Süddeutsche Zeitung

Lehramtsstudium:Schule der Lehrer

Damit Lehrer keine Fachidioten werden: Mit einer neuen, bundesweit einmaligen Fakultät betont die TU München, wie wichtig ihr die Ausbildung guter Pädagogen ist.

Tanjev Schultz

Im großen Hörsaal fühlen sich Lehramtsstudenten manchmal verloren und einsam. Um sie herum: Hunderte Kommilitonen, die Physik oder Maschinenbau studieren und auf keinen Fall Lehrer werden wollen. Vorne: Ein Professor, der viel zu sagen hat über Details der Fluidmechanik, aber wenig weiß von den pädagogischen Nöten in einem Klassenzimmer.

Das Studium sei zu wenig auf sie zugeschnitten, kritisieren Lehrer. "Wir sind so nebenhergelaufen", sagt Christoph Schindler. Er studiert an der Technischen Universität (TU) in München Physik und Metalltechnik für das berufliche Lehramt und ist aktiv in der Fachschaft. Dass er in der Vergangenheitsform spricht, liegt nicht nur daran, dass er schon im neunten Semester ist. Christoph Schindler glaubt, dass in Zukunft vieles besser sein wird; denn seit Oktober strahlt die Lehramtsausbildung an der TU München besonderen Glanz aus, und sie verfügt über eine eigene Machtbasis: die "School of Education" im Range einer eigenen Fakultät mit etlichen neuen Professuren und etwa 75 Mitarbeitern.

Es ist eine bundesweit bisher beispiellose institutionelle Neuschöpfung, die das Studium der Lehrer aufwerten und zeigen soll: Im universitären Streben nach Exzellenz darf die Ausbildung der Pädagogen nicht an den Rand gedrückt werden. Sie gehört ins Zentrum. Früher wurden Lehramtsstudenten der Fakultät zugeordnet, in der sie ihr Fachstudium absolvierten; so war und ist es üblich in Deutschland. Nun aber haben sie eine pädagogische Heimat.

Die neue Fakultät hat die Hoheit über alle Mittel, die an der Uni für die Lehrerbildung zur Verfügung stehen, einschließlich der personellen Ressourcen in den fachwissenschaftlichen Teilen des Studiums. Das sichert der "School of Education" Geld, Einfluss und Entscheidungsspielräume. Die Fakultät kann über die eigenen Grenzen hinausgreifen: Professoren aus den Fachwissenschaften, die sich in der Lehrerbildung engagieren, können zu einem bestimmten Anteil der "School of Education" zugeordnet werden. So wird die Verantwortung für die Ausbildung der Pädagogen transparent und verbindlich.

Lehrer dürfen keine "Fachidioten" sein

Christoph Schindler ist sich sicher, dass die "Lehramtler" künftig besser gehört werden, dass ihr Zusammenhalt und ihr Stolz auf den Beruf wachsen werden. Er hofft, dass es leichter wird, die Balance zwischen vertieftem Fachwissen und berufsbezogenen Kompetenzen zu finden. Lehrer dürften keine "Fachidioten" sein, sagt er, sie sollten im Studium nicht nur Skripte auswendiglernen, um sie dann schnell wieder zu vergessen. Eine nachhaltige Lernkultur zu entwickeln, darum müsse es gehen. Davon würden später auch die Schüler profitieren.

Große Erwartungen richten sich an den Gründungsdekan der neuen Fakultät, den aus Kiel abgeworbenen Bildungsforscher Manfred Prenzel, der in der Öffentlichkeit durch seine leitende Position im deutschen Pisa-Team bekannt wurde. Die Qualität des Unterrichts zu verbessern, ist seit jeher eines seiner Herzensanliegen - und die Ausbildung der Lehrer ist dafür einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Schlüssel.

An der TU München gibt es etwa 1500 Lehramtsstudenten, die Hochschule konzentriert sich auf die naturwissenschaftlichen Fächer für das Lehramt an Gymnasien und Berufsschulen. Jeder Absolvent wird später über Jahrzehnte hinweg Tausende junge Menschen unterrichten.

Prenzel sagt, auch in den Fachwissenschaften seien die Kollegen "aufgewacht". Sie hätten verstanden, dass es einen Kreislauf gibt zwischen der Ausbildung der Lehrer, den Leistungen der Schulen und den Studenten, die schließlich an die Universität kommen. An der TU München soll nun ein dichtes Netz von Mentoren und Tutorien dafür sorgen, dass die Lehramtsstudenten intensiv betreut werden. "Sie dürfen nicht den Eindruck haben, Studenten zweiter Klasse zu sein", sagt Prenzel. Im Gegenteil. Schon das Bewerbungsverfahren mit mündlichen Auswahlgesprächen soll ihnen signalisieren: Wir wollen die Besten für den Lehrerberuf, und wir kümmern uns um jeden einzelnen.

Die TU investiert mehrere Millionen Euro in ihre neue Fakultät; zahlreiche private Geldgeber helfen ihr, Stiftungslehrstühle aufzubauen. Die Uni wird so auch zu einem neuen, bundesweit ausstrahlenden Zentrum der Bildungsforschung. Den Sog bekommt die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität unmittelbar zu spüren: Deren renommierte Mathematik-Didaktikerin Kristina Reiss wandert jetzt ab und nimmt einen Ruf an der TU München an.

"Wir haben es der Nation wieder mal vorgemacht"

Bei aller Konkurrenz - an der TU hofft man, dass das eigene Modell zum Vorbild für andere Hochschulen wird und die Ausbildung der Lehrer flächendeckend besser wird. "Wir haben es der Nation wieder mal vorgemacht", sagt TU-Präsident Wolfgang Herrmann mit dem ihm eigenen Stolz. Sein ausladendes Selbstbewusstsein wurmt so manchen Kollegen im Rektorenkreis, aber der Coup, der Herrmann mit der "School of Education" geglückt ist, zwingt auch Kritiker zu Respekt und heimlicher Bewunderung. Die neue Fakultät baut auf jahrelangen Vorarbeiten auf. Herrmann ließ zunächst ein Zentralinstitut gründen, es bildete das Fundament für die Fakultät. Außerdem knüpfte die Hochschule ein Netz aus Partner- und Referenzschulen.

So wird es Manfred Prenzel und seinen Kollegen nicht nur möglich sein, den angehenden Lehrern, früh und gut begleitet, Einblicke in die Schulpraxis zu geben. "Ich wünsche mir, dass wir neue Ideen in die Schule tragen können", sagt Prenzel. Wie sieht ein anspruchsvoller naturwissenschaftlicher Unterricht aus? Welche Aufgaben sollten Lehrer ihren Schülern stellen, um nachhaltige Lerneffekte zu erzielen? Die "School of Education" soll eine Brücke schlagen zwischen Lehrern und Bildungsforschern.

Universitätseigenes Gymnasium

Die Universität öffnet ihrerseits Hörsäle und Labore für die Schulen. In der vergangenen Woche feierte das Otto-von-Taube-Gymnasium in Gauting einen neu eingerichteten Oberstufenzug: 14 Schüler besuchen künftig einmal in der Woche die TU München, an den anderen Tagen werden sie durch offene Unterrichtsformen und fächerübergreifende Projekte am Gymnasium besonders gefördert und herausgefordert.

Die Schüler, Lehrer und Wissenschaftler, die an diesem "TUM Kolleg" teilnehmen, überwinden jede Woche neu die Grenzen zwischen Schule und Hochschule. Geht es nach TU-Präsident Wolfgang Herrmann, sind das aber nur die ersten Schritte. Er träumt sogar davon, dass seine Universität dereinst ein eigenes Gymnasium führen könnte.

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SZ vom 12.10.2009/holz
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