Der Kampf um Talente tobt. Da preisen sich Unternehmen selbst in höchsten Tönen: Personalchefs singen ein Loblied auf die Atmosphäre der Kreativität, die inspirierende Führungskultur und den kollegialen Umgang, der bei ihnen herrsche. Und das alles, um angebliche High-Potentials für sich zu gewinnen.
Chefs können über diese Punkte zwar viel reden, sie aber nur schlecht umsetzen. Um trotzdem den Anschein zu erwecken, sie täten etwas für die Firma, betreiben sie schönste Symbolpolitik: Sie geben sich volksnah und lassen sich duzen, an warmen Tagen spendieren sie Eis fürs Team, an kalten lassen sie Kuchen holen - obwohl das natürlich keinen Kollegen vor der Kündigung bewahrt. Und ihre Türen stehen immer offen.
Das signalisiert: "Ich bin jederzeit ansprechbar und habe immer ein offenes Ohr für euch." Im Bürodeutsch nennt man das "open door policy". Sie bezieht sich natürlich nicht nur auf den Vorgesetzten, sondern schließt das komplette Team mit ein, ganz nach dem Motto: Hier haben wir uns alle lieb.
Die Suche nach Ablenkung
Doch gerade der Umstand, dass man immer und überall hineinschielen kann, führt genau zum Gegenteil: Man geht sich fürchterlich auf die Nerven. Da ist zum Beispiel der Kollege, der ständig lauernd über den Flur schleicht. Kaum erhascht er einen Blick aus einem der Büros, stürmt er herein auf der Suche nach Ablenkung und einem netten Plausch. Leider hat er dazu meist nur wenig beizutragen. "Und sonst so?", lautet seine Standardfloskel für ein interessantes Gespräch. Bei geschlossener Tür wäre das nicht passiert.
Und ist man selbst derjenige, der über den Flur zum Drucker oder in die Kaffeeküche will, hilft auch kein stur geradeaus oder auf den Boden starren, um den Kollegen zu entgehen. Die stets Hilfsbedürftigen scheinen eigens einen Flur-Sensor entwickelt zu haben: Kaum läuft man draußen vorbei, tönt es aus dem Zimmer: "Ach du, wo ich dich gerade sehe. Könntest du mal kurz? Dauert auch nicht lang."
Was ist schon eine Stunde?
Da Zeitempfinden eine äußerst subjektive Sache und "nicht lang" nur schwer objektivierbar ist, haben Helfer und Fragesteller eine sehr unterschiedliche Auffassung von der Dauer des nun folgenden Gesprächs. Für den Ersteren bedeutet "nicht lang" logischerweise kurz. Sprich: höchstens fünf Minuten. Der Fragesteller dagegen hat eine völlig andere Definition: Was ist schon eine Stunde, gemessen an der Ewigkeit? "Nicht lang" dauert eben so lange, bis sein Problem gelöst ist. Auch wenn das den ganzen Tag in Anspruch nimmt.
Und da man nicht gern unhöflich ist, weist man den Kollegen beim ersten Mal nicht ab. Aus Erfahrung klug, nimmt man sich jedoch für alle Zeiten vor, auf das "Könntest du mal ...?" nie wieder reinzufallen. Bis zum nächsten Gang zum Kopierer oder in die Kaffeeküche.
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Moralisch nicht ganz korrekte Lügen
"Duhuu, ..." Diese langgezogene, mit einem unschuldigen Augenaufschlag vollzogene Schleife auf dem u ist der Lieblingston des professionellen Bittstellers. Er hat zwar keine Ahnung von seinem Job, brav und unschuldig fragen kann er dafür um so besser. Mit jeder Pore strahlt er ein "Rette mich!" aus. Lässt man sich darauf ein, kann der Kollege pünktlich gehen, denn sein Problem ist zum Feierabend garantiert gelöst. Für den Hilfsarbeiter sind Überstunden aber garantiert, denn auf seinem Schreibtisch stapeln sich derweil die Unterlagen.
Die einzige Methode, diesen Delegationsprofis ihr permanentes Bitten abzugewöhnen, sind frei erfundene Ausreden. "Duhuu. Das funktioniert nicht. Ich hab's versucht, aber das geht nicht. Was mache ich denn jetzt?" "Ich würde ja gerne helfen, aber ich hab jetzt einen wichtigen Termin." Und dann zügig weitergehen.
Solche Lügen sind, moralisch betrachtet, nicht ganz korrekt. Aber die Alternative wäre noch gemeiner: Das nächste Mal einfach alles falsch erklären und nur schwer zu behebende Fehler einbauen. Dann bittet der Kollege garantiert nie wieder um Hilfe.