Mint-Internate:Eine Extraportion Mathe

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Helle Köpfchen können sich für ein Plus-Mint-Stipendium bewerben. In diesen Fächern lernen sie in Spezialklassen, ansonsten gemeinsam mit den anderen Internatsschülern.

(Foto: imago/Westend61)

Im Rahmen der Bildungsinitiative Mint-Plus werden junge Leute mit großer Begabung für Naturwissenschaften und Technik gefördert. So will man den Fachkräftemangel an der Wurzel packen.

Von Christine Demmer

Roland Gersch war schon als Grundschüler ein Fan naturwissenschaftlicher Phänomene. Später studierte er tatsächlich Physik und gründete mithilfe von Siemens ein Unternehmen in Pullach. Damit erforscht Gersch heute Geschäftsmodelle in der intelligenten Batteriesteuerung. Früh übt sich, wer am Technologiestandort Deutschland Karriere machen möchte. Die Wirtschaft sucht weniger Absolventen, die etwas mit Medien oder Kultur machen, sondern händeringend mehr Technikbegeisterte.

Auch in ihrer Freizeit machen die Internatsschüler Experimente, etwa auf einem Forschungsschiff

Denn die im Kürzel Mint zusammengefassten Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik stehen für Wachstum. Nur nicht an den Hochschulen. Dort hält sich seit 2011/12 der Anteil der Studienanfänger in den Mint-Fächern unter allen Erstsemestern stabil bei etwa 38 Prozent. Doch auch die Zahl der Studienabbrecher bleibt gleichmäßig hoch. Nach Ansicht von Bildungsexperten braucht die Motivation zum schwierigen Studium einen Unterbau aus pädagogisch geweckter Neigung. Dieser wird seit diesem Herbst nicht nur an Schulen, sondern auch in drei deutschen Landschulheimen gezimmert. Die Internate Louisenlund in Schleswig-Holstein, Sankt Afra in Sachsen und Birklehof in Baden-Württemberg haben sich der Bildungsinitiative Plus-Mint angeschlossen und fördern junge Talente in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik von der neunten bis zur zwölften Klasse. Mitbegründer der Initiative ist der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf. Dort leitet Lars Funk den Bereich Beruf und Gesellschaft. Als Vater eines 14-jährigen Sohnes weiß er: "Spaß an Mathematik und Technik bildet sich in frühen Jahren." Mit von der Partie sind die Siemens-Stiftung, der TÜV Süd sowie das in Kiel ansässige Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) als wissenschaftliche Partner.

Doch nur dem Internat Louisenlund nahe Rendsburg-Eckernförde ist es gelungen, zu Schuljahresbeginn eine komplette Mint-Klasse mit 16 Schülerinnen und Schülern voll zu bekommen. Unter ihnen ist der 13 Jahre alte Björn Lucas aus Hamburg, dem, wie er sagt, "vier Wochenstunden Mathe in der Schule nicht genug sind". Außerdem möchte er mit Kindern in eine Klasse gehen, die ähnliche Interessen haben wie er. Das hört man oft von hochbegabten Kindern und Jugendlichen. An solche richtet sich auch die Internatsschule Sankt Afra in Meißen, zu deren Aufnahmebedingungen ein Intelligenzquotient von mindestens 130 gehört. Sie hat noch keine eigene Mint-Klasse, aber immerhin zwei junge Mint-Stipendiaten. Sie nehmen am normalen Unterricht teil und bekommen darüber hinaus noch eine Extraportion Mathe und Naturwissenschaften. Der Birklehof in Hinterzarten im Schwarzwald wird das Trio im Schuljahr 2017/18 vervollständigen.

Detlef Kulessa von der Wiesbadener Internatsberatung Töchter und Söhne findet das lobenswert. Neben diesen dreien legten freilich auch andere Internate großen Wert auf die Mint-Fächer, merkt der Pädagoge an. Die Eleven der Internatsschule Schloss Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise nehmen seit Jahren an der Mathematik-Olympiade teil. Einige haben es sogar auf die vordersten Plätze geschafft, aber alle Klassenkameraden profitieren von Smartboards statt Tafel, von Computern und Beamern im Klassenzimmer. "Die Eltern fragen danach", sagt Kulessa, "damit ihre Kinder von der bestmöglichen Startposition aus ins Leben gehen". Mit den ständigen Hinweisen auf den drohenden Fachkräftemangel sei das Interesse der Väter und Mütter an einer naturwissenschaftlichen Förderung ihrer Kinder noch weiter gestiegen und als Folge die Nachfrage nach Internaten, in denen mehr Mathe, Physik, Chemie und Biologie als anderswo unterrichtet wird. "Damit haben sich die Schulen natürlich auch die Selbstverpflichtung auferlegt, viel Geld in Labors, Computer und IT-Ausstattung zu investieren", sagt Kulessa. Auch Wolfgang Tumulka aus München, der ebenfalls Eltern bei der Auswahl eines passenden Internats berät, sieht den Vorteil auf der Seite der Kinder und Jugendlichen: "Wir sind eine Industrienation, und die braucht später gute Ingenieure, Mathematiker und Physiker. Die besondere Förderung ist daher nur zu begrüßen." Und warum erst jetzt? "Das hat früher niemand auf dem Plan gehabt. Erst Rösner hat die Industrie hinter sich gebracht", antwortet Tumulka.

Er spricht von Peter Rösner, dem Schulleiter von Louisenlund. Die vom Verein zur Mint-Talentförderung ins Leben gerufene Initiative unter seinem Vorsitz stieß tatsächlich auf offene Ohren - allerdings vor allem bei den Internaten. Die deutschen Landschulheime stehen in einem harten internationalen Wettbewerb und suchen dringend nach neuen Zielgruppen. "Die Idee für das Plus-Mint-Internatsstipendium ist so einfach wie überzeugend", sagt Rösner, ein gelernter Physiker. "Wir haben in Deutschland 54 Nachwuchs-Leistungszentren für den Fußball. Unser Ziel ist es, in jedem Bundesland wenigstens ein Nachwuchs-Leistungszentrum für die Top-Talente im Mint-Bereich zu haben." Wer gut sei in Mathe und Physik, sollte ebenso konsequent gefördert werden wie die Nachwuchskicker, findet Rösner. Als ideale Schüler vor Augen hat er junge Menschen, die schon einmal erfolgreich an Wettbewerben wie "Jugend forscht" oder an der Mathematik-Olympiade teilgenommen haben. Zumindest sollten sie erstklassige Noten in Mathe und Naturwissenschaften und eine Empfehlung ihrer Schule vorweisen können. Anhand der schriftlichen Bewerbung sowie ihrer Leistungen und ihrer Selbstdarstellung in einem Assessment Center werden die künftigen Mint-Schüler einmal im Jahr ausgewählt. Für den Unterricht und die Internatsunterbringung müssen die Eltern nichts bezahlen. Die Internate sammeln hierfür Stipendien ein.

Plus-Mint endet mit dem Abitur. Die von Louisenlund, Sankt Afra und bald auch vom Birklehof ausgewählten Schüler erhalten mehr Unterricht in Mathematik, Informatik und in den Naturwissenschaften als ihre Jahrgangskollegen. In den anderen Schulfächern lernen alle zusammen. Der Vorteil des Internats: Auch in der Freizeit ist viel Raum vorgesehen für Experimente und spielerisches Entdecken von technischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Louisenlund ist stolz auf ein eigenes Forschungsschiff, auf dem meeresbiologische Versuche angestellt werden können. Die Schüler in Sankt Afra können bereits in der Oberstufe Universitätskurse besuchen und Credit Points sammeln. Und man darf gespannt sein, was sich der für seine Schulausflüge in die Berge bekannte Birklehof einfallen lässt.

Informationen: www.louisenlund.de, www.sankt-afra.de, www.birklehof.de sowie grundsätzlich zur Bildungsinitiative: www.plus-mint.de

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