Süddeutsche Zeitung

Mein Kollege sagt ...:"Kühlschrank schimmelt"

Im Büro-Kühlschrank verbirgt sich das Grauen: Der Joghurt trägt einen Pelz, der einer Millionärsgattin Ehre machen würde. Warum bloß versauen die Kollegen ständig das Kühlfach?

Julia Bönisch

Büros und WGs sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Deshalb gibt es Kollegen, die neue Praktikanten mit folgenden Worten einweisen: "Und hier, in Zimmer C 136, wohnt Manfred Graupel, der dir alle deine Passwörter besorgt."

Abgesehen von der Dauerpräsenz am Arbeitsplatz erinnert auch die räumliche Enge an eine bezahlbare Studentenbude. Wer sich mit nur einem Kollegen ein Zimmer teilt, darf sich glücklich schätzen. Im Großraumbüro dagegen herrscht eine Lautstärke wie bei einer Party in der Gemeinschaftsküche. Doch wenigstens ist auf der Arbeit immer genug Klopapier in den Toiletten.

"Ich bin nicht eure Putzfrau!"

Ebenfalls aus dem Studium hinübergerettet hat sich die Zettel-Tradition: Wenn die persönliche Kommunikation gar nicht mehr klappt, legt man dem Kollegen respektive Mitbewohner auf Post-its geschmierte Botschaften auf den Schreibtisch: "Entweder ich ziehe aus oder du", oder: "Entweder ich kündige oder du!" Und am Kühlschrank hängt das Statement: "Ich bin nicht eure Putzfrau!"

Denn hinter der Kühlschranktür verbirgt sich sowohl in der WG als auch im Büro das schiere Grauen: Ein offener Joghurt trägt einen Pelzüberzug, der einer russischen Millionärsgattin alle Ehre machen würde. Die Milch ist so flockig, als hätte sich Frau Holle persönlich darum gekümmert, und auf dem Glasteller hat sich ein Viertel Wassermelone mit faulen Erdbeeren zu blühenden Landschaften vereinigt.

Brutstätte für Neuentwicklungen der Lebensmittelbranche

Offenbar hat der erwähnte Zettel den gegenteiligen Effekt: Statt Kollegen respektive Mitbewohner zur Ordnung anzuhalten, signalisiert er, dass hinter der Kühlschranktür bereits hygienische Zustände wie auf Manilas Müllhalden herrschen. "Ich bin nicht eure Putzfrau!" "Ja, genau", denken sich all die, die ihr angebissenes Butterbrot, das ranzige Stück Käse oder ihre Hämorrhoiden-Salbe, die unbedingt kühl gelagert werden muss, in den Kühlschrank legen. "ICH bin AUCH nicht eure Putzfrau." Und so kommt es, dass sich einfach niemand zum Saubermachen berufen fühlt und der Büro-Kühlschrank als beste Brutstätte für Neuentwicklungen der Lebensmittelbranche dient. Dass sich diese Dinge ohne gentechnisch veränderte Zusatzstoffe entwickeln konnten, ist nahezu unglaublich.

In Wohngemeinschaften erledigt sich das Schimmel-im-Kühlschrank-Problem meist in Prüfungsphasen. Dann sind alle Mitbewohner zu Hause und vertilgen wahllos alles, was noch halbwegs genießbar scheint. Im Büro dagegen gibt es solche Reste-Vernichtungsphasen leider nicht. Mitten im Berufsleben verfügen die meisten Kollegen über ausreichend Geld, so dass sie in der Nacht vor Projektabgabe, Redaktionsschluss oder Pitch lieber Pizza bestellen als den Kühlschrank zu plündern.

Auf der nächsten Seite: Zwei radikale Lösungsansätze, die das Schimmelproblem eventuell lösen könnten.

Kontrolle und Beobachtung

Ein radikaler Lösungsansatz ist das Müllbeutel-Ritual, dass jeden Freitagabend stattfinden sollte: Alles, was bis 18 Uhr noch im Kühlschrank ist, wird ausnahmslos weggeschmissen. Dabei würde allerdings auch die kühlzuhaltende Hämorrhoiden-Salbe und das Fläschchen Prosecco vom letzten Geburtstag vernichtet.

Sanfter dagegen ist das Augen-Prinzip: Gegenüber dem Kühlschrank hängt ein Poster, auf dem ein Augenpaar abgebildet ist. So fühlt sich der Kollege kontrolliert und beobachtet, während er sich am Kühlfach zu schaffen macht. Das, so Psychologen, sorge automatisch dafür, dass er sein Verhalten an die sozial erwünschte Norm anpasst und den Kühlschrank sauber hält.

Falls auch das nicht funktioniert, muss die Büroküche dem Chaos anheimfallen. Gemeinsam mit den dreckigen Kaffeetassen, der überquellenden Spülmaschine und dem verkrusteten Kantinengeschirr wird der Kühlschrank zum lebenden Beweis (und das im Wortsinn), dass man mit den Kollegen einfach nicht zusammen wohnen sollte.

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