Mein Kollege sagt ...:"Was gibt's denn heute?"

Machen wir Gewinn? Wie ist es um den Umsatz bestellt? Steht der Laden kurz vor einer feindlichen Übernahme? Nein, die entscheidende Frage im Büro lautet ganz anders.

Julia Bönisch

Kochen hat Konjunktur. In sämtlichen Zeitungen und Zeitschriften werden wir mit Tipps für gesunde Ernährung und gute Küche bombardiert. Und studiert man das Fernsehprogramm, wird offensichtlich: Auch ein Großteil unserer Rundfunkgebühren wird in die Bezahlung von talkenden Köchen und kochenden Talkern investiert.

Kantinenessen, iStock

Kantinenessen: Lunch for Losers oder Bewerbungsgespräch für die offene Führungsposition.

(Foto: Foto: iStock)

Die Medien haben offensichtlich einen Trend erkannt: Der Deutsche liebt das Essen. Das Arbeiten dagegen liebt er häufig nicht so sehr. 36 Prozent aller Angestellten haben angeblich innerlich bereits gekündigt oder gehen ihrem Job völlig unbeteiligt nach. Die Liste der Vermeidungsstrategien im Büro ist deshalb schier unendlich: Zeitung lesen, Sudoku lösen, im Internet surfen. Und: sich mit essen beschäftigen.

Die ewige Frage: Stammessen I oder Stammessen II?

Zum morgendlichen Kaffee gibt's die Butterbreze. Damit lässt es sich bis 10 Uhr überleben und das erste Meeting überstehen. Dann folgt eine Durststrecke von 30 Minuten. Spätestens um halb elf aber fragt der Erste: "Was gibt's denn heute?"

Die Entscheidungsfreiheit im Büro beschränkt sich auf die ewige Frage: Stammessen I oder Stammessen II? Der Rest ist nur noch Beiwerk, beziehungsweise Beilage. Dabei teilt sich die Bürogemeinschaft in drei Fraktionen: Die erste will vor der Mittagspause wissen, was in der Kantine aufgetischt wird. Die zweite will das auf keinen Fall wissen. Und die dritte steht der Frage vollkommen leidenschaftslos gegenüber.

Mit der Stulle in die Tastatur krümeln

Kollegen, die zur letzten Kategorie gehören, packen nämlich jeden Mittag zur immergleichen Uhrzeit die Tupperdose aus und krümeln eine selbstgeschmierte Stulle (von Mutter oder Ehefrau) friedlich in die Tastatur. Argumente gegen die Kantine haben sie viele: zu fettig, zu ungesund, alles schmeckt nach Glutamat. Vermutlich hat ihnen aber ein Familienmitglied (Mutter oder Ehefrau) den Kantinenbesuch schlicht verboten. Abends warten schließlich Familie und ein warmes Essen zu Hause.

Mitglieder der zweiten Kategorie, die unter keinen Umständen wissen möchten, was der Mittagstisch hergibt, finden Kantinen-Small-Talk spießig. Die Pause ist für sie nur Mittel zum Zweck, an ihren Tischen fehlt die Würze im Gesprächsstoff - außer, sie sitzen mit dem Vorgesetzten beisammen. Denn für sie geht's nicht um was, sondern mit wem: kein Lunch for Losers - stattdessen wird die Mittagspause als Bewerbungsgespräch für die offene Führungsposition genutzt.

Auf der nächsten Seite: Was passiert, wenn sich ein Kantinen-Fan mit einem Totalverweigerer und einem Karrieristen das Zimmer teilt.

"Was gibt’s denn heute?"

Der Meier mag keine Möhren, die Müller keinen Grünkohl

Die dritte Gruppe dagegen arbeitet schon Montags den Speiseplan für die kommenden zwei Wochen im Intranet ab. Bratendüfte, Kohlgerüche und Saucenaromen, die durch die Gänge und durchs gekippte Fenster ins Büro wabern, sind jederzeit Anlass für folgendes Gespräch:

"Boa, ich hab schon Hunger." "Mmh, ich auch. Was gibt's heut noch mal?" "Spinatspätzle." "Wann gehen wir denn?" "Jetzt gleich dann, oder?" Punkt zwölf stehen die Kollegen als Erste in der Schlange.

Teilt sich ein solcher Kantinen-Fan mit einem Totalverweigerer und einem Karrieristen das Zimmer, ist der Betriebsfrieden erheblich gestört: Ewige Diskussionen um Ernährung, Kalorien, gesättigte und ungesättigte Fette mindern Konzentration und Leistungsfähigkeit. Solche Gespräche dauern in der Regel so lange, bis auch dem Letzten der Appetit vergangen ist und die Spinatspätzle in der Kantine kalt sind.

Über Suppe und Kartoffeln bilden sich Kantinen-Cliquen und -Feindschaften heraus, so dass man die Essgewohnheiten der Kollegen schließlich in- und auswendig kennt. Der Meier mag keine Möhren, die Müller keinen Grünkohl, und von überbackenem Käse kriegt sie Bauchschmerzen. Bei der Fülle an Details und Konfliktpotential kann nur der Appell des Kantinenkoches helfen: "Alles isst gut!"

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