Mediziner-Ausbildung:Discount-Doktor in nur drei Jahren

Die Uni Oldenburg will den "Bachelor of Medicine" einführen. Ärzte warnen: Absolventen werden nach einem Schmalspur-Studium auf Patienten losgelassen.

Charlotte Frank

Lange Zeit rühmten die deutschen Mediziner ihre Fakultäten als letzte Bastionen im Kampf gegen die neuen europaweiten Studienabschlüsse Bachelor und Master: Unverändert müssen Ärzte zwischen dem ersten und zweiten Teil ihrer Ausbildung das Physikum bestehen, und erst nach durchschnittlich 13 Semestern endet das Studium mit dem Staatsexamen. Die vielerorts von Konflikten begleitete Universitätsreform, der "Bologna-Prozess", schien an der Medizin spurlos vorbeizuziehen. Doch damit ist nun Schluss: Als erste deutsche Hochschule will die Universität Oldenburg einen Bachelor- und Master-Studiengang in Medizin einführen. Die Ärzte protestieren.

Bereits im Mai warnte der Deutsche Ärztetag: "Ein künstliches und unnötiges Überstülpen des zweigliedrigen Systems auf das Medizinstudium führt ausschließlich zu Nachteilen für alle Beteiligten". Der Medizinische Fakultätentag, in dem die 35 deutschen Lehrstätten zusammengeschlossen sind, bezeichnet die Pläne als "grotesk". Die Gegner stoßen sich vor allem am Abschluss "Bachelor of Medicine", der in Oldenburg angedacht ist. Sie fürchten, dass Ärzte schon bald nach einer dreijährigen Schmalspur-Ausbildung auf Patienten losgelassen werden.

Drei-Jahres-Mediziner oder "richtige Ärzte"

Die Oldenburger widersprechen und preisen ihr internationales Konzept: Mit der in der Medizinerausbildung seit Jahren erfahrenen holländischen Universität Groningen als Partner wollen sie die "European Medical School Oldenburg-Groningen" gründen. Der Master würde einen "echten internationalen Doppelabschluss" darstellen, mit dem die Absolventen problemlos in Deutschland und in den Niederlanden arbeiten könnten.

"Wir setzen darauf, dass die meisten Studenten an den Bachelor den Master anschließen", sagt Reto Weiler, Professor für Neurobiologie in Oldenburg. So sei es auch in der Schweiz und in den Niederlanden üblich, wo es den Medizin-Bachelor in Medizin schon länger gebe. Außerdem betont Weiler, dass die Drei-Jahres-Mediziner gar keine "richtigen Ärzte" werden sollten, weshalb er die Aufregung der konservativen Gegner nicht nachvollziehen könne.

Arbeit am Patienten

Weiler zeigt sich überzeugt: "Wenn die Leute erstmal auf dem Markt sind, wird man sich um sie reißen." Und: Die Ausbildung an der neuen European Medical School solle von Anfang an viel praxisorientierter sein als im alten Medizinstudium. Damit habe jeder, der mit einem Bachelor of Medicine die Universität verlasse, bereits einen großen Erfahrungsschatz mit der Arbeit am Patienten. Schließlich ist sich Weiler sicher: "Die meisten medizinischen Fakultäten in Deutschland haben solche Pläne in der Schublade. Früher oder später wird die Reform überall durchgesetzt".

Wo aber könnte in Zukunft ein Mediziner mit einer nur dreijährigen Ausbildung eingesetzt werden? Neurobiologe Weiler sieht Bedarf "an der Schnittstelle zwischen Arzt und Pfleger". Ein Bachelor-Absolvent könnte zum Beispiel als Assistent in Praxen niedergelassener Mediziner arbeiten: "Da kann er den Arzt von wichtigen Aufgaben entlasten". Auch in Versicherungen, Gesundheitsunternehmen oder der Pharmaindustrie könnten sich schnell passende Stellen finden.

Schimpfen über die "Discount-Medizin"

Auf der nächsten Seite: Warum es Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität in Oldenburg gibt und wieso Ärzte über die "Discount-Medizin" schimpfen.

Schimpfen über die "Discount-Medizin"

Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität

Die organisierten Ärzte halten das für Unsinn. Sie schimpfen über "Discount-Medizin" und sehen in den Plänen einen Versuch, die deutsche Approbationsordnung zu unterlaufen. "Für einen Arzt mit Bachelor gibt es weder Bedarf noch Berufsbild", sagt Josef Pfeilschifter, Dekan der medizinischen Fakultät in Frankfurt am Main und Präsidiumsmitglied des Medizinischen Fakultätentags. Auch in Zeiten des Ärztemangels dürfe man keine Abstriche bei der Ausbildung machen.

Zudem fürchtet Pfeilschifter, dass die ohnehin knappen Studienplätze in Medizin durch die Umstellung von Leuten besetzt würden, die gar nicht vorhätten, den Arztberuf zu ergreifen. Und speziell auf Oldenburg bezogen äußert er Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität, denn bislang besaß die dortige Universität weder eine medizinische Fakultät noch ein Universitätsklinikum. Stattdessen sollen drei Krankenhäuser als Ausbildungsstätte zusammengeschlossen werden. "Wo bleiben da die Grundlagenforschung und die Freiheit der Lehre?", fragt Pfeilschifter. Er sagt: "Da billigt man eine medizinische Fakultät im unteren Qualitätsspektrum unter zweifelhaften wissenschaftlichen Bedingungen."

Das Land Niedersachsen hat der Universität Oldenburg die Finanzierung ab dem Wintersemester 2011/2012 bereits zugesagt. Über die endgültige Realisierung muss nun der Deutsche Wissenschaftsrat entscheiden, der die Pläne im Oktober begutachten wird. Doch so sehr die konservative Medizinerschaft auf die Unzufriedenheit der Studenten anderer Fächer mit der Bologna-Reform pocht - der Wissenschaftsrat ist für seine positive Einstellung zu Bachelor und Master bekannt.

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