Lohndumping bei der Kirche:Der knallharte Samariter

In Berlin übernimmt ein evangelisches Stift Pflegeheime der katholischen Caritas. Doch von Nächstenliebe keine Spur: Die neuen Besitzer geben sich als Lohndumper, die faire Pflegesätze gefährden.

M. Drobinski

Man könnte die Unterschriften dieses Donnerstags als schönes Zeichen christlicher Solidarität werten: Da geraten in Niedersachsen sechs Pflegeheime der katholischen Caritas in Not, und dann kommt aus Berlin das evangelische Johannesstift daher, rettet die Schwestern und Brüder, kauft rückwirkend zum 1. August die Heime zu 90 Prozent (zehn Prozent bleiben bei der Caritas) und will noch 8,3 Millionen Euro investieren. Die Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben, die Heime in ökumenischem Geist geführt werden, für die Heimbewohner soll sich nichts ändern. Es klingt, als sei ein moderner Samariter in Hannover vorbeigekommen, gerade noch rechtzeitig.

Lohndumping bei der Kirche: Pflegeheim: Lassen sich christlicher Anspruch und wirtschaftliches Denken in der Pflege noch in Einklang bringen?

Pflegeheim: Lassen sich christlicher Anspruch und wirtschaftliches Denken in der Pflege noch in Einklang bringen?

(Foto: Foto: ddp)

Trotzdem hat das erste Geschäft dieser Art, bei dem sozusagen katholische Häuser evangelisch werden, viel Ärger ausgelöst. Sauer sind zuerst viele der 580 Beschäftigten. Sie mussten einer 13-prozentigen Lohnsenkung zustimmen; in fünf Heimen taten das fast alle Beschäftigten, in einem nur 60 Prozent. Auch das gebe nicht die wahre Stimmung wieder, sagt Annette Klausing von der Gewerkschaft Verdi: In einem Klima der Angst und Verunsicherung hätten viele Mitarbeiter keinen anderen Ausweg gesehen, als zu unterschreiben.

Christlicher Anspruch und wirtschaftliches Denken

Selbst die evangelischen Glaubensbrüder der hannoverschen Diakonie sind nicht erfreut über die Ausdehnung der Berliner - die sind, zugespitzt gesagt, in ihren Augen Lohndumper, die faire Löhne und Pflegesätze gefährden. Und damit geht der Streit um den Samariter aus der Hauptstadt auch darum, ob sich christlicher Anspruch und wirtschaftliches Denken in der Pflege noch in Einklang bringen lassen.

Im April, das lässt sich nicht bestreiten, standen die fünf Caritas-Heime vor der Insolvenz; mehr als 1,5 Millionen Euro Minus im Jahr erwirtschafteten die Einrichtungen. Nicht, weil es in den Heimen eklatantes Missmanagement gegeben hätte, hieß es bei der Caritas, sondern weil die Pflegesätze in Niedersachsen um neun Prozent niedriger sind als in den anderen West-Bundesländern.

Der Grund: In Niedersachsen sind fast 60 Prozent der Pflegeheime privat geführt, und in privaten Heimen sind die Löhne in der Regel niedriger. Der Pflegesatz errechnet sich aber auch aus den Durchschnittskosten der Heime - für die kirchlichen Träger eine existenzbedrohende Falle: Zahlen sie die vereinbarten Tarife, geraten sie in Finanznot. Der hannoverschen Diakonie geht es da nicht viel besser.

Auf der nächsten Seite: Warum Pflege-Experten fürchten, dass die kirchlichen Heime sich immer mehr dem häufig niedrigeren Standard der privaten Anbieter nähern.

13 Prozent weniger Gehalt

Scharfer Wettbewerb

Dem Berliner Johannesstift schon. Mit dem höheren Pflegesatz in Berlin lässt sich besser wirtschaften, der Tarif der Mitarbeiter liegt niedriger, vor allem haben sie eine Klausel im Arbeitsvertrag: Gerät eine Einrichtung in Not, können die Gehälter um bis zu 13 Prozent gesenkt werden. Im Pflegebereich herrscht ein scharfer Wettbewerb, die Berliner sahen die Gelegenheit, einen neuen Markt zu erschließen. Doch dafür müsste die Berliner Lohnsenkungsklausel auch in Hannover gelten, forderten sie.

Die Caritas willigte ein: Besser das christliche Johannesstift als irgendein privater Träger, sagte der Vorstandsvorsitzende der Caritas Hannover, Martin Tenge. Ein "Debakel" bleibe der Vorgang trotzdem: "Wenn unsere Häuser in einem anderen Bundesland stünden, hätten wir unseren Mitarbeitern das ersparen können."

Christliche Konkurrenz

Kritiker des Deals stören sich vor allem an der Gehaltssenkung. Die Pfleger und Verwaltungsangestellten, weil 13 Prozent weniger in der Tasche gerade den unteren Lohngruppen weh tun. Pflege-Experten fürchten, dass die kirchlichen Heime sich immer mehr dem häufig niedrigeren Standard der privaten Anbieter nähern. Enttäuscht ist auch die Diakonie, die bis dahin gemeinsam mit der Caritas für einen höheren Pflegesatz gekämpft hat. Wie soll das noch funktionieren, wenn aus Berlin eine ebenfalls christliche Konkurrenz daherkommt und sagt: Wir arbeiten billiger? Auf der Seite steht Hannovers Landesbischöfin Margot Käßmann - die Übernahme der Heime durch das Johannesstift untergrabe die Verhandlungsposition der Kirchen in Niedersachsen, kritisierte sie.

Es könne auch keine Rede davon sein, dass der kirchliche Träger das Niveau der Pflege senken wolle, kontert Martin von Essen, der Vorsteher des Johannesstifts. Selbstverständlich werde man sich für höhere Löhne starkmachen. Dem glauben die Caritas-Mitarbeiter nicht und haben an die niedersächsischen Bischöfe und an Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) geschrieben: "Wir erleben Kirchen, die ihrer besonderen Verpflichtung nicht nachkommen und sich am Lohndumping beteiligen."

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