Lehrermangel:Wider den Schweinezyklus

In Deutschland fehlen tausende Pädagogen: Schüler klagen über ständigen Lehrerwechsel, Eltern über Stundenausfall und Schulleiter über fehlende Bewerber. An der Tafel stehen Quereinsteiger, Leih-Lehrer und Saisonkräfte.

Birgit Taffertshofer

"Lateinlehrer sind so etwas Ähnliches wie die Blaue Mauritius", seufzte Brandenburgs Bildungsminister Holger Rupprecht, als er vor kurzem über seine vergebliche Suche nach jungen Pädagogen berichtete. Nun sind Lateinlehrer glücklicherweise nicht ganz so selten wie die Blaue Mauritius - von der Briefmarke gibt es weltweit nur zwölf Exemplare - doch viele deutsche Kultusminister klagen über einen Mangel an Lehrern, vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern, aber eben auch in Latein.

Schulklasse, dpa

Schulklasse: Ministerien werben für den Lehrberuf und vergeben großzügig Einstellungszusagen.

(Foto: Foto: dpa)

Die Minister haben deshalb die Tore der Schulen weit geöffnet: An der Tafel stehen heute Quereinsteiger, Leih-Lehrer und Saisonkräfte. Ministerien werben schon bei Gymnasiasten für den Lehrberuf, vergeben großzügig Einstellungszusagen an Referendare und lassen auch Absolventen mit schlechten Noten in den Schuldienst. Doch die Hilferufe aus den Schulen wollen nicht verstummen: Schüler klagen über ständigen Lehrerwechsel, Eltern über Stundenausfall und Schulleiter über fehlende Bewerber. In Bayern wies das Ministerium schon im Mai alle Direktoren an, sich selbst um Lehrernachschub fürs nächste Schuljahr zu bemühen. Hessen startete an diesem Wochenende eine bundesweite Kampagne in Medien und auf Großplakaten, um 2600 zusätzliche Lehrer zu finden.

"Schweinezyklus"

Der Lehrernotstand kommt nicht überraschend. Forscher sagten ihn längst voraus, die Kultusministerkonferenz präsentierte dann vor fünf Jahren beunruhigende Zahlen: 2015 werden an deutschen Schulen 70.000 Pädagogen fehlen, denn nahezu die Hälfte der 800.000 Lehrer geht in die Pension. In Hamburg müssen schon in den nächsten drei Jahren 40 Prozent der Kollegen wegen der Pensionierungswelle ausgetauscht werden. In anderen westlichen Bundesländern sieht es nicht viel besser aus. Doch sobald 2020 die Schülerzahlen aus demographischen Gründen zu sinken beginnen, droht ein Lehrerüberschuss. "Schweinezyklus" nennen Forscher den Wechsel zwischen Mangel und Überangebot.

Lehrergewerkschaften fordern seit langem einen bundesweiten Entwicklungsplan. Bislang hätten die Landesregierungen Lehrer nur nach Haushaltslage eingestellt, deshalb seien die Kollegien nicht nur zu alt, sondern auch unterbesetzt. Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm untersucht seit drei Jahrzehnten den Lehrerarbeitsmarkt, und was er beobachtet, ist eher "Chaos statt systematische Planung". Deutschland steuere auf Zustände wie in den Niederlanden zu. Dort ist der Lehrermangel so groß, dass sich Schulen Lehrer gegenseitig ausspannen. Mehrere hundert Euro extra im Monat bieten sie jenen, die sich locken lassen. So entstehen Unterschiede von bis zu drei Gehaltsstufen. "In Deutschland werden reiche Länder künftig verstärkt versuchen, Lehrer mit höheren Gehältern abzuwerben", sagt Klemm.

Günstige Quereinsteiger

Alleine wegen der angeblich rosigen Aussichten sollte aber kein Abiturient Lehrer werden. Auch heute seien viele arbeitslos, warnt Klemm: "Es gibt große regionale, fächer- und schulartspezifische Unterschiede." Statt die arbeitslosen Pädagogen für Mangelfächer umzuschulen, holen viele Länder lieber günstige Quereinsteiger ans Pult. Erhalten diese nicht einmal Schnellkurse im Unterrichten, müsse man sich ernsthaft Sorgen um die Lehrqualität machen.

"Wir befinden uns im absoluten Blindflug, was den Lehrerbedarf angeht", sagt Klemm. Er selbst wage heute keine Prognose mehr. Denn nun gibt es Bachelor- und Master-Studiengänge, die es Studenten, die ursprünglich Lehrer werden wollten, leichter machen, in die Wirtschaft zu gehen. Noch weiß niemand, wie viele diesen Weg wählen, zumal die Unis oft hohe Hürden für das Master-Studium setzen. Außerdem können Bachelor-Absolventen das Studienfach noch wechseln, und Professoren könnten ausgerechnet die besten Lehramtsanwärter im Jahrgang für ein rein fachwissenschaftliches Studium abwerben. Was ihnen nicht ganz schwerfallen dürfte: Zumindest sind laut Studien Lehramtsstudenten besonders unzufrieden mit ihren Studienbedingungen. Vieles laufe momentan völlig chaotisch.

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