Mein Kollege sagt ...:"Schrille Nacht"

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Besinnlichkeit ist keine feste Größe im Berufsalltag. Doch zur Adventszeit kann ihr niemand entkommen. Büro ist Krieg, aber auf der Weihnachtsfeier bemüht sich der Kollege um Waffenstillstand.

Julia Bönisch

Die Wochen vor Weihnachten sollen ja zu den schönsten des Jahres zählen. Jedem ist's besinnlich und romantisch ums Herz. Alle sind verzückt von den dicken, weißen Schneeflocken, die sich auf unsere Mützen, Schals und Schultern legen, Geräusche verschlucken und die Welt in Watte packen.

Weihnacht im Büro: Im Advent herrscht Waffenstillstand. (Foto: Illustration: Astrid Müller)

Dummdreiste Weihnachtskomödien mit fliegenden Elchen und einem schnulzigen Happy End stimmen uns ein auf die alljährliche Materialschlacht unterm Weihnachtsbaum. Zwar würden allein die Kosten fürs Geschenkpapier schon ausreichen, ein kleines Mädchen in einem kongolesischen Dorf ein halbes Jahr zur Schule zu schicken - aber man gönnt sich ja sonst nichts.

Weihnachtsfeier - trotz Finanzkrise?

Doch bis es soweit ist, müssen wir die anstrengendsten Wochen des Jahres hinter uns bringen. Bevor sich der Kollege in den wohlverdienten Weihnachtsurlaub aufmacht, muss er 57 Danke-für-die-gute-Zusammenarbeit-Karten unterschreiben, die Planung für das kommende Jahr festzurren und mindestens eine Weihnachtsfeier mit Anstand absolvieren.

Vor allem Letztere ist Stress pur, so sie denn nicht angesichts der Finanzkrise als Sparmaßnahme gestrichen wird. Findet sie trotzdem statt, lautet ihr weihnachtlich-biblisches Motto "Und ob ich schon wandere im finsteren Tal ..."

Gehaltserhöhung, Handgemenge, Kündigung

Doch eigentlich ist Besinnlichkeit keine feste Größe im Berufsleben. Schließlich ist Büro Krieg, das weiß seit Stromberg jeder. Doch im Advent und auf der Weihnachtsfeier herrscht Waffenstillstand. Man schunkelt sich in eine bierselige "Im-Grunde-ist-das-doch-schön"- und "Eigentlich-mögen-wir-uns-doch-alle-gern"-Verfassung und kommt sich viel näher, als man sich das im nüchternen Zustand je hätte vorstellen können. Laut Daily Mirror erhofft sich mehr als die Hälfte der Belegschaft auf der Weihnachtsfeier Sex.

Doch es geht noch schlimmer: Ein Viertel der Angestellten verlangt angeblich angeheitert eine Gehaltserhöhung, neun Prozent kündigen gleich ganz und ein Drittel lässt sich in Handgemenge verwickeln.

Das führt dazu, dass man am nächsten Tag von der einen Hälfte der Kollegen geschnitten wird, weil man ausgerechnet dem Meier eine runtergehauen hat. Die andere Hälfte schneidet einen, weil man nicht fest genug zugeschlagen hat. Man kann es eben keinem recht machen.

Auf der nächsten Seite: Wie das unselige Geschacher um die Weihnachtsgeschenke von Geschäftspartnern ausgeht - und warum Weihnachten daheim fast so schlimm ist wie im Büro.

Ausgebeulte Taschen im Aufzug

Dann ist da noch das unselige Geschacher um die Weihnachtsgeschenke von Geschäftspartnern. Misstrauisch beäugen die Kollegen den Posteingang und haben genau im Blick, für wen das größte Paket bestimmt ist. Wenn aber der Chef wie in jedem Jahr zum Teilen oder Wichteln auffordert, behauptet plötzlich jeder, er habe doch gar nichts bekommen. Dafür sieht man die Kollegen abends mit ausgebeulten Taschen im Aufzug stehen, in denen es bei jeder Bewegung verdächtig klirrt.

Der endgültige Weihnachtswahnsinn bricht aus, wenn sich die Kollegen an per USB-Stick betriebenen, blinkenden Plastiktannen ergötzen oder es sich am Schreibtisch mittels Multicolor-LED-Party-Lichterkette heimelig machen. Spätestens dann ist es Zeit, sich in die Weihnachtsferien zu verabschieden und sich zu Hause zu erholen.

Dort warten schließlich ein geschmackvoll geschmückter Weihnachtsbaum mit Multicolor-LED-Party-Lichterkette und ein tolles Fest mit ausreichend Alkohol - inklusive Handgemenge mit der Verwandtschaft und der unerfüllten Hoffnung auf Sex. Das ist doch ein erholsamer Urlaub.

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