Medizinstudium:Schlechte Diagnose für die Unikliniken

Ärzte streiken - Leerer Flur

Die Folgen der hohen Arbeitsbelastung bekommen auch die 1,7 Millionen Patienten zu spüren, die jedes Jahr an deutschen Unikliniken behandelt werden.

(Foto: dpa)
  • Universitätskliniken werden als Arbeitgeber zunehmend unattraktiv.
  • Weil sich Beruf und Familie dort kaum vereinen lassen, sind Frauen stark unterrepräsentiert.
  • Kritiker fordern vor allem flachere Hierarchien und flexiblere Arbeitszeiten.

Von Christine Prussky

Irgendwann lässt Carolin Siech ganz beiläufig den Satz fallen, der gestandene Klinikchefs und Gesundheitspolitiker erschrecken muss. "Natürlich", sagt die Frankfurter Medizinstudentin, "nutze ich die Zeit des Studiums und der Ausbildung ganz bewusst dazu, mir auszusuchen, wo ich später arbeiten möchte." Der Satz trifft die neuralgische Stelle der deutschen Universitätsmedizin wie ein Nadelstich. Sind Unikliniken als Arbeitgeber eigentlich noch attraktiv?

Nein, sind sie nicht. Enormer Leistungsdruck, ständiger Zeitmangel, starre Hierarchien und ein erhebliches Gehaltsgefälle verursachen nicht nur ein chronisch schlechtes Betriebsklima an Universitätskliniken. All das drückt die Leistung, oder auf Neudeutsch: die Performanz. Seit fast zwei Jahrzehnten ist die Unimedizin deshalb angezählt. Ihre Hierarchien, Organisations- und Weiterbildungsstrukturen kritisiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft genauso wie der Wissenschaftsrat.

Deutschlands wichtigstes Beratungsgremium in Wissenschaftsfragen hat die etwa 35 Unikliniken seit der Jahrtausendwende bereits so konstant auf dem Radar wie keine andere Wissenschaftseinrichtung. 2004, 2005 und 2007 verabschiedete der Kölner Expertenrat umfängliche Empfehlungen zur Unimedizin. Immer vehementer fordert er darin die Kliniken auf, endlich flachere Hierarchien zu schaffen. Mit ernüchterndem Ergebnis.

"Wenn die Unimedizin ihre Organisationsstruktur nicht reformiert, ist sie in ihrer Existenz bedroht."

"Passiert ist nichts", sagt Hans-Jochen Heinze. Der Neurologieprofessor ist hauptberuflich Direktor der Uniklinik Magdeburg und einer der größten Kritiker des bundesdeutschen Mediziner-Regiments. Kliniken müssten "jungen Leuten endlich ein klares Signal geben, dass wir sie brauchen", sagt Heinze. "Wenn die Unimedizin ihre Organisationsstruktur jetzt nicht reformiert und bessere Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schafft, ist sie in ihrer Existenz bedroht."

Heinzes Wort hat Gewicht auch im einflussreichen Wissenschaftsrat. Im vergangenen Oktober brachte er dort einen Beschluss zu den "Perspektiven der Universitätsmedizin" durch, der es in sich hat. Wissenschaftler und Politiker aus Bund und Ländern bekennen sich darin geschlossen dazu, an Unikliniken sogenannte Profilbereiche mit flachen Hierarchien und arbeitsteiligen Strukturen einzurichten. Von ihnen, so Heinzes Hoffnung, soll "der Spirit zu einer umfassenden Personalstrukturreform in der Medizin und vielleicht sogar der gesamten Wissenschaft ausgehen".

Tatsächlich würden die Profilbereiche als trojanische Pferde im Kampf gegen die verkrusteten Hierarchien an Unikliniken fungieren. Um an jeder Klinik wenigstens eine solche Einheit zu etablieren, kämen in den nächsten zehn bis 14 Jahren etwa zwei Milliarden Euro auf Bund und Länder zu. Dabei ist die Medizin schon jetzt im Vergleich zu anderen Disziplinen personell vergleichsweise stark aufgestellt. 27 Prozent aller hauptberuflich an Hochschulen Beschäftigten sind an Medizinischen Fakultäten und Kliniken tätig.

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