Kleine Jungs sitzen bekanntlich nicht gerne still, Mädchen dagegen blättern auch mal in einem Buch oder malen ein hübsches Bild. Doch seitdem Bildungsforscher den Jungen Defizite in der Schule attestieren, ist das geschlechtsspezifische Rollenmuster nicht nur bei Feministinnen in Verruf geraten.
Weil Buben schon in der ersten Klasse schlechter lesen und schreiben als Mädchen, sollen sie bereits im zarten Alter von drei Jahren zum häufigeren Gebrauch der Sprache angehalten werden. Das zumindest will die britische Jugendministerin Dawn Primarolo erreichen: Zum neuen Jahr wird sie den Kindergärten im Königreich einen neuen Leitfaden für die Jungenförderung ins Haus schicken.
Vorgesehen sind etwa Rollenspiele, in denen die Buben einen Handwerker am Telefon oder den Kellner im Restaurant mimen sollen. Mit außergewöhnlichen Schreibmaterialien wie Sand oder Schokoladenpulver soll ihnen die Scheu vor Buchstaben genommen werden.
Jungen lesen nur widerwillig
Seit längerem diagnostizieren Kinderärzte Lese- und Rechtschreibschwäche vor allem bei Jungen. Auch mit ihrer Lesefreude ist es nicht weit her, wie die internationale Schulstudie Pisa belegt: Jungen lesen oft nur widerwillig und zudem schlechter als Mädchen.
Unter den 15-Jährigen gibt nur jeder Siebte an, er lese freiwillig und regelmäßig. Jeder Zweite sagt, er lese nur, wenn er unbedingt müsse, bei den Mädchen ist es nur jede Dritte. Und obwohl sie inzwischen fast ebenso viel vor dem PC oder an der Playstation sitzen wie Jungen, lesen die Mädchen trotzdem weitaus mehr. Gesichert sind auch die unterschiedlichen Vorlieben.
Wenn Jungen denn lesen, bevorzugen sie Abenteuerbücher mit starken (männlichen) Helden und viel Action, Mädchen greifen nach Pferde- oder Internatsgeschichten. Und weil die meisten Lehrer weiblich sind, könnten Jungen in der Schule zu selten Lesestoff bekommen, der sie wirklich packt.
Die als langweilig empfundene Schullektüre könnte ein Grund für den Rückstand sein, mutmaßen die Erfurter Leseforscherinnen Karin Richter und Monika Plath, doch Fachleute diskutieren auch andere Ursachen: etwa die Hormone, die schon im Mutterleib weibliche und männliche Gehirne unterschiedlich prägen, weshalb kleine Mädchen mit einem besseren Sprachgefühl auf die Welt kämen.
Frühleseprogramme blieben erfolglos
Und wenn Mama dann mehr mit ihnen redet, entwickelt sich ihre Sprache schneller als die der Jungen. Ebenso können Geschlechtsstereotypen - Papa spielt Fußball, Mama liest vor - das Leseverhalten beeinflussen. Wenn dann noch eine Frau Buchstaben auf die Tafel malt, ist den Jungen klar: Lesen und Schreiben ist Weiberkram. Dem versuchen die inzwischen zahlreichen Leseförderinitiativen gegenzusteuern. Sie fahnden gezielt nach Männern als Vorleser in Stadtbüchereien oder bieten Jungenlektüre an.
Ob aber die Förderung der Dreijährigen fruchtet? Frühleseprogramme der siebziger Jahre brachten kaum messbare Ergebnisse. Der Münchner Bildungsforscher Manfred Prenzel hält die britische Initiative für prinzipiell richtig: "Alles, was dazu beiträgt, dass Jungen mehr lesen, ist gut." Allerdings müsse die Förderung möglichst ungezwungen geschehen, die Kinder müssten das Gefühl bekommen, dass Lesen und Schreiben etwas ganz Natürliches sei.
Ein Trost bleibt den lesefaulen Jungen und ihren Eltern: Die Unterschiede glichen sich meist später aus, sagt Experte Prenzel. Noch hat sich die frühkindliche männliche Bildungsmisere nicht in den Chefetagen ausgewirkt.