Mein Kollege sagt ...:"Streng geheim!"

Chefs schätzen es, hinter schalldichten Türen mit Mitarbeitern zu reden. So entsteht eine falsche Vertraulichkeit, die unschöne Blüten treibt.

Carsten Matthäus

Manche Bürotüren hört man nicht. Geräuschlos gleiten Dichtungen ineinander, die letzten Fugen schließen sich. Sie sind breiter und schwerer als andere Türen, manche sind sogar mit wattiertem, dunklen Leder bezogen. Türen, um Mitarbeiter schon beim Eintreten zu knechten.

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Bitte nicht stören: Manche Chefs betrachten das als Einladung, sofort und ohne Klopfen einzutreten.

(Foto: Foto: iStock)

Wer sie schließt, wird automatisch zum Geheimnisträger gemacht. Egal ob der Chef nun Schwänke aus seinem Leben erzählt, Zoten über hübsche junge Kolleginnen loslässt oder einfach mal was zur Stimmung wissen will: In der schalldichten Kapsel muss man höllisch aufpassen, was man sagt, wann man nickt, wo man nicht hinschaut.

Schallsichere Türschleuse

Manche Chefs sind Meister darin, dieses Löwenkäfig-Gefühl zu zelebrieren. Zum Beispiel mit der "Jetzt erzählen Sie mal"-Masche, gerne in der lockeren Sitzgruppe abgehalten. Oder gleich das Modell "Verhör", in dem der Raum abgedunkelt ist und nur das Gesicht des Chefs in einem silbrigen Lichtkegel aufscheint. Oder - ganz gemein - die "Geheimsache", eingeleitet mit "Was ich Ihnen jetzt sage, sollte diesen Raum ...".

Das wahre Fegefeuer für den Kollegen beginnt unmittelbar nach dem Termin beim Chef. Tritt der Kollege durch die schallsichere Türschleuse wieder hinaus in die Welt, ist er quasi mit Leuchtstift auf der Stirn markiert. Alle anderen sehen ihn ab sofort fragend an, sie gebrauchen nur ein einziges sadistisches Wort: "Und?"

Was tut der arme Kollege nun? Erzählt er alles und macht das die Runde, hört es irgendwann der Chef und der Kollege ist für höhere Aufgaben verbrannt. Diese Abkehr vollzieht sich meist ebenfalls vollkommen geräuschlos. Erzählt er dagegen nichts und verweist auch noch auf die vom Chef verordnete Schweigepflicht, dann stempelt er sich selbst zum unkollegialen Karrieristen.

Meister des kreativen Bürotheaters

Der arme Kollege hat nur zwei Möglichkeiten, aus diesem Dilemma herauszukommen: Zum einen kann er einfach sonst was erzählen. Solange es nicht die Wahrheit ist, keine allzu heftigen Gerüchte in Umlauf kommen und die Kollegen einem die Geschichte abkaufen, ist man fürs Erste gerettet. Es gibt wahre Meister dieses kreativen Bürotheaters, und sie bleiben jahrelang unerkannt. Die besten Schauspieler werden nicht selten selbst zum Chef und können ihre eigenen Lügen zur neuen Wahrheit werden lassen.

Weniger kreativen und risikofreudigen Mitarbeitern bleibt nur ein Ausweg: Sie müssen sich mit ihren neugierigen Kollegen einen stillen Raum mit schalldichten Türen suchen und das Siegel der Verschwiegenheit wie einen Staffelstab weitergeben - natürlich nur an die eigenen Vertrauten. So entsteht fast unausweichlich das heute in vielen Büros übliche Klima des gegenseitigen Misstrauens. Ein Schild mit der Aufschrift "Bitte nicht stören!" oder gar "Streng geheim!" an die Tür zu hängen, ist allerdings nicht empfehlenswert. Manche Chefs betrachten das als Einladung, sofort und ohne Klopfen einzutreten.

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