Mein Kollege sagt ...:"Und was verdienst du?"

Über Geld spricht man nicht, man hat es. Das Gehalt ist in Unternehmen das letzte Tabu, an das auf keinen Fall gerührt werden darf. Gerade deshalb spekulieren wir besonders gern darüber, was Kollegen verdienen.

Julia Bönisch

Der Mensch im Allgemeinen hat ein schlichtes Gemüt: Seine stärksten Antriebsfedern sind nicht Ehrgeiz und Erfüllung, sondern Neid und Missgunst. Sein Haus, sein Auto, sein Boot - solange sie schöner sind als die des Nachbarn, ist die Welt in Ordnung.

Geld, iStock

30 Prozent über Branchendurchschnitt oder gerade mal genug für die Miete: Kein Kollege gibt zu, was er wirklich verdient.

(Foto: Foto: iStock)

Was das Gehalt angeht, sind wir ähnlich simpel gestrickt: Um glücklich zu sein, das haben Wissenschaftler herausgefunden, ist nicht die absolute Summe entscheidend. Es geht nicht darum, wie viel wir haben - sondern darum, wie viel MEHR wir haben. Der Mensch verdient lieber 100.000 Euro, wenn der Kollege 90.000 bekommt, als dass er 120.000 Euro absahnt und der Kollege 130.000 Euro kassiert.

Wo bleibt die nötige Distanz?

Wir sind nur glücklich, wenn wir wissen, dass der Kollege weniger verdient. Doch in den meisten deutschen Firmen spricht man so gern über sein Gehalt wie über eine ansteckende Geschlechtskrankheit. Im Team wissen die Mitarbeiter zwar alles voneinander: Welche Farbe hat der Durchfall des Nachwuchses? Wie viel Promille hatte die pubertierende Tochter, als sie aus dem Krankenhaus abgeholt werden musste? Welchen Namen trägt der Trennungsgrund des Abteilungsleiters? Bei zahlreichen Themen lassen sie die nötige Distanz vermissen, doch Geld ist das letzte Tabu, an das auf keinen Fall gerührt werden sollte.

Das empfiehlt auch jeder drittklassige Karriere-Berater: Über Geld spricht man nicht, man hat es! Einige Unternehmen haben diesen Grundsatz sogar institutionalisiert. Über seine Prämien zu reden oder sogar über das Gehalt, ist dort strengstens verboten. Doch das heizt Spekulationen erst richtig an.

Von Neugier und Neid zerfressen

Jedes noch so kleine Anzeichen wird eifrig interpretiert. So wie jedes zusätzliche Kilo den anderen sofort ins Auge sticht und Anlass zu Sticheleien gibt, ist es auch mit teuren Accessoires: "Der Müller hat schon wieder ein neues Auto, und hast du die Handtasche von der Meier gesehen?" Dank Google ist in wenigen Sekunden herauszufinden, was die Luxusartikel gekostet haben.

Von Neugier und Neid zerfressen, zerreißt man sich wochenlang am Mittagstisch das Maul und malt sich in schlaflosen Nächten aus, was man alles anstellen könnte, bekäme man nur endlich das gleiche Geld wie alle anderen! Bis es eines Tages, endlich, wider allen guten Ratschlägen und gegen alle Regeln, herausplatzt: "Wie viel verdienst DU denn eigentlich?"

Wie gesagt: Manche Kollegen fühlen sich angesichts einer solch direkten Frage, als hätte man sie nach einer ansteckenden Krankheit gefragt. Eine solch intime Information würden sie niemals herausrücken! Dementsprechend schwanken die Reaktionen zwischen wortlosem Anstarren ("..."), hysterischem Kichern ("Ohihi, du Scherzkeks. Ich dachte erst, du meinst die Frage ernst. Hast du dich schon aufs Meeting vorbereitet?") oder völlig entgeisterten Erwiderungen ("Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir das verrate?!").

Auf der nächsten Seite: Wer auf diese Frage eine Antwort gibt, lügt garantiert.

"Und was verdienst du?"

Wer hübsche Sümmchen kolportiert

Bei den seltenen Exemplaren, die sich tatsächlich zu einer Antwort bequemen, kann man sich sicher sein, dass sie gelogen ist. "Es reicht gerade mal für die Miete und die Monatskarte" ist garantiert genauso ein Humbug wie "30 Prozent über Branchendurchschnitt. Der Geschäftsführer weiß eben zu würdigen, wer in diesem Laden der wirkliche Leistungsträger ist."

Einzig bei ihren Chefs können sich Kollegen die Recherche sparen: Der Verdienst von Vorständen wird jedes Jahr via Bild-Zeitung kommuniziert: Josef Ackermann etwa bekam im Jahr 2007 13,9 Millionen, bei René Obermann waren es nur 2,6 Millionen Euro. Auch im Fußball werden immer wieder hübsche Sümmchen kolportiert: Luca Toni zum Beispiel soll 5,7 Millionen netto erhalten. Handgeld, also Taschengeld, das er nur dafür bekommt, dass er zu Bayern gegangen ist, gibt's noch oben drauf.

Grübeln über Bonussysteme

Dadurch ersparen sich die Bayern konzentrationsraubende Diskussionen in der Halbzeitpause. Man stelle sich vor, wie Poldi und Schweini Luca und Oli in der Halbzeitpause bedrängen, weil sie endlich wissen wollen, wie viel die großen Jungs verdienen. So wäre der zukünftige Klinsmann-Klub garantiert nicht Meister geworden.

Das Modell, die Gehälter des Teams mit Medienhilfe zu verbreiten, hat also durchaus etwas für sich: Statt sich die Köpfe über die Bezahlung des Konkurrenten zu zermartern, könnten sich die Kollegen endlich wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren und beim Mittagstisch über Projekte grübeln, denn sich über Bonussysteme Gedanken zu machen. Jedes Unternehmen könnte die Gehälter seiner Angestellten also künftig in der Mitarbeiterzeitung veröffentlichen. Und Handgeld - einfach nur für's Kommen - nähme sicher auch jeder gerne an.

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