Berufsbegleitender Master:Fit für den Kampf mit dem Arbeitgeber

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Für jede Gesprächssituation gewappnet: An der Uni Bremen üben Betriebsräte verschiedene Kommunikationsstrategien ein.

(Foto: imago/Westend 61)

In einem bundesweit einzigartigen Masterstudiengang der Universität Bremen lernen Betriebsräte Strategien, wie sie ihre Aufgaben besser meistern können.

Von Joachim Göres

Wie kann ich als Alleinerziehende meinen Schichtdienst besser mit den Bedürfnissen meiner Kinder vereinbaren? Mit meiner angeschlagenen Gesundheit kann ich nicht mehr als Fahrer arbeiten, welche Alternativen gibt es für mich im Unternehmen? Einige der Fragen, mit denen Beschäftigte der Bremer Straßenbahn AG zur Betriebsrätin Sandra Werner kommen. Der Betriebsrat ist für alle möglichen Probleme oft der erste Ansprechpartner für die circa 2300 Angestellten. "Jeder ist anders, deswegen muss man individuell reagieren. Gerade bei persönlichen Dingen ist die Gesprächsführung wichtig, damit mein Gegenüber sich öffnet. Dabei hilft mir das Studium, meine Arbeit nicht intuitiv zu machen, sondern sie mit Methoden zu reflektieren und zu verbessern", sagt Werner.

Die 53-Jährige studiert an der Universität Bremen "Arbeit-Beratung-Organisation", im bundesweit einzigen Masterstudiengang für gewählte Interessenvertretungen. Dieses Studium, das erst seit dem Jahr 2019 existiert, wird berufsbegleitend für Betriebsräte, Personalräte, Mitarbeitervertretungen, Schwerbehindertenbeauftragte und Gleichstellungsbeauftragte angeboten und dauert vier Jahre. Im ersten Studienjahr ging es unter anderem um die Theorie und Praxis bei der Beratung von Individuen und Gruppen, im gerade beendeten zweiten Studienjahr lag der Schwerpunkt auf Fragen der Personal- und Organisationsentwicklung. Dazu gehörte auch die Analyse eines Praxis-Projekts.

Betriebsräte müssen selbst Lösungen erarbeiten - das wird an der Uni geübt

Bei der Bremer Straßenbahn AG hatte Werner zusammen mit weiteren Betriebsratsmitgliedern ein Konzept entwickelt, damit die Reinigung der Fahrzeuge neu organisiert wird und sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Körperlich anstrengende Tätigkeiten wurden von der Nacht auf den Tag verlegt und durch den Einsatz von Hilfsmitteln reduziert. Zudem wurden gesündere Reinigungsmittel eingesetzt, die auch Wasser und Energie einsparen. "Wir haben zwei Jahre bei der Geschäftsleitung für dieses Projekt gekämpft. Bei der Umsetzung sind wir zunächst bei vielen Beschäftigten auf Abwehr gestoßen, die bisher oft die Erfahrung gemacht hatten, dass Veränderungen für sie zu Verschlechterungen führen. Mit einem Pilotprojekt konnten wir sie dann überzeugen", sagt Werner.

Dieses Projekt ist für die ausgebildete Straßenbahnfahrerin ein Beispiel dafür, dass Betriebsratsarbeit heute viel mehr ist als das Reagieren auf Schritte der Unternehmensleitung: "Als Betriebsrat sind wir immer mehr bei der Mitgestaltung gefordert: Wir müssen selbst Vorschläge machen, die Hand und Fuß haben, Konzepte schreiben und darin mit entsprechenden Belegen das Für und Wider darlegen."

Für Simone Hocke ist klar, dass diese komplexer werdende Arbeit umso erfolgreicher sein kann, je mehr Betriebsräte die Chance haben, ihr Handeln auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Die Erziehungswissenschaftlerin hat am Zentrum für Arbeit und Politik der Uni Bremen den Studiengang konzipiert und durchgesetzt, dass weder ein Bachelor-Abschluss noch das Abitur Voraussetzung zur Zulassung sind. Entscheidend ist für Hocke, dass Bewerber wichtige Tätigkeiten aus ihrer Betriebsratsarbeit nachweisen können, zum Beispiel das Vorbereiten und Leiten von Sitzungen, das Verhandeln mit Arbeitgebern, die Entwicklung von Konzepten und ihre Umsetzung in die Praxis. "In einem Forschungsprojekt haben wir festgestellt, dass Betriebsräte viele Kompetenzen erwerben, die aber nirgendwo dokumentiert werden. Nach dem Ausscheiden aus dem Betriebsrat geht die Mehrheit an die alte Arbeitsstelle zurück und ist überqualifiziert und oft auch unglücklich. Mit dem Studium können sie ihre neu erworbenen Fähigkeiten nachweisen und so ihre Chancen auf eine qualifizierte Stelle erhöhen", erläutert Hocke.

Anstelle des kompletten Masters kann man ein Zertifikatsprogramm machen

Dabei gibt es unterschiedliche Studienmodelle. 2019/20 hatten zwölf Frauen und Männer aus ganz Deutschland den ein Jahr dauernden Studienbereich "Arbeitsbezogene Beratung" belegt. 2020/21 folgte dann "Partizipative Personal- und Organisationsentwicklung". Im September begannen 14 Studierende mit dem Bereich "Arbeits-/Technikgestaltung und Beteiligung" - dort geht es unter anderem darum, wie man Bedenken der Beschäftigten bei der Veränderung der Arbeitswelt aufnimmt und sie an den Entscheidungen beteiligt. Nach diesen drei Studienjahren kann man seine Masterarbeit schreiben. Es ist aber auch möglich, nur einen Studienbereich oder zwei von ihnen zu studieren und diese jeweils mit einem Zertifikatsabschluss zu beenden. Das komplette Master-Studium kostet 19 200 Euro, für ein Studienjahr mit Zertifikat zahlt man 5600 Euro. Bisher übernahmen meist die Arbeitgeber diese Kosten.

Die meisten Studierenden sind Mitte, Ende vierzig, für sie liegt die Zeit des systematischen Lernens schon lange zurück. "Man hat im Studium mit völlig neuen Themen und vielen theoretischen Texten zu tun. Das ist herausfordernd, aber bewältigbar, denn es macht mir ja Spaß. Außerdem bin ich das Lernen gewohnt, aus meinem Beruf und auch aus ständigen Weiterbildungen für den Betriebsrat", sagt Michael Adebar. Er ist Betriebsratsvorsitzender des Leibniz-Instituts für werkstofforientierte Technologie in Bremen. Dort hat der 40-Jährige nach seiner beruflichen Ausbildung und seinem Fachabitur als Baustoffprüfer gearbeitet, bevor er 2014 erstmals in den Betriebsrat gewählt wurde.

Auch die Reflexion über verschiedene Führungsstile gehört zur Ausbildung

Wie Sandra Werner ist auch Adebar von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, um sich hauptamtlich um die Belange der Belegschaft kümmern zu können. Dazu gehören zum Beispiel die Ausarbeitung und der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten oder die Verbesserung der Bedingungen für die Wissenschaftler am Institut, die meist nur befristet angestellt sind. Mit solchen und ähnlichen Aufgaben ist Adebar mehr als ausgelastet. "Das bedeutet, dass ich in meiner Freizeit fürs Studium lerne, abends nach der Arbeit und an den Wochenenden. Das muss man sich sehr genau überlegen und es auch mit seinem Partner oder seiner Familie vorab besprechen", sagt Adebar. Für den Master sind mindestens 55 Präsenztage vorgesehen. Alle ein bis zwei Wochen trifft man sich zudem in kleinen Lerngruppen.

Adebar gefällt die Auseinandersetzung mit betrieblichen Hierarchien mithilfe verschiedener Theorien, die Reflexion über Führungsstile, die Diskussionen über Hintergründe des Managementhandelns. "Man lernt neue Methoden im Umgang mit Gruppen kennen, kann durch das Studium effektiver arbeiten und profitiert von dem derzeitigen Online-Studium auch für die Betriebsratsarbeit, wo wir coronabedingt derzeit auch nur online tagen", sagt er.

2022 finden wieder Betriebsratswahlen statt. Adebar will wieder kandidieren. Er könne es sich vorstellen, nochmal als Betriebsratsvorsitzender die Geschicke der Interessenvertretung im mehr als 200 Mitarbeiter zählenden Leibniz-Institut zu leiten. Was danach kommt, weiß er nicht. Eines ist ihm aber klar: "Je länger die Freistellung dauert, umso mehr entferne ich mich vom eigentlichen Beruf. Deswegen ist die Qualifizierung durch das Studium wichtig für eine neue Tätigkeit bei meinem Arbeitgeber."

Nähere Informationen zum berufsbegleitenden Masterstudium "Arbeit - Beratung - Organisation" finden sich online in der Studiengangsbeschreibung der Universität Bremen. Am 23. November um 17 Uhr wird eine Online-Infoveranstaltung zu dem Angebot stattfinden.

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