Managerin verklagt Siemens:Ausländisch, weiblich, gemobbt

Lesezeit: 3 min

Sedika Weingärtner war leitende Angestellte bei Siemens. Jetzt verklagt sie den Konzern auf zwei Millionen Euro Schadenersatz für angebliches Mobbing.

Thomas Fromm

Die Multi-Kulti-Thesen von Siemens-Chef Peter Löscher vom Juni 2008 konnten niemanden überraschen, der die Biographie des Österreichers kannte. Löscher, der mehr als 20 Jahre lang in internationalen Konzernen unterwegs war, sagte seinerzeit in einem Zeitungsinterview, dass ihm der Konzern zu weiß, zu deutsch und zu männlich sei. "Eindimensional", befand der Manager damals. Was er sich für die Zukunft wünsche: Mehr Ausländer im Spitzenmanagement, mehr Frauen, mehr Farbe, mehr von allem.

Sedika Weingärtner, gebürtige Afghanin und Mutter von drei Kindern, hatte es im Konzern als Einkaufsmanagerin weit gebracht. Dann kam es zum Eklat. Der Fall wird nun in Nürnberg verhandelt. (Foto: Foto: dpa)

Mit Arbeit überhäuft

Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich eine Mitarbeiterin, die eigentlich all das verkörperte, was Löscher forderte, schon seit Jahren gemobbt. Sedika Weingärtner, heute 45 Jahre alt, gebürtige Afghanin und seit vielen Jahren schon in Deutschland, war innerhalb des Konzerns weit gekommen. Als Einkaufsmanagerin begann sie 2001 bei Siemens in Nürnberg. Im Jahr darauf, berichtet die Frau, hätten die Mobbing-Aktionen begonnen. Die Einkäuferin hatte sich nach ihren Angaben sowohl als Frau als auch als Ausländerin von ihren Vorgesetzten diskriminiert gefühlt. Sie sei isoliert, mit besonders viel Arbeit überhäuft und als Ausländerin beschimpft worden. Man habe in ihrer Anwesenheit Männerwitze erzählt; irgendwann sei sie krank geworden und nach einem Zusammenbruch im Büro beinahe gestorben, sagt sie.

Im Juni 2009 wurde sie von Siemens entlassen - wegen angeblicher Verharmlosung des Holocaust. Vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg verlangt sie nun rund zwei Millionen Euro als Ersatz für körperliche und materielle Schäden. Eine stolze Summe, selbst wenn es sich tatsächlich um Mobbing gehandelt habe, geben auch bayerische Arbeitnehmervertreter des Konzerns zu bedenken.

Der größte Mobbing-Prozess

Tatsächlich ist es der größte Mobbing-Prozess, der jemals in Deutschland verhandelt wurde - und er könnte, je nach Ausgang, Siemens nicht nur viel Geld kosten, sondern auch Peter Löschers Traum von einem internationaleren, weiblicheren Siemens ankratzen. Der Konzern weist die Vorwürfe zurück. "Das Unternehmen duldet keinerlei Diskriminierung", heißt es in einer Stellungnahme in München. "Möglichen Verstößen wird konsequent nachgegangen."

In Arbeitnehmerkreisen erinnert man sich gut an die frühere Kollegin. "Sie war häufig beim Betriebsrat unterwegs", heißt es. Zum Fall Weingärtner will man hier nichts sagen. Nur so viel: Üblich sei Mobbing nicht bei Siemens, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Auch, weil es regelmäßig Treffen von Betriebsrat und Unternehmensvertretern gebe, um Mobbing-Fälle rechtzeitig aufzuspüren und gegen sie anzugehen.

Sie weiß, wie Medien funktionieren

Die Kündigungsschutzklage hat das Landesarbeitsgericht Nürnberg nun auf den 17. März vertagt; dann sollen auch die zunächst ausgeklammerten Mobbing-Vorwürfe verhandelt werden, hieß es bei der Kammer.

Eine Annäherung an den Fall Sedika Weingärtner ist schwierig. 1991 kam sie als Alleinerziehende mit drei Kindern aus Afghanistan nach Deutschland. Sie habe das Land verlassen müssen, weil sie politisch verfolgt war, sagte sie damals. Zuvor hatte sie in der Hauptstadt Kabul als Fernsehjournalistin gearbeitet - seitdem wisse sie, wie Medien funktionieren, heißt es. Sie kam nach Nürnberg, heiratete einen Deutschen, lernte Deutsch - und war wohl das, was man integriert nennt.

Drastische Holocaust-Vergleiche

Dass sich der Konflikt zwischen ihr und dem Unternehmen in den vergangenen Jahren so sehr zuspitzte, hatte selbst Kollegen irritiert - und auch die Konzernspitze. Offenbar war es eine Eskalation - auch der Worte. Laut einem internen Brief, der der SZ vorliegt, soll die Managerin ihren direkten Vorgesetzten in einer E-Mail an Konzernchef Löscher als "unterbelichteten Frauen- und Ausländerhasser" beschimpft haben. In einer Mail an Löscher vom 5. Februar 2009 habe sie sich beschwert und dabei unverhältnismäßig drastische Holocaust-Vergleiche angestellt, wie in der Konzernspitze zu hören ist. Diese Äußerungen hätten schließlich zur Kündigung geführt, erklärte ein Sprecher.

Das Problem ist: Ob und wann genau Diskriminierung und Mobbing stattgefunden haben, ist nur schwer belegbar. In der Regel sind langwierige Gutachten erforderlich, um ein Urteil zu ermöglichen. "Bei Siemens ist Mobbing extrem hart definiert", heißt es bei Arbeitnehmervertretern. Daher werde es nicht leicht sein, die Mobbing-Vorwürfe belegen zu können. Die Ex-Mitarbeiterin verlangt nun mehr als eine Million Euro allein an Schmerzensgeld. Dazu kommen Vermögensschäden.

© SZ vom 21.01.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: