Migranten in Deutschland:Starthilfe für die Elite von morgen

Gegen Vorurteile und ablehnende Lehrer: Die Hertie-Stiftung ermutigt Kinder von Zuwanderern, sich im deutschen Bildungssystem durchzusetzen.

Roland Preuß

Dass Indira Masic heute Politik und Jura studiert, hat mit dem Foto neben der Küchentüre zu tun. Es zeigt ihren Großvater Munib, der von einem Schwarz-Weiß-Porträt ins Wohnzimmer blickt. Anfang der neunziger Jahre, als in Bosnien der Bürgerkrieg tobte, ist er ermordet worden. Die Täter hat man nie gefunden. Es war eine große Ungerechtigkeit, das spürte auch seine Enkelin Indira, obwohl sie damals erst ein Kind war. "Gerechtigkeit interessiert mich, ich wollte immer Jura studieren", sagt die Studentin.

Migranten in Deutschland: Mit Hilfe der Hertie-Stiftung schaffen es viele Migrantenkinder zum Universitätsabschluss.

Mit Hilfe der Hertie-Stiftung schaffen es viele Migrantenkinder zum Universitätsabschluss.

(Foto: Foto: dpa)

Indira Masic, ihre Mutter und ihre zwei Geschwister machten sich rechtzeitig davon aus ihrem Ort in der Nähe der bosnischen Stadt Bihac. 1992 kamen sie zum Vater, der schon ein paar Jahre bei einem Druckmaschinenkonzern in Deutschland arbeitete. Jahrelang lebten sie als geduldete Ausländer in Frankfurt, ständig von der Abschiebung bedroht. Doch Indira Masic schaffte es trotzdem - erst aufs Gymnasium, dann auf die Universität. Im Sommer möchte sie ihren Bachelor machen.

Vom Flüchtlingskind zur Uni-Absolventin - das sind Geschichten, die viel zu selten sind. Und selbst wenn sie vorkommen, werden sie kaum beachtet. In der öffentlichen Wahrnehmung werden Zuwanderer-Kinder oft mit Problemfällen gleichgesetzt. Sie stehen für Bildungsversager, für Schulabbrecher, um die sich Arbeits- und Sozialämter kümmern müssen oder die ins kriminelle Milieu abrutschen, die Diebe oder Dealer werden.

Die Hertie-Stiftung setzt hier erfolgreich einen Kontrapunkt. Seit 2002 fördert sie Schüler aus Zuwandererfamilien mit Stipendien bis zum Abitur, 100 Euro gibt es im Monat für Bücher und Lernmaterial, außerdem einen Computer mit Internetanschluss und eine Reihe von Fortbildungsseminaren. Das Programm soll zeigen, dass Aufstieg möglich ist, Vorbilder für andere Zuwandererfamilien sollen entstehen, womöglich sogar eine Migranten-Elite von morgen.

Ablehnung der Lehrerin

Fast 1000 Schüler profitieren mittlerweile von dem sogenannten Start-Stipendium; 360 haben die Schule bereits abgeschlossen und gezeigt, dass sie das Vertrauen in sie nicht enttäuscht haben: 98 Prozent der Ex-Stipendiaten haben das Abitur geschafft, sagt Carmen Jacobi, Referentin bei der Hertie-Stiftung. Die ersten schließen nun die Uni ab, zu ihnen gehört auch Indira Masic.

Die 22-Jährige musste sich bis zur Hochschule durchbeißen, statistisch gesehen standen ihre Chancen als Tochter eines bosnischen Arbeiters um ein Vielfaches schlechter als bei Kindern deutscher Akademiker. Das spürte sie schon in der Grundschule: Die Klassenlehrerin legte ihren Eltern damals nahe, doch nach Bosnien zurückzugehen. Ob die Kinder hier je den Anschluss schaffen würden, fragte sie. Indira merkte, dass sie bei der Lehrerin nicht erwünscht war. Ihre Noten wurden schlechter, ihr Traum vom Gymnasium zerplatzte vorerst, sie musste auf die Realschule.

Die entscheidende Wende

In der neuen Schule ging es wieder aufwärts - die vielleicht entscheidende Wende. Indiras Noten wurden besser, sie engagierte sich als Klassensprecherin und gab einem Zuwanderer-Kind in der Grundschule Nachhilfe. Ihre Klassenlehrerin reagierte ganz anders als die frühere in der Grundschule. Sie schlug Indira zusammen mit der Direktorin für das Start-Stipendium vor. "So was gibt schon Selbstvertrauen, gerade wenn man 15 ist", sagt Masic.

Nach dem Realschulabschluss wechselte sie aufs Gymnasium und nach dem Abitur gleich auf die Universität. Der Zwang zur Entscheidung zwischen Realschule und Gymnasium am Ende der Grundschule ist ihr heute noch schlecht in Erinnerung. "Man sollte die Kinder nicht schon nach vier Schuljahren einsortieren", sagt sie. Wer einmal auf die Hauptschule geschickt worden sei, für den sei eine Hochschule in weite Ferne gerückt. "Auf die Realschule wechseln und dann noch aufs Gymnasium, das machen nicht viele durch", sagt Masic.

Unischtbare Mauern

Dass Grundschüler trotz guter Noten nicht fürs Gymnasium empfohlen werden, trifft besonders Arbeiter- und Zuwanderer-Kinder, wie mehrere Studien gezeigt haben. Die Start-Stipendien belegen jedoch, dass die unsichtbaren Mauern zwischen den Schularten durch gute Förderung zu überwinden sind. So besuchen gut 90 Stipendiaten eine Haupt- oder Realschule, ein Großteil von ihnen wechselt jedoch nach bisheriger Erfahrung auf ein Gymnasium.

"Mach was aus den Möglichkeiten hier"

Manchmal hilft es auch, einfach nur hart zu bleiben im richtigen Moment. So wie Vefa Alparslan. Der Deutsch-Türke und ehemalige Start-Stipendiat konnte im Gegensatz zu Masic am Ende der Grundschule einen guten Notenschnitt (2,0) vorweisen, die Klassenlehrerin empfahl seinen Eltern dennoch, ihr Kind auf die Realschule zu schicken. Warum, habe die Lehrerin nicht so recht begründen können, sagt Vefa Alparslan. "Wir waren nicht einverstanden." Also machte es Vefas Vater, Abdulhaluk Alparslan, so wie viele deutsche Akademiker es tun, wenn die Schulgesetze ihres Bundeslandes das zulassen: Er ignorierte die Empfehlung der Lehrerin und schickte seinen Sohn auf ein Gymnasium in Frankfurt-Sachsenhausen. Von da an lief es problemlos. Im Frühjahr erwartet er seinen Abschluss in Luftverkehrsmanagement an der Fachhochschule Frankfurt.

Kofferschlepper und Pförtner

Sein Vater Abdulhaluk war mit 14 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, hat beim Frankfurter Flughafen als Kofferschlepper und Pförtner geschuftet. Er hat verstanden, dass Bildung wichtig ist. Schon seine Eltern mussten viel körperlich arbeiten und seien deshalb krank geworden, sagt er. Nun sollten es wenigstens die Kinder besser haben. Alparslan versuchte also immer zu den Elternabenden zu gehen und wusste deshalb, wie entscheidend die Weichenstellung nach der vierten Klasse ist. "Mein Wunsch war von Anfang an, dass meine Kinder studieren sollen", sagt er. Diese Erwartung ließ er auch seine Kinder spüren. Und so war es auch sein Tipp, dass sich sein Sohn für das Start-Stipendium bewirbt; er hatte davon in der Zeitung gelesen.

Ohne den Einsatz der Eltern kommen Zuwanderer-Kinder meist nicht weit, dies zeigt sich auch beim Start-Programm. Bei den meisten Stipendiaten legten Vater und Mutter großen Wert darauf, dass das Zeugnis gut aussieht; viele, sagt Jacobi, hätten selbst eine akademische Ausbildung aus dem Heimatland mitgebracht, die jedoch in Deutschland nicht anerkannt wurde. "Es gibt dann sanften Druck auf die Kinder nach dem Motto: Mach' was aus den Möglichkeiten hier."

Der Aufstieg in Deutschland ist möglich

Bei Alparslan und Masic fruchtete diese Idee. Beide sagen, sie hätten sowieso studieren wollen, auch ohne Stipendium. Kindern ohne Starthilfe der Eltern, Kindern, deren Familien die Bedeutung von Bildung noch gar nicht erkannt haben, kann auch das Stipendien-Programm kaum helfen, denn gute Schulleistungen und sozialer Einsatz sind Voraussetzungen zur Aufnahme. Deshalb setzt die Hertie-Stiftung auf die Vorbildfunktion der erfolgreichen Migrantenkinder, darauf, dass der Bildungserfolg auch anderen Familien zeigt: Der Aufstieg in Deutschland ist möglich.

Vefa Alparslan merkte diesen Effekt an den vielen Fragen, die ihm Verwandte und Freunde zu seinem Stipendium stellten. Es waren interessierte Fragen, als Streber sei er deshalb nie abgestempelt worden, sagt er. "Gerade bei Geschwistern funktioniert diese Vorbildrolle", sagt Indira Masic. Doch auch andere lassen sich von dem Programm offenbar beeindrucken: Wenn die Förderung mit dem Abitur endet, geht es für viele weiter: Ein Drittel der Ex-Stipendiaten an den Hochschulen haben auch dort ein Stipendium ergattert.

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