Mein Kollege sagt ...:"Neben dem will ich nicht sitzen"

Wie in einer Schulklasse ist auch im Büro die Sitzordnung ein gutes Mittel, um Streit zu schlichten. Wer sie ändern will, stiftet Chaos.

Julia Bönisch

Am ersten Tag im neuen Job geht es für die meisten nicht so sehr darum, WAS sie von nun an zu tun haben. Eine zumindest ungefähre Vorstellung davon haben sie sich schon im Bewerbungsgespräch gemacht. Viel wichtiger ist die Frage, MIT WEM sie künftig zusammenarbeiten müssen.

Stuhlpyramide, dpa

Wenn Kollegen umziehen, bricht das Chaos aus.

(Foto: Foto: dpa)

Der Job kann schließlich noch so schön sein - wenn die Kollegen einem das Leben zur Hölle machen, ist der Feierabend der einzige Lichtblick des Tages und das Gehalt verkommt zum Schmerzensgeld.

Das Grauen am Schreibtisch nebenan kann zahlreiche Gesichter haben und verschiedene neurotische Züge annehmen. Unangenehm als Zimmernachbar ist etwa der:

Kettenraucher Alle 30 Minuten verlässt er seinen Platz, um sich im Hof eine Kippe anzuzünden, und verbreitet so unangenehme Hektik. Wenn er wiederkommt, ist er in eine Wolke aus Qualm und Gestank gehüllt, die sogar die Blätter des Ficus zum Vergilben bringt. Nicht viel besser ist der:

Ex-Raucher Er riecht zwar nicht so penetrant nach Tabak, trommelt dafür aber penetrant mit seinen Fingern auf dem Schreibtisch, zuckt nervös mit dem Bein und bringt so den Monitor zum Vibrieren. Oder er kaut die Enden aller Kugelschreiber an, so dass man keinen einzigen davon in die Hand nehmen will. Ähnlich zappelig ist der:

Astheniker oder Leptosom Er isst die ganze Zeit, raschelt mit Bonbon- und Papiertüten aus der Bäckerei, mahlt geräuschvoll seine Kekse und krümelt Schokolade auf den Teppich, in die Tastatur und auf den Bezug des Schreibtischstuhls, ist aber trotzdem furchtbar dünn. Da er nahezu immer den Mund voll hat, kann er wenigstens nicht so viel reden wie die:

Quasselstrippe Sie erzählt morgens, wie sie den Vorabend verbracht hat, mittags, was sie in der Pause gegessen hat, und nachmittags, was ihr Abendprogramm vorsieht. Dazwischen ist genug Zeit für Informationen über die Familie, den Partner, Hobbys und die Lieblingsmusik. Gern thematisiert sie auch Schwächen der Kollegen und des Chefs. Eine Subspezies der Quasselstrippe ist der:

Mit-dem-Partner-Telefonierer Er erzählt all diese spannenden Dinge lieber dem Freund oder der Freundin - auf Firmenkosten selbstverständlich. Und am anderen Ende der Leitung haben Kollegen des Partners wenigstens auch noch was davon. Vielleicht das größte Übel sind jedoch diejenigen, die gar nicht reden, die:

Schweigsamen In einem Büro mit einem Total-Verbal-Verweigerer zieht sich der Tag wie Kaugummi. Vor lauter Langeweile ruft dann so mancher seinen Partner an.

Auf der nächsten Seite: Was passiert, wenn die Chefetage Kollektive auseinanderreißen will.

"Neben dem will ich nicht sitzen"

Lieblingskuscheltiere auf der Schreibtisch-Insel

Meistens gewöhnen sich die Mitarbeiter trotz ihrer Eigenarten jedoch so sehr aneinander, dass symbiotische Gemeinschaften entstehen, sie sich ko-evolutionär weiterentwickeln und Expertenwissen anhäufen: Mit welcher Sorte Schokolade lässt sich der Kollege besänftigen? Wie viele Stück Zucker möchte er in seinen Kaffee und zu welcher Tageszeit ist er am ehesten zu Scherzen aufgelegt?

Doch wehe die Chefetage droht, das Kollektiv, das sich so mühsam zusammengerauft hat, wieder auseinanderzureißen: "Neben dem will ich aber nicht sitzen!" Dieser Satz wird im Tonfall eines Fünfjährigen ausgesprochen, dem man sein Lieblingskuscheltier geklaut hat.

Auseinandersetzungen um die Sitzordnung

Besonders schlimm wird es, wenn das Management ein Großraumbüro einführen will. Wochenlang diskutiert das komplette Team nur noch darüber, wer mit wem an einer Schreibtisch-Insel sitzt, wer sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden darf, ob spanische Wände aufgestellt werden sollten oder ob ein Gummibaum als optischer Trenner ausreicht.

Die Auseinandersetzungen um die Sitzordnung beschäftigen die Kollegen im Idealfall so, dass die Produktivität auf den Nullpunkt sinkt, die Vorgesetzten deshalb die Zwecklosigkeit ihres Tuns einsehen und es sich wieder anders überlegen. Dann darf jeder auf seinem Plätzchen sitzen bleiben und dem Nachbarn sagen: "Was bin ich froh, dass ich neben dir bleiben darf. Denn neben der Schmidt will ich nun wirklich nicht sitzen."

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