Mein Kollege sagt ...:"Aber wir sind doch ein Team!"

Deutschland ist ein Single-Land, immer weniger Menschen haben einen Partner. Das hat einen simplen Grund: Wer tagsüber ständig im Team arbeitet, hat abends einfach die Nase voll von Gesellschaft.

Julia Bönisch

Deutschland versingelt. Noch nie gab es so viele Einpersonenhaushalte wie heute: Im Jahr 1961 waren es vier Millionen, heute sind es 16 Millionen - Tendenz steigend. Die Folgen sind schrecklich, Soziologen malen sie in düsteren Farben: Singles lassen sich formen, vom Arbeitgeber in jedes beliebige Schema pressen, ausnutzen. Sie leisten bereitwillig Überstunden, nutzen ihr Ein-Zimmer-Apartment nur noch als Pausenraum: Anpassung über die Schmerzgrenze hinaus.

Mein Kollege sagt Teamarbeit, iStock

Teamarbeit im Meeting: Alles schläft, nur einer macht die ganze Arbeit.

(Foto: Foto: iStock)

Sie bekommen keine Kinder, werfen die Alterspyramide über den Haufen, belasten die Renten- und Krankenkassen. Und warum das alles? Wissenschaftler führen als Grund vor allem die berufliche Mobilität ins Felde, die ein Sich-Einlassen auf einen anderen unmöglich macht.

Endlich Ruhe!

Doch die Experten irren. Die Versingelung hat einen ganz anderen Grund, der zwar auch im Arbeitsleben zu suchen ist, aber nichts mit dem Zwang zu Mobilität und Flexibilität gemein hat. Es ist vielmehr der Zwang zur Teamarbeit, der im Kollegen den dringenden Wunsch entstehen lässt, abends endlich, ENDLICH seine Ruhe haben zu wollen.

"Du bist nicht allein" - auf nichts trifft der alte Schlagertitel von Roy Black so gut zu wie auf die Arbeit. Stirn an Stirn, nur durch zwei dünne Flatscreens getrennt, hocken die Mitarbeiter im Großraumbüro und müssen notgedrungen jedem Telefonat, jedem Räuspern, Apfelkauen, den Selbstgesprächen und jedem Handyklingelton lauschen. Verständlich, wenn sich nach dem siebten Mal "Ich bin verliebt, weil es dich gibt, ghetto ghetto bap bap" von Eddy Bär (aktuelle Nummer eins der Klingeltoncharts!) Amokphantasien in die Tagträume schleichen.

Kein kauziger Einzelgänger gesucht

Doch die räumliche Nähe ist dem Chef noch lange nicht genug. Die Kollegen sollen sich nicht nur permanent sehen, sondern auch noch gemeinsam Ideen entwickeln. Teamwork heißt das Zauberwort, dass alle zur Verzweiflung bringt.

In jeder Stellenanzeige wird "Teamfähigkeit" eingefordert. Welches Unternehmen sucht schon den kauzigen Einzelgänger, der mittags lieber allein eine Runde um den Häuserblock zieht und dabei auf seinem Leberwurstbrot herumkaut, als in die Kantine zu gehen? Selbst wenn ein Leuchtturmwärter für eine einsame Hallig gesucht wird, verfallen Personaler auf die irrwitzige Idee, in der Annonce von Kollegialität und Offenheit zu faseln.

Auf der nächsten Seite: Wie die Lastenverteilung in Teams wirklich aussieht - und wie Lama-Wandern, Trommelkurse oder Anti-Terror-Trainings alle Gruppenprobleme lösen sollen.

"Aber wir sind doch ein Team!"

"Team = Toll, ein andrer macht's!"

Und wer schon einmal gezwungen war, mit Kollegen ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen, weiß: Teamarbeit funktioniert einfach nicht. Der Spruch "Team = Toll, ein andrer macht's!" auf Blech geprägt gehört zu jeder halbwegs ordentlichen Büroausstattung. Denn im Team setzen alle darauf, dass sich schon ein Dummer finden wird, der die Arbeit erledigt.

Üblicherweise läuft es nämlich so: Da gibt es die Zuspätkommer und Zufrühgeher, die nur die Hälfte des Teammeetings mitbekommen und prinzipiell fehlen, wenn Aufgaben verteilt werden. Außerdem mit von der Partie sind die Einheimser: Sie sind ganz groß darin, sich in den Vordergrund zu drängeln, um Lorbeeren zu sammeln, machen sich aber immer dann klein, wenn eine eigene Meinung gefragt ist. Die äußern kann wiederum das Alphatier besonders gut. Und wer eine andere Ansicht vertritt, wird an die Wand geredet.

Eddy Bär in der Endlosschleife

Am schlimmsten sind jedoch die Schnorrer, die zwar nett und freundlich sind, aber trotzdem keinen Handschlag tun. Stattdessen appellieren sie an das Verantwortungs- und Mitgefühl des anderen: "Ach komm, stell dich nicht so an. Wir sind doch ein Team!" Kombiniert mit einem Hundeblick oder einem freundschaftlichen Knuff auf den Oberarm bewirkt dieser Satz, dass der Depp, der sowieso die meiste Arbeit hat, noch mehr Aufgaben übernimmt.

Zum guten Schluss sitzen alle bei der Mediation, weil es eben doch nicht so einfach ist, die verschiedenen Charaktere an einen Tisch zu bringen. Oder ihre Vorgesetzten verdammen sie zu Gemeinschaftsaktivitäten, die aus parasitären Einzelgängern teamfähige Gutmenschen machen sollen: Lama-Wandern, Trommelkurse, Anti-Terror-Training, der Markt lässt keine Wünsche offen.

Also: Wen wundert es da, wenn der Kollege sich abends nach Einsamkeit sehnt? Alleine in der Wohnung kann er dann all die schlechten Eigenschaften ausleben, die ihn tagsüber an den Kollegen in den Wahnsinn treiben: mit sich selber sprechen, rülpsen, räuspern. Und dazu die Maxi-CD von Eddy Bär in der Endlosschleife.

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