Mein Kollege sagt ...:"Toooooor!"

Heute schmeißt der Chef statt Powerpoint-Präsentationen lieber Fußball an die Wand im Konferenzraum. Bei Käseigel und Nudelsalat arbeiten EM-euphorisierte Bürohengste plötzlich mit "högschder Disziplin".

Julia Bönisch

Während des Fußball-Sommermärchens vor zwei Jahren offenbarte eine Umfrage der Jobbörse Monster, passend zu ihrem Namen, Schockierendes: Ganze 46 Prozent aller Mitarbeiter in Deutschland wurden von ihren Vorgesetzten mit einem offiziellen Verbot belegt, im Büro die Spiele der Weltmeisterschaft zu verfolgen. 15 Prozent der Befragten durften zwar alle Spiele schauen - aber nur, wenn sie die Zeit nacharbeiteten.

Fußball Büro, dpa

Fußball gucken im Kollegenkreis: Ein gemeinsames Ziel - der Sieg - eint die, die sich sonst als Einzelkämpfer vor dem Chef profilieren.

(Foto: Foto: dpa)

Hunderte Angestellte taumelten also direkt aus der Kneipe ins Büro, um mindestens 90 Minuten lang all das wieder wettzumachen, was sie zuvor versäumt hatten. Die aus der Fanmeile mitgebrachten Endorphine und Promille dürften wesentlich zur Steigerung der Kreativität beigetragen haben. Den Wirtschaftsaufschwung 2006 verdanken wir also nicht Touristen und ausländischen Fans, die zur WM nach Deutschland kamen. In Wahrheit schulden wir euphorisierten deutschen Angestellten unseren Dank.

EM als Beitrag zum Teambuilding

Heute Abend ist dagegen alles viel einfacher: Die Deutschen spielen spät. Um Viertel vor neun müssten wir eigentlich alle den Computer heruntergefahren, ausgestempelt und die nächste Kneipe oder den heimischen Fernseher erreicht haben. Niemand muss nacharbeiten, wir alle können uns pünktlich vor der Großbildleinwand in der Innenstadt versammeln.

Doch immer öfter hört man von Abteilungen, die im Großraumbüro statt Powerpoint-Präsentationen zum Thema "Verpackungen aus Vollpappe und ihr Vertriebsnetz" die EM-Spiele an die Wand werfen. Offensichtlich hat das gigantische Gemeinschaftserlebnis 2006 bei Vorgesetzten und Konzernen ein Umdenken ausgelöst: EM im Büro ist der neueste Beitrag zum Thema Teambuilding.

Jeder Sieg steigert die Identifikation

Da vermutet der gemeine, naive Angestellte gleich Großmut und Selbstlosigkeit beim Vorgesetzten. Doch dahinter stehen vermutlich handfeste betriebswirtschaftliche Gründe: Fußball gucken mit Kollegen ist gut für den Teamgeist, stärkt das Wir-Gefühl und trägt somit zur Umsatzsteigerung bei. Das postulieren Psychologen schon seit Wochen. (Das gilt selbstredend nur für die Europameisterschaft - nicht für die Bundesliga. Da laufen die Gräben tief durch die Abteilung: die Sechzger gegen Bayern, Dortmunder vs. Schalker und überhaupt alle Fußball-Liebhaber contra Fußballhasser und -verweigerer. Aber Letztere sind sogar bei der EM dabei.)

Ein gemeinsames Ziel - der Sieg - und viele gemeinsame Schwierigkeiten (Polen, Kroaten, und, man mag es kaum glauben, Österreicher) einen die, die sich sonst als Einzelkämpfer vor dem Chef profilieren. Wie Jogis Jungs arbeiten plötzlich alle mit högschder Disziplin daran, den Titel zu gewinnen. Glaubt man den Experten, wirkt sich jeder Sieg der eigenen Mannschaft sogar positiv auf die Identifikation mit dem Unternehmen aus, die Leistungsbereitschaft steigt.

Auf der nächsten Seite: Wie sich die Personalabteilung auf die Entlassung von Jogi Löw vorbereitet.

"Toooooor!"

Käseigel, Nudelsalat und Almdudler

Nicht nur ökonomisch, auch zwischenmenschlich hat es Vorteile, gemeinsam der deutschen Mannschaft zuzujubeln: Plötzlich nimmt man Kollegen wahr, mit denen man vorher nie auch nur ein Wort gewechselt hat. Andere, die man bislang eigentlich nicht leiden konnte, zeigen in der Fankurve im Konferenzraum ungeahnte Qualitäten: Kollege M., sonst für Faulheit und Nachlässigkeit bekannt, profiliert sich plötzlich mit detailreichen Kenntnissen, die jeden Schiedsrichter blass aussehen ließen.

Kollege K. dagegen bringt seine Fähigkeiten aus der Buchhaltung mit ein, um das betriebsinterne Tippspiel zu leiten. Penibel geführte Excel-Listen, die am Eingang zur Kantine hängen, vermelden täglich neu den Zwischenstand: "Bundestrainer 08" führt vor "BörtiVogts", "Fat Mike" und "sexyMaus". (Ja, auch die Wahl der Spitznamen offenbart Dinge, die wir eigentlich nie wissen wollten.)

Die Damen aus der Buchhaltung spendieren Käseigel, Nudelsalat und Almdudler, der Vertrieb organisiert das Bier und die Personalabteilung macht sich schon mal Gedanken, wie man Jogi Löw nach einem Patzer am elegantesten freisetzen könnte: "Die Trennung erfolgte im gegenseitigen Einvernehmen. Wir wünschen Herrn Löw für seine berufliche Zukunft weiterhin alles Gute." Für 90 Minuten stehen alle Kollegen wie ein einziger Mann hinter der deutschen Mannschaft. Würden die Kollegen auch sonst immer so gut zusammenarbeiten - das Unternehmen wäre schon längst Weltmarktführer.

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