Süddeutsche Zeitung

Bonusleistungen von Gewerkschaften:Mitarbeiter erster Klasse

Extra-Urlaub und "Erholungsbeihilfe": Die Gewerkschaften handeln Bonusleistungen für ihre Mitglieder aus.

Joachim Göres

Sollen Gewerkschaftsmitglieder in Tarifverträgen bessergestellt werden als unorganisierte Arbeitnehmer? Für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) ist der Fall klar: ja. Verdi-Sprecher Jan Jurczyk schätzt, dass seine Organisation bundesweit jährlich etwa ein Dutzend neuer Verträge mit Arbeitgebern vereinbart, die Sonderregelungen für Gewerkschafter enthalten.

Der größte Abschluss dieser Art wurde laut Jurczyk vor zwei Jahren mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Nordrhein-Westfalen für circa 30.000 Beschäftigte in Seniorenzentren, Kindergärten und Beratungsstellen ausgehandelt. Verdi-Mitglieder bekamen einmalig 100 Euro extra, außerdem haben sie zwei Tage mehr Urlaub als Nicht-Mitglieder.

"Wir halten grundsätzlich von solchen Klauseln nicht viel, weil sie Arbeitnehmer erster und zweiter Klasse schaffen und zu Unruhe in den Betrieben führen. Wir haben uns als Arbeitgeber aber darauf eingelassen, um einen Streik zu verhindern", sagt AWO-Sprecher Jörg Richard. "Es hat Spannungen gegeben, aber die wurden teilweise vom Arbeitgeber gezielt geschürt", entgegnet Detlev Beyer-Peters, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats bei der AWO Westliches Westfalen. "Die Diskussion ist meist beendet, wenn wir fragen: Warum trittst du nicht bei Verdi ein, dann hast du auch mehr freie Tage", so Beyer-Peters.

Nach seinen Worten drängen die VerdiMitglieder für die nächste Tarifrunde auf zusätzliche Sonderregelungen. "Das können mehr freie Tage sein, mehr Geld oder eine Altersteilzeitregelung, die die AWO abgeschafft hat. Wer in der Gewerkschaft ist, der zahlt regelmäßig Beiträge, setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen ein und nimmt nicht selten Nachteile in Kauf. Insofern ist es nur zu berechtigt, wenn dieses Engagement, von dem alle Beschäftigten profitieren, belohnt wird", meint Beyer-Peters. Und räumt ein, dass es mit anderen Gewerkschaften zu Verstimmungen kommen kann: "Bei der AWO arbeiten auch einige Pädagogen, die Mitglied bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind. Die kriegen nicht mehr und sind deswegen stinkig."

Auch beim AWO Bezirksverband Weser-Ems wurde 2006 ein Tarifvertrag für die 3000 Beschäftigten im Raum Delmenhorst-Emden-Osnabrück mit einer sogenannten Differenzierungsklausel vereinbart. Wegen finanzieller Schwierigkeiten des Arbeitgebers hatte Verdi darin einem Verzicht auf das Weihnachtsgeld zugestimmt und im Gegenzug für seine Mitglieder eine Ausgleichszahlung von jährlich 535 Euro ausgehandelt.

Gero Kettler, Geschäftsführer des AWO-Arbeitgeberverbandes, will solche Vereinbarungen nicht zur Regel werden lassen: "Durch solche Regelungen fühlen sich nichtorganisierte Angestellte herabgestuft und werfen dies dem Arbeitgeber und nicht der Gewerkschaft vor."

Eine Mitarbeiterin, die nicht Verdi angehörte und dennoch die 535 Euro haben wollte, ging bis vors Bundesarbeitsgericht (BAG) - und wurde abgewiesen. Differenzierungsklauseln bei einem Sanierungstarifvertrag sind zulässig, urteilte das BAG. Nachdem der Tarifvertrag inzwischen ausgelaufen ist, werden die 535 Euro extra nicht mehr gezahlt. In der nächsten Tarifverhandlung will Verdi bei der AWO Weser-Ems neue Sonderregelungen für ihre Mitglieder durchsetzen und sieht sich dabei in ihrer Verhandlungsposition gestärkt. "2006 lag der Anteil der Verdi-Mitglieder unter den AWOBeschäftigten noch unter 30 Prozent, jetzt beträgt er gut 40 Prozent - nicht zuletzt wegen der Bonuszahlungen", sagt Kerstin Bakker, Verdi-Gewerkschaftssekretärin in Emden.

AWO-Sonderregelungen gibt es auch in Hessen, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein. Bei der Stadtverwaltung Leipzig gilt für Verdi-Mitglieder ein verlängerter Kündigungsschutz. Für die Gewerkschaftler unter den 5800 Beschäftigten der Damp Holding, die in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg Kliniken betreibt, wurde vor kurzem vereinbart, dass sie wie bisher das volle Weihnachtsgeld beziehen - alle anderen Angestellten bekommen zum Jahresende 550 Euro weniger.

Auch die IG Metall versucht bessere Bedingungen für ihre Mitglieder durchzusetzen, zumindest dann, wenn die Existenz eines Betriebes bedroht ist und Beschäftigte deswegen auf Leistungen verzichten sollen. Ansonsten spielt das Thema Bonusleistungen bei der IG Metall keine große Rolle. "Gewerkschaftsmitglieder sind ja sowieso bessergestellt. Das zeigt sich oft erst bei Konflikten vor Gericht, wenn der Arbeitgeber Mitarbeitern zum Beispiel nur den gesetzlichen Urlaub zugestehen will. Wer nicht in der Gewerkschaft ist, hat auf einen im Tarifvertrag vereinbarten längeren Urlaub keinen Anspruch", sagt IG Metall-Sprecher Jörg Köther.

Die IG Bergbau, Chemie, Energie hat gerade einen bundesweiten Tarifvertrag ausgehandelt, der eine Bevorzugung von jungen Mitgliedern vorsieht. Danach zahlen 1900 Betriebe in einen Fonds 25 Millionen Euro ein, der notleidende Firmen der Branche finanziell mit bis zu 12.000 Euro jährlich pro Auszubildenden unterstützt - eine Regelung, die nur dann gilt, wenn Gewerkschaftmitglieder nach der Ausbildung fest eingestellt werden. "Wir sehen solche Vereinbarungen mit Sympathie, doch wir warten zunächst die Rechtsprechung ab", sagt Jörg Herpich, Sprecher der IG Bauen-Agrar-Umwelt.

Das BAG wird voraussichtlich 2011 entscheiden, ob grundsätzlich in Tarifverträgen Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder festgeschrieben werden dürfen. Es muss prüfen, ob die Vereinbarung zwischen Verdi und der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) rechtmäßig ist, wonach Verdi-Mitglieder jedes Jahr eine sogenannte Erholungsbeihilfe in Höhe von 260 Euro erhalten. Auf Druck der Hansestadt Hamburg, die Eigentümer der HHLA ist, hatte der Arbeitgeber gegen die von ihm unterschriebene Vereinbarung geklagt.

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SZ vom 22.5.2010
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