Mediation:Empathie für beide Parteien

Mediation

Wenn zwei Kontrahenten sich zu guter Letzt die Hände reichen, ist das ein tolles Gefühl für den Mediator.

(Foto: Getty Images)

Außergerichtliche Schlichtungsverfahren werden immer beliebter. Wer sich zum Mediator fortbildet, kann ein Spezialgebiet wählen.

Von Miriam Hoffmeyer

Nachbarn grüßen einander nicht mehr wegen schlecht verlegter Kantensteine im Vorgarten. Schüler hassen ihren Lehrer, weil der das falsche Stück für die Theateraufführung ausgesucht hat. Die Atmosphäre im Büro ist vergiftet, denn Kollegen und Vorgesetzte streiten erbittert über die Aufgabenverteilung. Wenn Konfliktparteien nicht mehr weiter wissen, wird Ralf Kramann gerufen. Der gelernte Bankkaufmann und Kommunikationstrainer für mittelständische Firmen ließ sich 2010 zum Mediator weiterbilden. Heute kümmert er sich vor allem um Streitfälle in Unternehmen und an Schulen im Raum Hannover.

"Diese Weiterbildung war die beste Entscheidung meines Lebens", lautet das Fazit, das Kramann zieht. "Es ist so befriedigend, wenn sich Menschen am Ende wieder die Hand geben können. Auch mein eigenes Konfliktverhalten hat sich verändert: Ich verstehe jetzt, was mir einer, der mich angreift, wirklich sagen will."

Mediatoren vermitteln in Konflikten, die meistens schon lange schwelen - ob zwischen Paaren, die sich scheiden lassen, oder zwischen Tochterunternehmen desselben Konzerns. Sie hören die Ansichten beider Parteien an, ohne sie zu bewerten, und helfen den Streitenden, gemeinsam zu einer für alle tragbaren Lösung zu kommen. Der Gang zum Gericht wird dann unnötig, alle Beteiligten können ihr Gesicht wahren. Vor etwa 30 Jahren kam das Verfahren aus den USA nach Deutschland, seitdem hat es sich immer weiter verbreitet. Das Mediationsgesetz von 2012 hat zum Ziel, inner- und außergerichtliche Verfahren zur einvernehmlichen Konfliktlösung zu fördern. "Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als der Begriff ständig mit Meditation verwechselt wurde, das ist vorbei", sagt Sosan Azad vom Bundesverband Mediation, dem mit ungefähr 2500 Mitgliedern größten Verband in diesem Bereich. "Mediation ist in der Gesellschaft angekommen."

Für die Fortbildung interessieren sich neuerdings auch Ärzte, Betriebsräte oder Polizisten

In Deutschland gibt es ungefähr 80 000 professionell ausgebildete Mediatoren. Doch längst nicht alle üben ihre Tätigkeit hauptberuflich aus. Die Weiterbildung zum Mediator ist eine klassische Zusatzqualifikation vor allem für Juristen, Sozialarbeiter und Psychologen. Das Spektrum der Berufe sei in den vergangenen Jahren wesentlich breiter geworden, meint Sosan Azad, die in ihrem Berliner Büro "Streit Entknoten" selbst Mediatoren-Nachwuchs ausbildet. Neben freiberuflichen Trainern und Beratern kommen auch viele Angestellte, die Mediation in ihrem Berufsalltag anwenden wollen: Betriebsräte, Personaler, Verwaltungsangestellte, Kaufleute, Polizisten oder Ärzte. Eine dritte Gruppe bestehe aus Menschen, die sich persönlich weiterentwickeln wollten, unter ihnen viele ehrenamtliche Mitarbeiter von Vereinen oder Bürgerinitiativen.

Zu den Inhalten der Weiterbildung gehören Methoden und Techniken der Kommunikation und Moderation, Konfliktanalyse sowie rechtliches und psychologisches Grundwissen. Am wichtigsten sind aber praktische Übungen, bei denen die Teilnehmer auch in die Rollen der Streitenden schlüpfen. Die Ausbildung sei ein Prozess, der Zeit brauche, betont Azad: "Es geht darum, die eigene Reflexionsfähigkeit, das Verständnis für Konflikte und eine bestimmte Sensibilität und Empathie zu entwickeln." Mediatoren müssen immer neutral bleiben, auch wenn sie sich einer Partei näher fühlen als der anderen. Der Rechtsanwalt Uwe Bürgel, Sprecher der Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation (BAFM), nennt zwei ganz unterschiedliche Tugenden, die Mediatoren benötigen: Führungsstärke, aber auch Demut und Vertrauen, dass die Streitenden selbst die für sie guten und richtigen Lösungen finden können. "Das lernt man nur durch praktische Übung und nicht durch Vortrag."

Mediation hat ihre Ursprünge in der Lösung von Konflikten in der Familie. Meist geht es dabei um die Trennung oder Scheidung von Paaren mit Kindern. Die Psychologin und Familienmediatorin Nicole Becker bekommt ihre Aufträge teils direkt von betroffenen Familien, teils von einer vom Jugendamt finanzierten Beratungsstelle. Diese Fälle seien am schwierigsten, sagt sie: "Es dauert lange, die Eltern überhaupt dahin zu bringen, dass sie wieder miteinander reden und ihren Fokus auf die Bedürfnisse ihrer Kinder lenken. Aber das ist das Einzige, was diesen Kindern helfen kann. Es ist sehr schön, diese Arbeit zu tun, weil sie so immens wichtig ist."

Nicole Becker ist zugleich stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des Masterstudiengangs Mediation an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Der Studiengang wird als Weiterbildung neben dem Beruf angeboten. Bisher wurden dort 350 Absolventen ausgebildet. Die Studierenden können sich in drei bis vier Semestern nicht nur auf Wirtschafts-, Familien- oder Schulmediation spezialisieren, sondern auch auf Mediation in der öffentlichen Planung oder Friedensmediation. Für diesen Bereich interessieren sich zum Beispiel Diplomaten oder Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen.

Trotz der unterschiedlichen Felder, in denen das Verfahren zum Einsatz kommt, funktioniert Mediation im Prinzip immer ähnlich. Am augenfälligsten sind die Unterschiede in der Dauer: Mediationen in emotional aufgeladenen Konflikten in Familien oder zwischen Mitarbeitern derselben Firma dauern wochen- oder monatelang. Wesentlich straffer läuft die Mediation zwischen Unternehmen, trotz der meist sehr komplexen Thematik. "Wenn alle gut vorbereitet sind und sich einigen wollen, lassen sich Konflikte zwischen Unternehmen in ein bis zwei Tagen lösen", sagt Cristina Lenz, Vorstandsmitglied des Bundesverbands für Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt (BMWA). Die ehemalige Konzernjuristin arbeitet schon seit 20 Jahren als Wirtschaftsmediatorin. In dieser Zeit ist Mediation ein übliches Verfahren für große, aber auch für mittelständische Unternehmen geworden. Trotzdem sieht Cristina Lenz Mediation nicht als Allheilmittel. Denn allzu oft sei nur die Konfliktpartei mit dem größten Leidensdruck wirklich interessiert, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. "Mediation spart Zeit, Geld und Nerven. Aber nur dann, wenn die Beteiligten wirklich den Willen dazu haben", sagt Lenz. "Und eins darf man nicht vergessen: Bei jeder Mediation kommen auch Dinge hoch, die die Streitenden lieber unter der Decke gehalten hätten."

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