Manager-Studie:Vorbilder mit Gewissensbissen

Chef zornig, wütend, Faust

Aggressionen im Job können die Karriere vorantreiben - wenn sie richtig eingesetzt werden.

Chefs sollen Vorbilder für ihre Mitarbeiter sein, doch einer Studie zufolge werden viele Manager nicht einmal den eigenen moralischen Standards gerecht. Und das hat Folgen.

Von Julia Daumann

Ob Kapitän einer Fußballmannschaft oder Chef eines großen Unternehmens - wer Entscheidungen trifft, muss für diese geradestehen, so der gesellschaftliche Konsens. Das große Wort "Verantwortung" wird gern benutzt, wenn es um Moral in der Arbeitswelt geht. Doch was halten die Manager selbst von derartigen Wertvorstellungen? Gehen sie mit Mitarbeitern um, wie es ihrem eigenen sittlichen Empfinden entspricht?

Nicht immer, lautet das Ergebnis einer Studie der Akademie für Führungskräfte. Mehr als 93 Prozent der befragten Manager handeln demnach zumindest manchmal entgegen ihren eigenen Überzeugungen. Wenngleich sich laut Untersuchung 83 Prozent im Allgemeinen meist als gutes Vorbild sehen, behaupten das nur 75 Prozent in Bezug auf ihre Arbeitsweise. Auch wenn es um die eigenen Vorgesetzten geht, sehen einige Manager Defizite: Ein Drittel antwortete, der jeweilige Chef verhalte sich hin und wieder moralisch fragwürdig.

"Überrascht hat mich doch, dass fast jeder schon einmal nach eigenen Vorstellungen unmoralisch gehandelt hat", sagt Lars-Peter Linke, Geschäftsführer der Akademie für Führungskräfte. Gerade unter Zeit- und Erfolgsdruck werden wohl häufig Kompromisse geschlossen, die nicht wirklich tugendhaft sind.

Doch sind Effizienz und Moral tatsächlich Widersprüche? Nein, meint Professor Volker Stein, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Siegen. Der Experte für Personalmanagement sieht vielmehr die Firmen in der Pflicht: "Wo sind Unternehmen bereit, ihrerseits Kompromisse einzugehen?", sei die entscheidende Frage.

Die Moral liegt in den Spielregeln, die Effizienz in Spielzügen, so lautet eine Faustregel der Wirtschaft. Doch was passiert, wenn ein Mitarbeiter, der sich bewusst gegen den effizientesten Spielzug entscheidet, um die Regeln einzuhalten, keine Unterstützung des Arbeitgebers erfährt? "Belastend wird es für die Führungskraft, wenn sie Effizienz und Moral als Nullsummenspiel ansieht. Als sei das eine nur auf Kosten des anderen zu bekommen", erläutert Stein.

Kognitive Dissonanz wird in der Sozialpsychologie ein Zustand genannt, in dem die eigenen Entscheidungen nicht mehr mit der eigentlichen Meinung und Einstellung vereinbar ist. Starke Dissonanz könne die Souveränität beeinträchtigen und sogar zu Unsicherheit führen, erklärt Stein: "In den meisten Fällen überspielt die Führungskraft dies durch Härte, Unnahbarkeit oder Herunterspielen des Widerspruchs." Abzuwarten sei dann, ob die Person ihre Handlungen an die moralischen Überzeugungen anpasst oder aber die Überzeugung an das Handeln.

Moralische Instanz mit Mängeln

Gewissensbisse könnten sogar Auswirkungen auf das Entscheidungsverhalten haben, bemerkt Linke. "Das ist ungefähr so, als ob ein Schiedsrichter der Meinung wäre, er hätte den Elfmeter eigentlich gar nicht geben dürfen. So was kann jede weitere Entscheidung beeinflussen." Weiter findet er, dass Führungskräfte ihre Moral- und Wertvorstellungen noch zu selten klar für sich definierten.

Nach dieser Untersuchung setzen sich Führungskräfte aber durchaus mit der Frage nach Verantwortung auseinander: Immerhin behaupteten 44 Prozent der Manager, die ihnen anvertraute Verantwortung ernster zu nehmen als andere. Knapp 95 Prozent gaben sogar an, diese Verpflichtung gerne einzugehen. Dabei scheinen Vorbilder jedoch rar zu sein. Denn, so ein Ergebnis der Befragung, kaum einer konnte ein eigenes Vorbild nennen.

Ohne Leitfiguren gehe es aber kaum, so Stein: "Vorbilder sind heute im Berufsleben immens wichtig. Durch den unmittelbaren Einfluss des Vorgesetzten wird bei Mitarbeitern Motivation, Engagement und Bindung ausgelöst - all das, was in der modernen Personalführung erwünscht ist." Umso gravierender erscheint das Ergebnis, nachdem ein Drittel der Manager durchaus Mängel beim Verhalten des Chefs erkennt.

Doch verzeiht man Vorgesetzten moralisches Fehlverhalten? Kaum, meint Linke. Besonders seit sich der öffentliche Diskurs immer mehr um moralisches Verhalten und Ethik drehe, sei die Fehlertoleranz in Bezug auf Führungskräfte gesunken: "Meine Interpretation ist: Es fehlt der Kompass." Was sind die Maßstäbe, die man an sich selbst und an andere legt? Damit Mitarbeiter Entscheidungen des Vorgesetzten nachvollziehen und respektieren können, müsste ehrlich kommuniziert werden, warum sie getroffen wurden. "Viele Führungskräfte tun dies nicht, weil sie Angst haben, sich angreifbar zu machen", erklärt der Akademie-Geschäftsführer.

Man versuche, sagt Linke, Misserfolge eher zu personalisieren als Erfolge. Während wir uns bei guten Nachrichten automatisch fragten, wie lange dieser positive Zustand anhalte, beginne die Ursachenforschung bei schlechten Nachrichten sofort: "Ursachen macht man dann gerne an Personen fest."

Die Macher der Studie fragten nach der Bindung zum Unternehmen. Dabei kam heraus, dass jeder fünfte Teilnehmer der Umfrage keine starke Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber empfindet. Mehr als jeder Vierte fühlt sich seinem Unternehmen heute weniger verbunden als am Anfang seiner Betriebszugehörigkeit.

Das haben nicht zuletzt die Unternehmen selbst zu verantworten: Das Verhältnis der Führungskraft zur Firma ist offenbar ein Knackpunkt. Laut Stein müssen die Konzerne helfen, Wert- und Moralvorstellungen der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen vereinbar zu machen: "Die Unternehmen dürfen ihre Führungskräfte in dieser Frage nicht alleine lassen".

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