Süddeutsche Zeitung

Mein Kollege sagt ...:"Wer hat an meinem Schreibtisch gesessen?"

Selbst im Großraumbüro gibt es ein Recht auf Privates. Wehe, es wird missachtet.

Nicola Holzapfel

Der Kollege ist erbost. Gerade mal ein paar Tage war er im Urlaub und das erste, was er sieht, als er wieder in die Arbeit zurückkehrt, ist: Da hat jemand an seinem Schreibtisch gesessen. Und nicht nur das: Die Tastatur ist vollgekrümelt, der Bürostuhl verstellt und fremde Schmierzettel stapeln sich neben den Telefon. Krümel hin oder her, was den Kollegen so ärgert: Da hat sich jemand ungefragt in seinem Revier aufgehalten.

Der Schreibtisch ist die zweite Heimat der Büroangestellten. Hier beginnen sie, mal lustlos, mal tatendurstig ihren Arbeitstag, hierhin kehren sie nach ermüdenden Meetings erschöpft zurück, hier ärgern sie sich über Kollegen und Arbeitsabläufe, freuen sich manchmal über ein Erfolgserlebnis, und hier machen sie einen Schlussstrich, wenn es ihnen abends reicht.

Und: Hier verbringen sie so viel ihrer wachen Zeit, dass sie gar nicht anders können als sich irgendwie häuslich einzurichten. Die Utensilien grauer Tisch, Bildschirm, Büropflanze sind überall dies selben. Eigen sind die Schreibtischbesitzer in der Dekoration: Familienfoto, Teekanne und Keksteller, Urlaubsmitbringsel oder so hohe Stapel an Unterlagen, dass der Arbeitsplatz geradezu einer Festung gleicht.

Und dann kommt einfach jemand daher und ändert das persönliche Arrangement. Manche Kollegen, die in dieser Hinsicht schon schlechte Erfahrungen gemacht haben, versuchen vorzubeugen: Sie stecken heimlich die PC-Maus aus, in der Hoffnung, dass ein potenzieller Eindringling den Übernahmeversuch des Schreibtisches entnervt aufgeben wird.

Heimatlosigkeit der Mitarbeiter als Prinzip

Mitleid muss man aber vor allem mit dem Eindringling haben. Wie ein Heimatloser ist er offenbar auf fremde Arbeitsplätze angewiesen. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um einen neuen Kollegen, einen Praktikanten oder einen freien Mitarbeiter. Klar, dass er/sie dann auch mal krümeln will, wenn er endlich an einem zeitlich befristeten Schreibtisch sitzt.

Es gibt Unternehmen, die haben die Heimatlosigkeit ihrer Mitarbeiter zum Prinzip gemacht. Sie haben feste Schreibtische längst abgeschafft. Für die persönlichen Utensilien muss ein Rollschränkchen genügen, das ziehen sie Mitarbeiter hinter sich her - bis sie bei dem Schreibtisch anlangen, der gerade frei ist.

So etwas können sich nur Menschen ausdenken, die in großräumigen Einzelzimmern ihre Gedanken schweifen lassen und dabei auf die Idee kommen, an der Büromiete zu sparen. Da könnte man ja gleich einen Handel starten, wo jeder seinen Schreibtisch zur Zwischen- oder Untermiete anbieten kann. Das würde den Schreibtischlosen ganz neue Möglichkeiten eröffnen und manchen Schreibtisch-Besitzern nebenher ein bisschen Geld einbringen. Bräuchte man eigentlich gar nicht bis zum Urlaub warten, mit den Kollegen kommuniziert man sowieso per Telefon und Mail. Also:

Einmaliges Angebot: Schöner grauer Schreibtischarbeitsplatz mit Büropflanze, helle und freundliche Atmosphäre, mit Blick in den Münchner Himmel, gute Verkehrsanbindung, Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Ohne Maklerprovision, Interessenten melden sich bitte bei: karriere-online@sueddeutsche.de

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