Süddeutsche Zeitung

Leistungsdruck:Perfektionisten leben gefährlich

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Die systematische Überlastung in Unternehmen rächt sich: Die Zahl der Burn-out-Fälle steigt weiterhin.

Interview von Nicola Holzapfel

SZ: Herr Kratzer, die Zahl psychischer Erkrankungen nimmt zu. Wa rum?

Nick Kratzer: Die Unternehmen überlasten sich systematisch und geben diese Überlastung an ihre Beschäftigten weiter. Der heutige Leistungsdruck ist die Lösung unternehmerischer Probleme. Der Deal ist: Ihr habt mehr Freiheiten, könnt eure Arbeit selbst einteilen und gestalten. Für Ergebnisvorgaben oder Ressourcen gilt das aber nicht. Die Beschäftigten zahlen dafür den Preis, keinen Schutz mehr vor Überlastung zu haben. Sie schaffen es nicht, die Leistungsvorgaben mit den zeitlichen Anforderungen zu vereinbaren. Man arbeitet immer gegen Unmöglichkeiten an und befindet sich in vielen Dilemmata - etwa zwischen Erfolg und Familie oder Gesundheit.

Das führt irgendwann zum Burn-out?

Es gibt zwei Arten, damit umzugehen: Perfektionismus, der Versuch, alles richtig zu machen, und Pragmatismus, der sich in der Haltung zeigt: Mehr als Arbeiten kann man nicht. Wer zum Perfektionismus neigt, ist gefährdeter. Es quält viele, Arbeit in einer Qualität machen zu müssen, mit der sie nicht zufrieden sind. Das wird als eigenes Scheitern erlebt.

Gibt es also bald Pragmatismus-Kurse, um die Burn-out-Raten zu senken?

Das wäre keine Lösung. Unternehmen senden widersprüchliche Botschaften: Eine pragmatische Haltung ist manchmal sinnvoll, aber auch ein gewisses Maß an Perfektionismus ist erwünscht und nötig. Burnout hat sicher mit persönlichen Einstellungen, aber auch mit der Arbeit zu tun. Das Problem lässt sich nicht individualisieren, dafür sind es zu viele Einzelfälle. Und dadurch schlägt die systematische Überlastung wieder auf die Unternehmen zurück.

Oder wird es neue Eignungstests geben, um die Stressresistenten zu finden?

Dann müssten die Firmen auch kontrollieren, wen diese Mitarbeiter heiraten, dass sie keine Familie gründen und nie krank werden. Momentan sind die Anforderungen nur zu erfüllen, wenn alle da sind, jede Grippewelle ist eine Bedrohung. Die Unternehmen müssen das ganze Leben ihrer Mitarbeiter zur Kenntnis nehmen, statt zu ignorieren, dass es Zeiten gibt, in denen sich Arbeitnehmer um ihre Kinder, Eltern oder die eigene Gesundheit kümmern müssen.

Was ist der Ausweg aus der Überforderung?

Der berühmte Pausenapfel oder andere Ansätze zur Work-Life-Balance reichen nicht. Meist sind das Versuche, Menschen an Strukturen anzupassen, an eine Situation, die persönlich nicht zu bewältigen ist. Es ist zu einer neuen Leistungsanforderung geworden, sich fit zu halten. Aber wenn das Problem systemimmanent ist, sind die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen begrenzt. Firmen müssen die Beschäftigten einbeziehen und eine vernünftige Leistungskultur gestalten. Momentan sind die betriebliche Leistungs- und Gesundheitspolitik voneinander getrennt. Im Grunde müsste man bei jeder Firmenentscheidung fragen, was sie für die Gesundheit der Mitarbeiter bedeutet.

Wird es also künftig noch mehr Burn-out-Fälle geben?

Davon ist auszugehen. Die Arbeitswelt wird nicht weniger anspruchsvoll - und die Erwartungen der Menschen an sie auch nicht. Die Gefährdung steigt mit dem Wert, den die Arbeit für uns hat. Ich glaube, das Thema Erschöpfung hat auch mit Enttäuschung zu tun, dass die Versprechen für ein erfülltes und erfolgreiches Leben nicht eingelöst wurden.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2015
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