Alle Lehramtsstudenten kennen ihr Berufsrisiko: Heute noch eine gefragte Fachkraft, morgen schon auf der Warteliste in ermüdenden Bewerbungsverfahren. Denn erfahrungsgemäß ist der Lehrerbedarf der Bundesländer trotz aller Prognosen wandelbar. Aktuell gilt jedoch: Die Einstiegsbedingungen sind so gut wie seit Langem nicht mehr. Und das wird auch für die nächsten Jahre so bleiben.
"Aufgrund der Flüchtlingszuzüge und weiterer Entwicklungen wie der Ausweitung der inklusiven Schule und der Ganztagsangebote besteht bundesweit ein hoher Bedarf an Lehrkräften", sagt zum Beispiel die niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Berlin hat zum Februar 970 neue Lehrer eingestellt, Nordrhein-Westfalen 1229. Den Rekord hält Baden-Württemberg mit 6000 neuen Lehrern in den vergangenen beiden Schuljahren - so viele wie seit den Siebzigerjahren nicht mehr.
Bei so viel Nachfrage ist der Arbeitsmarkt inzwischen leer gefegt. Und einige Länder, wie etwa Hessen, stehen vor Problemen. 25 000 Schüler aus Flüchtlingsfamilien hat das Land in den letzten anderthalb Jahren aufgenommen. Insgesamt wurden 2500 zusätzliche Stellen geschaffen, die nicht langfristig eingeplant waren. "Wir können uns nicht von heute auf morgen neue Lehrerinnen und Lehrer backen", sagt Landeskultusminister Ralph Alexander Lorz. Die Ausbildungskapazitäten an den hessischen Hochschulen seien zu gering, um den benötigten Nachwuchs zu produzieren. Und da Lehrer zurzeit überall gesucht sind, kommen auch kaum noch Bewerbungen aus den Nachbarländern rein.
Eine Umfrage in allen Bundesländern zeigt (siehe Tabelle): Es sind häufig dieselben Bereiche, in denen Lehrer fehlen, nämlich an Grund- und Förderschulen und in der Sekundarstufe I, während es im Gymnasium eher einen Überhang gibt. Hier sind nur Lehrkräfte für Mangelfächer wie Latein, Physik, Informatik oder Kunst gefragt. In anderen Schulformen können Bewerber mit fast allen Fächern punkten.
Einzelne Länder verbeamten jetzt sogar 47-Jährige
Die Liebe der Lehrer zum Gymnasium hat mehrere Gründe: Einer ist die Vergütung. Gymnasiallehrer werden besser bezahlt als die Kollegen in anderen Schulformen. Der zweite ist das Selbstverständnis von Lehrern, meint Ilka Hoffmann vom Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): "Viele Lehramtsstudierende brennen für ihr Fach, nicht für die pädagogische Arbeit." Umso größer die Befürchtung, dass der fachliche Unterricht wegen pädagogischer Probleme torpediert wird.
Um Personal auch für die weniger beliebten Schulformen zu finden, müssen die Länder in ihrer derzeitigen Notlage qualifizierten Bewerbern entgegenkommen. Zum Beispiel durch bessere Bezahlung. Die Berliner Senatsverwaltung ändert zum neuen Schuljahr die Vergütung im Grundschullehramt: Bisher zahlte der Stadtstaat nach Angestelltentarif E11, der zwei Stufen unter dem eines Gymnasiallehrers liegt. Zum neuen Schuljahr werden Berliner Grundschullehrer mit E13 gleichziehen.
Ein weiteres Bonbon sind sichere Jobs auf Lebenszeit. In den neuen Bundesländern wurden Lehrer in den vergangenen Jahren nur noch angestellt beschäftigt. Das machte die verbeamtenden Nachbarländer deutlich attraktiver, der Nachwuchs wanderte ab. Jetzt geben zum Beispiel Thüringen und Brandenburg Bewerbern bis zum Alter von 47 Jahren noch eine Chance auf den Beamtenstatus.
Außerdem haben Lehrer, die keinen Job finden oder sich verändern möchten, in mehreren Ländern die Möglichkeit umzuschulen: In Hessen zum Beispiel können sich Gymnasial-, Haupt- und Realschullehrer für das Lehramt an Grund- und Förderschulen weiterqualifizieren. Mit der Aussicht, später wieder an ihre ursprünglich gewählte Schulform zurückzukehren.
Weil auch diese Maßnahmen vermutlich nicht ausreichen, um den Lehrermangel zu beheben, bieten die Länder Quereinsteigern die Chance, Pädagogen zu werden. 600 von ihnen hat allein Niedersachsen im letzten und im laufenden Schuljahr verpflichtet. Für den Umstieg gibt es je nach Bundesland unterschiedliche Modelle. Eine Möglichkeit ist ein abgeschlossenes Fachstudium, das ursprünglich nicht auf das Lehramt angelegt war. Wer ein Referendariat anhängt, erwirbt das Zweite Staatsexamen.
Die zweite Möglichkeit ist der Kaltstart im Job: Die pädagogische Zusatzausbildung erfolgt berufsbegleitend. Variante zwei spart Zeit, hat allerdings einen deutlichen Nachteil: Im ersten Fall sind die Quereinsteiger den Kollegen mit klassischem Lehramtsstudium gleichgestellt. Im zweiten Fall werden die Bewerber auf eine bestimmte Zielstelle hin fortgebildet, können nicht verbeamtet werden und werden schlechter bezahlt.
Diese Sonderbedingungen für Berufsein- und Umsteiger sind aus der Notlage geboren. Aber auch die langfristigen Chancen im Lehrerberuf stehen gut. Denn viele Länder stehen vor einem Generationenwechsel an den Schulen. In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel sind 58 Prozent aller Lehrer an allgemeinbildenden Schulen älter als 50 Jahre. Während die Planer im Schuljahr 2017/18 mit 112 Abgängern aus Altersgründen rechnen, sind es im Schuljahr 2020/21 bereits fünfmal so viel. Und mit mehr als 400 Pensionären bleibt das Niveau für die nächsten zehn Jahre hoch. Deshalb muss das Land, obwohl die Schülerzahlen stabil bleiben, deutlich mehr Lehrer einstellen.
Auch langfristig stehen die Chancen gut
Das Kultusministerium in Sachsen-Anhalt rechnet mit einer Schülerzahl, die bis zum Jahr 2025 jährlich um 2500 ansteigen wird. Dazu kommen bei den Lehrern 700 Altersabgänge pro Jahr. Bisher wird es nur an den Sekundarschulen im ländlichen Raum eng, aber langfristig wird sich das Problem verschärfen. "Deshalb", sagt Ministeriumssprecher Stefan Thurmann, "stellen wir alles ein, was Arme und Beine hat und einen passenden Abschluss unter dem Arm."
Ähnlicher Handlungsdruck entsteht in Thüringen: Hier lässt die Landesregierung die Deckelung auf maximal 500 Neueinstellungen im Jahr fallen. So werden im Jahr 2018 und 2019 insgesamt 1550 neue Stellen entstehen. Wer sie ausfüllen soll, ist noch unklar, denn zurzeit gelingt es nicht, die Referendariatsplätze für die Lehrerausbildung in der Sekundarstufe I zu besetzen. Es gibt einfach nicht genügend Studenten.
Ein guter Zeitpunkt also, um ein Lehramtsstudium zu beginnen - vorausgesetzt die Motivation stimmt. Manche sehen im Lehrerberuf einen lauen Job mit einem sicheren Beamtengehalt, einem kurzen Arbeitstag und einer Menge an Urlaub, von der Durchschnittsarbeitnehmer nur träumen können. Diese Gruppe ist für den Beruf nicht geeignet, meint Ilka Hoffmann. Sie selbst hat vor ihrer Zeit als Funktionärin Grund- und Hauptschullehramt sowie Sonderpädagogik studiert, in einer Schule für Erziehungsschwierige gearbeitet. "Das ist ein harter Job, ein Knochenjob. Aber genau das muss man wollen: Soziale Realität in ihrer ganzen Bandbreite zu erleben und Spuren zu hinterlassen im Leben eines Kindes." Dann sei der Beruf erfüllend. "Andernfalls brennt man aus."