Mein Kollege sagt ...:"Ab heute bin ich dein Chef"

Die Beförderung des einstigen Kollegen ist ein Albtraum für das Team: Sobald einer vom Großraumbüro ins Einzelzimmer zieht, ist statt Kumpanei plötzlich Kommandoton angesagt.

Julia Bönisch

Was waren das noch für Zeiten, als man gemeinsam durch die Hölle ging: Wenn der Chef schon morgens schlechte Laune hatte, die Projektpartner nervten und es zu allem Überfluss zu Hause auch noch Ärger gab, war der Kollege der einzig wahre Seelenverwandte. All die Qualen, die das triste Angestelltendasein mit sich bringt - leeres Bankkonto, volles Überstundenkonto - durchlitt das Team gemeinsam.

Chef, iStock

Vom Kollegen zum Chef: Dem einstigen Kameraden haftet das Image des Verräters an.

(Foto: Foto: iStock)

Wie ein altes Ehepaar ging man zusammen durch gute wie durch schlechte Zeiten, kannte die Vorlieben (mittags Kartoffelpü, zwei Stück Zucker in den Kaffee und die Sekretärin aus der Logistik) und Abneigungen (die Kollegin gegenüber, Raucher im Fahrstuhl) des anderen und konnte einträchtig und innig gemeinsam lästern oder schweigen. Nahtlos reihte man sich ein neben andere erfolgreiche Büro- und Businesspaare: Sergei Brin und Larry Page, Verona Feldbusch und Franjo Pooth, Siegfried und Roy.

Vom Großraumbüro ins Einzelzimmer

So wie Roys Unfall und Franjos Pleite den Traum von trauter Zweisamkeit zerstörten, tut es im Falle der Kollegen die Beförderung: Sobald der eine vom Großraumbüro ins Einzelzimmer zieht und demnächst das Sagen hat, ist statt Kumpanei plötzlich Kommandoton angesagt. Ist einer Chef, ist prompt die Atmosphäre vergiftet. Ein Satz wie: "Ich bin ab heute dein Vorgesetzter" ist das Aus für die Büro-Beziehung und hat etwa so viel Charme wie "Lass uns Freunde bleiben" oder "Ich brauche ein bisschen Abstand".

In dieser Trennungsphase bleibt den auf der unteren Karrierestufe Zurückgebliebenen nichts anderes übrig, als den Aufstieg des anderen mit einem süßen Lächeln zu begleiten. Anstand und gute Erziehung verlangen, Zornesausbrüchen nur ungestört auf der Toilette nachzugeben und vordergründig Freude zu heucheln.

Zu allem Überfluss wird die Inthronisation des neuen Chefs auch noch gefeiert: Im beengten Konferenzraum drängen sich alle Übergangenen, um mit warmem Prosecco auf den Erfolg des Davongezogenen anzustoßen. Dies ist auszuhalten, wenn man die Mittagspause stressbedingt gestrichen hat und deshalb die abgestandene Plörre auf leeren Magen binnen kurzem benebelnde Wirkung entfaltet.

Umstrukturierung, Überstunden und Entlassungen

Unerträglich aber wird es, wenn sich der Vor-Vorgesetzte bemüßigt fühlt, den Beförderten mit warmen Worten zu huldigen. Ein Satz wie: "Herr Meier wird mit Sicherheit frischen Wind in die Abteilung bringen", klingt in den Ohren der anderen nach Umstrukturierung, Überstunden und Entlassungen.

"Wie kann er nur? Der war doch vorher einer von uns!" Prompt haftet dem einstigen Kollegen das Image des Verräters an. Aus Freunden werden Feinde, aus Martin wird Herr Meier. Sein Kartoffelpü mit Sauce muss er jetzt alleine essen, denn wer den Mittagstisch mit dem Überläufer teilt, begibt sich mit ihm auf eine Stufe und genießt im Team etwa so viel Ansehen wie eine Hummer essende Klassenkämpferin in der Linkspartei.

Auf der nächsten Seite: Wege aus dem Dilemma - Charmeoffensive oder Sklavenhalter-Methoden?

"Ab heute bin ich dein Chef"

Schinden wie ein Sklavenhalter

Zarte Annäherungsversuche des neuen Vorgesetzten an seine ehemaligen Kollegen und Bemühungen, das gestörte Verhältnis zu kitten, sind meist erfolglos. Also bleiben ihm nur extreme Reaktionen: Entweder, er probiert es mit einer total durchschaubaren Charmeoffensive. Selbst unterdurchschnittliche Ergebnisse lobt er in den Himmel, spendiert bei warmem Wetter eine Runde Eis und mailt höchstselbst Youtube-Filmchen an sein Team, in denen sich frustrierte, übergewichtige Engländer über ihren Chef lustig machen.

Oder er kehrt seine dunkelsten Seiten nach außen, schindet die Kollegen wie ein Sklavenhalter und versucht, sich mit Unnahbarkeit und neuen Anzügen den nötigen Respekt zu verschaffen. Während bei Methode eins das Eis zwar alle gerne essen, hinter seinem Rücken aber fleißig weiterschimpfen, provoziert er mit Methode zwei eine offene Kriegserklärung.

Die Lösung sind nur flache Hierarchien - so flach, dass eigentlich niemand genau weiß, wer im Unternehmen nun wirklich für was zuständig ist und wer wem etwas zu sagen hat. Das ist vielleicht dem Unternehmensergebnis nicht unbedingt zuträglich, der Unternehmenskultur auf jeden Fall. Es gibt schließlich nichts schöneres, als sämtlichen Veränderungen gelassen entgegenblicken zu können: "Eigentlich ist mir ziemlich egal, wer unter mir Chef wird."

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