Süddeutsche Zeitung

Mein Kollege sagt ...:"Psst!"

Lärmende Kollegen sind die Hölle auf Erden. Doch im Großraumbüro gibt es kein Entrinnen. Das kann schreckliche Folgen haben.

Julia Bönisch

Die Hölle, sind das die anderen? Oder ist man zusammen doch weniger allein? Wer im Großraumbüro arbeiten muss, beantwortet diese Frage ohne zu zögern: 40 bis 60 Stunden pro Woche eingepfercht mit Menschen, um die man unter anderen Umständen einen großen Bogen machen würde - das kommt unserer Vorstellung vom Ort der Verdammnis schon recht nahe.

Vermutlich besitzen Großraumbüros deshalb eine kalte, unwirtliche Ausstrahlung. Eigentlich sehen viele so aus wie das Toyota-Autohaus um die Ecke: ein riesiger Raum mit kaltem Fußboden, massive Wände und Glasfassade, darin ein Meer von Schreibtischen, an dem sich der Einzelne einsam und verlassen fühlt.

Doch egal wo man sitzt, es gibt - wie in einer Legebatterie - immer drei Kollegen vor, neben und hinter einem. Allein die Tatsache, dass sie leben, bedingt, dass sie lärmen: Sie kratzen sich, räuspern sich, ihre Jacken und Hosen rascheln, sie kauen, schlürfen und tippen. Natürlich gibt es auch Geräusche, die relativ beruhigend wirken. Dass N. noch lebt, merkt man zum Beispiel allein daran, dass sein linkes Nasenloch bei jedem Atemzug fiept.

Die Stimmbänder in voller Entfaltung

Für Kurt Tucholsky hat der Mensch vor allem zwei Eigenschaften: Er macht gerne Krach und er hört nicht gerne zu. Wer im Großraumbüro arbeiten muss, bekommt mit diesen Charakterzügen echte Probleme: Er ist einerseits permanent dem Lärm seiner Kollegen ausgesetzt. Andererseits will und kann er sich selber nicht zurückhalten, wenn das eigene Telefon klingelt. Dann bringt er seine gut entwickelten Stimmbänder zur vollen Entfaltung.

Das führt dazu, dass ständig jemand redet. Und wenn grad keiner redet, wispert garantiert einer: "Psst!" Glaubt man der modernen Büroforschung, schwillt der Geräuschpegel in Großraumbüros schnell auf 70 Dezibel an - das entspricht einem vorbeifahrenden Motorrad. Acht Stunden am Tag kurvt also eine Harley zwischen unseren Schreibtischen herum. Kein Wunder, dass wir uns da nicht auf unsere Arbeit konzentrieren können. Wissenschaftler behaupten, Lärm senke unsere Leistung um 20 bis 30 Prozent.

Großraumbefürworter werden nun behaupten, eine Massen-Mitarbeiterhaltung sei ganz toll für die Teamatmosphäre: Habe jeder ein Einzelbüro, kenne man doch schon den Namen des Kollegen drei Türen weiter nicht mehr. Und so habe man wenigstens das Gefühl, Teil des Großen, Ganzen zu sein. "Außerdem will ich doch mitkriegen, was um mich herum passiert!"

Auf der nächsten Seite: Warum die Geschäftsführung keine Gnade kennt - und wieso sie das langfristig teuer zu stehen kommen wird.

Mehr Hühner im großen Käfig

Falsch. Gewisse Dinge will man nicht wissen. Dass L. offenbar das Sauerkraut aus der Kantine nicht vertragen hat. Wie H. mit ihrem Ex-Freund telefoniert oder B. mit dem Kollegen in der Berliner Dependance via Telefon lästert. Oder dass S. bei Nervosität immer mit den Fingern schnippt. Diese Übersprungshandlung hätte er gern im Verborgenen ausleben dürfen.

Doch die Geschäftsführung kennt keine Gnade: Wer auf sämtliche Wände verzichtet, kann eben mehr Hühner in den großen Käfig setzen - und spart noch Platz und Heizkosten. Dabei wäre die Rechnung so simpel: Wenn der Kollege zufrieden ist, leistet er viel, und wenn er viel leistet, bringt er der Firma mehr Gewinn.

Habt ein Einsehen!

Unglückliche, lärmbelästigte Mitarbeiter dagegen sind gefährlich: Das amerikanische National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) hat herausgefunden, dass jede Woche mindestens 18.000 Menschen aufgrund von Konflikten am Arbeitsplatz körperlichen und seelischen Schaden davontragen - und etwa 20 Menschen getötet werden.

Also bitte: Habt ein Einsehen! Oder verteilt großzügig Ohrstöpsel. Damit die Kosten des Gesundheitssystems nicht ins Unermessliche wachsen - oder im schlimmsten Fall die Hinterbliebenen-Versicherung einspringen muss.

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