Lehrer im Gefängnis:"Gesunde Portion Angst"

In ihre Klasse gehen Diebe, Gewalttäter oder sogar Sexualstraftäter: In einem einmaligen Programm unterrichten Lehrer im Gefängnis - und müssen dabei auch gegen die eigene Furcht kämpfen.

Es gehört schon Überwindung dazu, im Gefängnis zu unterrichten und regelmäßig vor Verbrechern zu stehen. "Zwei unserer Dozenten sind denn auch wieder abgesprungen", berichtet Gerlinde Kammer von der Mannheimer Abendakademie.

Lehrer im Gefängnis: Gefängnisbibliothek in der JVA Mannheim: Für die Untersuchungsgefangenen gibt es den Unterricht in komprimierter Form.

Gefängnisbibliothek in der JVA Mannheim: Für die Untersuchungsgefangenen gibt es den Unterricht in komprimierter Form.

(Foto: Foto: dpa)

Sie leitet das neue Bildungsprogramm der Volkshochschule in der Justizvollzugsanstalt der Stadt, das unter dem Motto "Neue Brücken bauen..." zur Resozialisierung der Häftlinge beitragen soll. "Je höher der Bildungsgrad eines Menschen ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass er straffällig wird. Das belegen Studien", sagt die 55-Jährige.

Bestandene Prüfung als Bestätigung

Allgemeinbildung sei darum ein wichtiger Baustein für ein Leben "draußen" ohne Kriminalität. Diese Brücke will die Abendakademie gemeinsam mit den Gefangenen mit einem nach ihren Angaben bundesweit einmaligen Programm bauen.

"Das Projekt kommt sehr gut an", berichtet Anstaltsleiter Romeo Schüssler. "Die Häftlinge sind wissbegierig und motiviert", ergänzt Kammer. 14 Monate lang wollen die beiden Einrichtungen zunächst kooperieren.

In dieser Zeit gibt es Kursangebote für Strafgefangene und Untersuchungshäftlinge. Sie können aus 20 Bereichen wie Literatur, Geschichte, Musik, Naturwissenschaft oder Psychologie zehn Fächer auswählen. Acht Dozenten und Dozentinnen sind im Einsatz. Am Ende gibt es in jedem Modul einen Test - und schließlich "einen Schein". "Das Zertifikat ist wichtig als Bestätigung", meint Schüssler.

Strukturierter Tagesrhythmus

Für die Untersuchungsgefangenen gibt es den Unterricht in komprimierter Form: Ähnlich wie in der Schule werden vier Wochen lang tagsüber sechs Stunden hintereinander unterrichtet. Hintergrund ist, dass diese Häftlinge noch auf ihren Prozess warten und solange noch keine Arbeit im Gefängnis haben.

Der Tagesrhythmus für Strafgefangene ist deutlich strukturierter: "In der Regel haben sie Arbeit oder machen eine schulische Ausbildung", erklärt Gefängnischef Schüssler. Für sie ist der Unterricht abends - in der Freizeit, wenn die anderen vor dem Fernsehen hocken.

Auf der nächsten Seite: Was die Lehrer zu ihrer eigenen Sicherheit immer beachten müssen.

Die gesellschaftliche Kluft verkleinern

"Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz"

"Wer da teilnimmt, hat wirklich Interesse", sagt der Anstaltsleiter. Zumal das Ganze auch noch Geld kostet: 20 bis 25 Euro. "Die Beiträge fließen in das Projekt zurück und wir können es so strecken", sagt Schüssler.

Denn eigentlich steht die Finanzierung - die Landesstiftung Baden- Württemberg zahlt 30.000 Euro dafür. Basis ist ihr Programm "Neue Brücken bauen...zwischen Generationen, Kulturen und Institutionen".

Damit fördert sie Projekte, die helfen, einer zunehmenden Kluft in der Gesellschaft gegenzusteuern. Im Mittelpunkt steht immer die Allgemeinbildung, betont die Stiftung. "Es gilt, die Fähigkeit zu kritischem, selektivem und orientiertem Umgang mit Wissen zu vermitteln und auch Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz - das erst unterscheidet Bildung von einer bloßen Anhäufung von Wissen."

Verurteilte Verbrecher als Schüler

Das Mannheimer Projekt ist im November 2008 angelaufen und läuft noch bis Dezember. Die Erfahrungen aus dem größten Gefängnis im Südwesten mit derzeit mehr als 720 Häftlingen, sollen später auf andere Anstalten übertragen werden. Nach dem ersten Kurs in der U-Haft läuft derzeit der erste für Strafgefangene.

Mehr als ein Dutzend haben sich gemeldet - viele mit Migrationshintergrund. "Was nicht verwundert, weil etwa die Hälfte unserer Insassen Ausländer sind beziehungsweise kein Deutsch sprechen", sagt Schüssler.

Er hofft nun, dass die Teilnehmer durchhalten und während der Zeit "keinen Mist bauen". Denn auch wenn die Dozenten "die bedrückenden Momente" ihres ersten Besuchs im Gefängnis längst verarbeitet haben: Die Schüler bleiben verurteilte Verbrecher. "Das darf man zur eigenen Sicherheit nie vergessen", betont der Anstaltsleiter. "Eine gesunde Portion Vorsicht, Angst und Aufmerksamkeit ist immer angebracht."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: