Arbeitnehmer:Weiterbildung wird zur Privatsache

Workshops für Musiker

Vor zehn Jahren fanden noch 80 Prozent der betrieblichen Weiterbildungen während der Arbeitszeit statt, heute sind es nur noch 60 Prozent.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Kurse und Fortbildungen finden häufiger nach Feierabend statt. Viele Arbeitnehmer finden das in Ordnung, doch für die Unternehmen birgt die Entwicklung ein Risiko.

Von Christine Demmer

Mehr als 33 Milliarden Euro haben Arbeitgeber 2013 in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investiert, deutlich mehr als 2010. Manches deutet darauf hin, dass die Unternehmen künftig wieder preiswerter davonkommen werden. Denn die Verantwortung für die berufliche Weiterbildung geht immer stärker auf die Arbeitnehmer über. Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück, sagt: "Sehr viele Arbeitgeber haben durchaus diese Erwartung." Und vor allem: Auch viele Arbeitnehmer sind dazu bereit.

In einer Umfrage des Mannheimer Personaldienstleisters Hays unter 1215 Führungskräften und hochqualifizierten Fachkräften bejahten zwei von drei Chefs (65 Prozent) die Aussage: "Es liegt in der Verantwortung der Mitarbeiter, fortlaufend in die Erweiterung ihrer Kompetenzen zu investieren." Damit war zu rechnen. Nicht aber damit, dass ein fast ebenso hoher Anteil der Wissensarbeiter (62 Prozent) sagte: "Es liegt in meiner Verantwortung als Mitarbeiter, fortlaufend in die Erweiterung meiner Kompetenzen zu investieren." Frank Schabel von Hays findet das verständlich: "Die klugen Köpfe haben individuelle Karrierevorstellungen und daher meist ein klares Bild vor Augen, welche Fortbildung sie angehen möchten."

Wissensarbeiter nennt man Menschen, die eher mit dem Kopf als mit den Händen arbeiten. Dass sie in ihrer Freizeit Fachliteratur lesen, Kollegen auf Kongressen treffen und auch sonst für Wissensnachschub sorgen, liegt auf der Hand, denn nur ständiges Weiterlernen sichert ihr Einkommen. Wer wie Ingenieurbüros, Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen viele hoch qualifizierte Mitarbeiter beschäftigt, weiß sich also ein Stück weit entlastet. Denn bisher teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Aufwand für Weiterbildung. Das gängige Modell: Der eine bezahlt, der andere lernt in seiner Freizeit.

In vielen Tarifverträgen ist das so geregelt, und auch auf europäischer Ebene sind sich die Sozialpartner einig. In der internationalen Norm ISO 26000, in der die gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen beschrieben ist, heißt es: "Organisationen sollten dafür sorgen, dass menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitert werden." Wie das zu geschehen habe, liege in der gemeinsamen Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie sei je nach Nutzen und Interessen zu teilen. Die ungeschriebene Regel lautet: Wer aus Lust und Laune Neues lernt, muss privat dafür aufkommen. Wer vom Chef gesagt bekommt, was er für den Job zu lernen habe, präsentiert die Rechnung seiner Firma. Uwe Kanning begründet das ökonomisch: "Im Grunde ist der Mitarbeiter ja ein Investitionsgut. Wenn Unternehmer eine Maschine kaufen, kommen sie ja auch nicht auf die Idee, bei ihren Mitarbeitern Geld dafür zu sammeln."

Mitarbeiter opfern mehr Freizeit für Weiterbildung

Doch auch die Beschäftigten bezahlen, und zwar immer öfter mit Freizeit. 2007 fanden vier Fünftel der betrieblichen Weiterbildung in der Arbeitszeit statt. Heute sind es gerade noch zwei Drittel. Diese Zahlen nennt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und lobt sie als "erfreuliche Entwicklung". Die Mehrheit der Betriebe wünsche sich, dass ihre Beschäftigten mehr Freizeit für die eigene Weiterbildung einbringen.

Dabei tun sie schon eine Menge. Im Weiterbildungsbericht 2014 rechnet das Bundesministerium für Bildung und Forschung vor, dass Arbeitnehmer mittlerweile ein Viertel ihrer insgesamt für Weiterbildung aufgewendeten Zeit mit beruflich veranlasstem, aber selbst finanziertem Lernen verbringen. Ein weiteres Viertel der Zeit entfällt auf die rein private Weiterbildung wie Musik- und Sportkurse oder Fremdsprachen für den Urlaub. Die andere Hälfte des Weiterbildungsvolumens ist betrieblich veranlasst und wird von den Arbeitgebern finanziert. Der größte Einzelposten hierbei sind nicht etwa teure Seminare, sondern schlicht das Anlernen neuer Mitarbeiter am Arbeitsplatz.

Wer bestimmt Art und Qualität der Weiterbildung?

Geteilte Verantwortung klingt nach einer fairen Lösung. Denn theoretisch gewinnen beide Partner. Die einen müssen nicht in frisch ausgebildetes Personal investieren. Die anderen verbessern ihre Chancen bei der Jobsuche, weil es ja immer noch Arbeitgeber gibt, die lieber neu einstellen als weiterzubilden. Weniger fair klingt es, dass die Firmen zwar viel Lernbereitschaft erwarten, aber zu wenig von dem schulen, was im digitalen Zeitalter gebraucht wird. Laut einer Umfrage von TNS Infratest unter Personalern sagen 91 Prozent, dass es ohne Online-Kompetenzen heute nicht mehr ginge. Aber nur 55 Prozent bieten Fortbildungen rund um Internetkompetenzen an. Die gleiche Schieflage zeigt sich bei der IT-Sicherheit. 88 Prozent der Personaler halten das Thema für enorm wichtig. Aber nur 59 Prozent bilden hier weiter.

Professor Uwe Kanning

"Wenn immer mehr Arbeitnehmer die Verantwortung für ihre Weiterbildung bei sich sehen, dann steigt der normative Druck für die anderen."

Zwei gegenläufige Trends, sagt Kanning, seien zu beobachten. "Auf der einen Seite haben immer mehr Arbeitnehmer das Gefühl, sie müssten mehr als das Übliche in ihre Bildung investieren." Das Bewusstsein habe sich verfestigt, dass man sich weiterqualifizieren müsse, und das sei auch gut und richtig. Nur, gibt Kanning zu bedenken: "Wenn immer mehr Arbeitnehmer die Verantwortung für ihre Weiterbildung bei sich sehen, dann steigt der normative Druck für die anderen. Die fürchten, sonst ins Hintertreffen zu geraten."

Während Wissensarbeiter ihre Eigenverantwortung schon verinnerlicht haben, bringt die demografische Entwicklung Trend Nummer zwei ins Spiel. Weil es mittelfristig weniger hoch qualifizierte Arbeitnehmer gibt, steigt der Wettbewerb um gesuchte Fachkräfte. Die aber wollen für ihre Investitionen in die eigene Weiterbildung mehr verdienen. Arbeitgeber sollten hier vordenken, sagt Frank Schabel von Hays: "Wer sich zu schnell aus der Verantwortung zieht, hat langfristig das Nachsehen."

Noch eine Runde weiter denkt Bernhard Schelenz aus Großkarlbach. Der Arbeitgeber-Kommunikationsberater glaubt, dass einige Personaler durchaus das Risiko eingehen würden, dass nicht sie, sondern die Mitarbeiter künftig die Art und die Qualität der Weiterbildung bestimmten. "Man trennt sich dann eben von denjenigen, deren Wissen nicht passt, und verkauft das als Merkmal unternehmerischer Agilität."

Uwe Kanning bleibt optimistisch. Zwar hält er die hohe Qualifizierungsbereitschaft der Arbeitnehmer für nicht mehr umkehrbar. "Aber vielleicht rudern die Arbeitgeber ja auf breiter Front zurück." Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht die Entwicklung kritisch. Bereichsleiterin Anne Voß beklagt, dass Arbeitgeber sich weigern würden, über die Lastenverteilung bei der Weiterbildung zu reden. "Sie wollen das Thema Qualifizierung ausklammern - und damit auch, wer in der Verantwortung steht, wenn sich Mitarbeiter nebenberuflich für den Job weiterbilden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: