Lohnentwicklung:Geringverdiener: Aus wenig wird weniger

Sie verdienen ohnehin nicht viel - und selbst das wird weniger. Geringverdiener müssen seit dem Jahr 2000 drastische Loheinbußen einstecken. Obwohl die Wirtschaft wächst. Teilweise haben sie bis zu 22 Prozent weniger in der Tasche, offenbart jetzt eine Studie.

Aus wenig wird weniger: Geringverdiener haben seit dem Jahr 2000 drastische Lohneinbußen hinnehmen müssen: Ihre Bezüge sanken um bis zu 22 Prozent und damit weit stärker als die Nettoeinkommen aller Beschäftigten, wie aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervorgeht. Neue Jobs entstehen laut Statistik mittlerweile vor allem durch die meist schlechter bezahlte Leiharbeit.

Studie: Nettoeinkommen der Arbeitnehmer gesunken

Die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer in Deutschland sind nach einer Studie in den vergangenen zehn Jahren real gesunken. Vor allem in den unteren und mittleren Einkommensgruppen mussten die Beschäftigten bei Einberechnung der Geldentwertung Einbußen hinnehmen, wie eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab.

(Foto: dpa)

Der DIW-Untersuchung zufolge hatte ein Geringverdiener, der zur Jahrtausendwende 270 Euro pro Monat verdiente, im vergangenen Jahr 59 Euro weniger in der Tasche. Wer vor zehn Jahren noch 520 Euro monatlich auf dem Konto hatte, musste zuletzt mit 85 Euro weniger auskommen; Geringverdiener mit ehedem 835 Euro verfügten nur noch über 705 Euro. Seit dem Jahr 2000 betrugen die Lohneinbußen zwischen 15,6 und 21,9 Prozent. Die Nettoeinkommen aller Beschäftigten gingen hingegen nur um 2,5 Prozent zurück.

Auch für Beschäftigte mit mittleren Einkommen weisen die vorläufigen DIW-Zahlen Einbußen aus. Besserverdienende verbuchten hingegen teilweise einen geringen Anstieg ihrer Nettoeinkünfte. "Die Wirtschaft ist seit der Jahrtausendwende ordentlich gewachsen", sagte DIW-Verteilungsforscher Markus Grabka der "Berliner Zeitung" vom Dienstag. Die Gewinne und Vermögenseinkommen seien "insgesamt sogar kräftig gestiegen". Doch bei den meisten Erwerbstätigen sei vom Wirtschaftswachstum nichts angekommen.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger warf der Bundesregierung Untätigkeit vor. "Es gibt Möglichkeiten, die Löhne zu stabilisieren. Doch die Politik interessiert sich nicht dafür", sagte er der Zeitung. Bofinger plädierte dafür, Arbeitnehmer bei den Sozialabgaben zu entlasten. So sollten die Arbeitgeber künftig wieder die Hälfte der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung übernehmen.

Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag mitteilte, waren von den 2010 entstandenen 322.000 neuen Arbeitsplätzen 182.000 - also 57 Prozent - Leiharbeiter-Stellen. Insgesamt machte demnach die sogenannte atypische Beschäftigung sogar mehr als 75 Prozent der neuen Jobs aus. Dazu zählen neben Leiharbeit auch befristete und geringfügige Stellen sowie Teilzeitarbeit unter 20 Stunden pro Woche. Die Zahl der atypisch Beschäftigten stieg der Statistik zufolge 2010 auf bundesweit 7,84 Millionen.

Die Grünen forderten angesichts der Zahlen ein Programm gegen Lohnarmut mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns und einer Neuregelung bei den Minijobs. Auch müssten Leiharbeiter das Recht auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit haben, forderte die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer. Die Verankerung dieses Equal-Pay-Grundsatzes in der Leiharbeit forderte auch Linken-Chef Klaus Ernst. Zugleich erneuerte er die Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde. Zudem müssten Mini-Jobs und befristete Arbeitsverhältnisse massiv eingedämmt werden.

Die IG Metall bezeichnete die Entwicklung auf dem Niedriglohnsektor als Armutszeugnis für die Politik."Wenn von 40 Millionen Erwerbstätigen sieben Millionen in Minijobs arbeiten, hat die Politik die Reformschraube überdreht", erklärte IG-Metall-Chef Berthold Huber. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit sprach sich ebenfalls für einen Mindestlohn aus. Im Niedriglohnsektor gebe es inzwischen Auswüchse, "die man beschäftigungspolitisch nicht rechtfertigen kann", sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, der Berliner Zeitung.

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