Süddeutsche Zeitung

Männer- und Frauenkarrieren:Wer sich hinterfragt, gilt als schwach

Lesezeit: 2 min

"Für Männer ist Macht völlig normal. Frauen dagegen äußern offen Unsicherheiten": Beraterin Rita Kahrig über Ehrgeiz, Karrieren und Erfolg.

C. Demmer

In den Top-Führungspositionen der Wirtschaft sind Frauen noch immer die Ausnahme - trotz guter Ausbildung, hohen Engagements und erklärter Lernbereitschaft. Letzteres sollten sie jedoch klug dosiert bekunden, meint Rita Kahrig, früher Personalchefin von Oracle Deutschland, heute Beraterin und Coach aus Neufahrn bei München. Denn wenn Frauen ihren Vorgesetzten gegenüber allzu offen Unsicherheiten zugeben, schade das ihrer Karriere.

SZ: Zeigen Männer und Frauen unterschiedliche Präferenzen bei der beruflichen Weiterbildung?

Rita Kahrig: Anfangs nicht. Nachwuchsführungskräfte sind hochmotiviert und legen viel Energie an den Tag. Fachlich sind sie auf der Höhe ihrer Zeit. Für alle neu ist jedoch die Führungsaufgabe, deshalb sind sie an Führungsthemen, insbesondere an deren praktischer Umsetzung besonders stark interessiert. Im späteren Verlauf der Karriere wenden sich Männer jedoch bevorzugt fachlich-strategischen Fragestellungen zu, während das Augenmerk der Frauen verstärkt auf weicheren Faktoren wie Unternehmenskultur und Mitarbeiterführung liegt.

SZ: Frauen stärken also Stärken, die sie ohnehin schon haben?

Kahrig: Ja, denn diese Themen interessieren sie sehr. Außerdem messen sie den sogenannten weichen Faktoren große Bedeutung für den langfristigen Unternehmenserfolg bei.

SZ: Persönlichkeitsentwicklung gehört zur Weiterbildung dazu. Wie reagieren Männer typischerweise, wenn ihnen ein Coaching angeboten wird?

Kahrig: In der neuen Rolle nehmen sie die Unterstützung zunächst gerne an. Doch je länger sie in der Führungsaufgabe sind und je weiter sie aufsteigen, desto stärker sinkt ihr Interesse. Ich habe Sätze gehört wie: "Das hat man mir aufs Auge gedrückt." Und: "Ich habe doch genug Erfahrung - was wollen die mir noch beibringen?" Dabei geht es gar nicht um die Behebung von Defiziten, sondern darum, an ihrer persönlichen Wirkung zu arbeiten. Es ist noch nicht bei allen angekommen, wie nützlich es ist, sein eigenes Handeln zu reflektieren. Auf höherem Level bekommt man ja selten ein offenes Feedback.

SZ: Verhalten sich Frauen anders?

Kahrig: Anfangs sind sie für Coaching ebenso offen wie Männer. Aber viele Frauen fragen auch in der weiteren Laufbahn proaktiv nach Unterstützung und Reflektion ihres Handelns.

SZ: Das ist doch gut, oder?

Kahrig: Grundsätzlich ist das gut. Nur hinterfragen sie sich oft zu viel und zu offen. Sie erzeugen damit häufig bei männlichen Vorgesetzten den gegenteiligen Effekt: Diese Form der Bereitschaft, an sich zu arbeiten und noch besser zu werden, wird als Schwäche interpretiert.

SZ: Warum?

Kahrig: Männer zweifeln nie daran, dass sie einer neuen Aufgabe gewachsen sind. Zumindest sprechen sie dies nicht offen an. Wenn Frauen allzu freimütig Unsicherheiten äußern, sind sie in den Augen vieler Führungskräfte nicht für höhere Aufgaben geeignet. Denn Männer werten Selbstzweifel als Indiz von Schwäche. Wie können Vorgesetzte an Beförderung denken, so ihre innere Argumentation, wenn die Frauen selbst noch nicht von sich überzeugt sind?

SZ: Aber Manager nutzen doch selbst begeistert jede Gelegenheit, Einsatz und Wirkung von Machtstrategien zu lernen?

Kahrig: Das erwarten viele vom Coaching. Für Männer ist Macht und das Streben danach etwas völlig Normales. Die Frauen gehen damit längst noch nicht so unbefangen um. Aber man braucht Macht und Einfluss, um Dinge verändern und vorantreiben zu können. Und das wollen Frauen auch.

SZ: Sollten Frauen also weniger selbstkritisch sein?

Kahrig: Überhaupt nicht - sie sollten mit dieser Stärke nur nicht hausieren gehen. Mein Rat ist: Sie sollten Netzwerke aufbauen, mutig ihr Ziel verfolgen und von erfolgreichen Frauen und Männern lernen. Sich ein Stück vom männlichen Ego abschauen. Aber sie dürfen dabei nicht ihre Identität verlieren, das wirkt verkrampft.

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Quelle:
SZ vom 14.8.2009
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