Morgens setzt sich der Kollege in der Konferenz prinzipiell neben den Vorgesetzten. Mittags luncht er mit einem Ex-Mitarbeiter, der jetzt Abteilungsleiter beim Marktführer ist. Und nach Feierabend spielt er Fußball, geht laufen oder kickert in der Kneipe um die Ecke - mit dem Vorgesetzten, dem er am nächsten Morgen in der Konferenz Scherze erzählt, die natürlich nur Eingeweihte verstehen.
In der Raucherecke wispert er konspirativ, Gerüchte hat er prinzipiell als Erster gehört, und natürlich kennt er die Namen von Frau und Kindern des Chefs. Sollte der sich scheiden lassen, weiß der Kollege das selbstverständlich auch - inklusive Trennungsgrund und Unterhaltsvereinbarung.
Woher?
Aus seinem Netzwerk natürlich! Jeder Headhunter, der etwas auf sich hält, beschwört den Wert des Netzwerks: Ohne Kontakte nach oben, zur Seite und vielleicht auch nach unten - man weiß ja nie, wer plötzlich an einem vorbeiziehen könnte - geht heutzutage gar nichts mehr. Dabei kommt es nicht nur auf persönliche Kontakte an: Es soll Kollegen geben, die mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit damit verbringen, in Online-Business-Netzwerken ihr Profil zu pflegen und auszuspionieren, wer einem in Zukunft sonst noch nützlich sein könnte. Im Netz sind zahlreiche Informationen zu finden, die einem dienlich sind.
Keine Fleißkärtchen sammeln
Wer aber nun glaubt, ein hilfsbereites Lächeln und ab und zu ein gemeinsames Mittagessen reiche aus, um in eine Seilschaft aufgenommen zu werden, irrt gewaltig. Auch Fleißkärtchen zu sammeln und zu hoffen, dass der Chef irgendwann von alleine darauf kommt, wie fähig und unverzichtbar man ist, ist ein denkbar schlechter Weg.
Denn ein Netzwerk ist nichts für Underachiever, es basiert auf dem Prinzip Geben und Nehmen. Und wer nichts zu geben hat - einen neuen Posten, Einfluss, Informationen - muss eben draußen bleiben. So ist das Netzwerk ein Sammelbecken für aufstrebende Karrieretypen, die sämtliche Rituale der Selbstdarstellung und Selbstvergrößerung perfektioniert haben.
Netzwerktreffen gleichen modernen Tupperpartys - nur dass statt des "Mikro-Fix fürs einfache Aufwärmen" die eigenen Kenntnisse und Kontakte angepriesen werden: "Als ich damals unsere komplette Consulting-Abteilung aufgebaut habe, hatte ich einen super Draht zum Europa-Chef von Roland Berger. Der hat ja neulich geheiratet - ein wunderschönes Fest."
Wahnsinnig erfolgreich - nicht nur geschäftlich, auch privat
Das signalisiert dreierlei: Der Sprecher selbst ist selbst wahnsinnig erfolgreich, er treibt sich außerdem mit anderen wahnsinnig erfolgreichen Leuten rum - und das nicht nur geschäftlich, sondern sogar privat. Wer es schafft, mit einem einzigen Satz all dies zu signalisieren, ist im Netzwerk das, was der Power Seller auf der Tupperparty ist: ganz oben angekommen.
Gefährlich wird es, wenn sich der Kollege ins falsche Netzwerk eingeklinkt hat. Stürzt der Anführer, kann er ihn ganz schnell mit in die Tiefe reißen. Und nicht jeder Gefallene hat das Talent, ein, zwei Jahre später als Berater bei einer obskuren Coaching-Akademie wieder aufzutauchen. Manche sind danach für immer weg vom Fenster.