen nicht nur auf die Technik, die bei der Spracherkennung, Vokabeln und Redewendungen hilft. "Ich habe eine Tandem-Partnerschaft mit einer Schwedin, die Deutsch lernt", erzählt Henning. Beide schreiben sich Briefe per E-Mail in der jeweils neuen Sprache, der Muttersprachler korrigiert dann die Fehler. "Man hilft sich gegenseitig."

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SZ vom 14.04.2016
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