Studium:Nach dem Abi? Ab ins Ausland

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Heutzutage haben Abiturienten große Freiräume, zu reisen oder an einem sozialen Projekt auf einem anderen Kontinent teilzunehmen.

(Foto: Alamy/mauritius images)

Praktika bringen Klarheit, welcher Job am besten zu einem passen könnte. So mancher angehende Student verliert dabei seine Illusion.

Von Christine Demmer

Raus aus der Kleinstadt, rein in die große Welt - das hatte sich Pascalina Pashalaki schon als 16-Jährige fest vorgenommen. Genauer: "Work and Travel" sollte es sein. Als die Abiturientin im vorigen September tatsächlich in Sydney landete, unternahm sie erst eine Erkundungsfahrt entlang der australischen Ostküste. Danach arbeitete sie drei Monate lang. "Über den Reiseveranstalter Travel-Works bekam ich für vier Wochen einen Job auf der Farm eines australischen Kochs und Caterers", erzählt Pascalina. Sie kochte, belud die Transportfahrzeuge und ackerte im Küchengarten. Dafür hatte sie Verpflegung und Unterkunft frei und bekam ein kleines Taschengeld, wie Hunderte andere Abiturienten auch, die soeben mit Travel-Works oder einem anderen Veranstalter die Zeit bis zum Studium oder bis zum Beginn der Berufsausbildung überbrücken.

"Anschließend habe ich in Sydney nach einem bezahlten Job gesucht", fährt Pascalina fort. Sie tat all das, was man in klugen Ratgebern liest: herumtelefonieren, Klinken putzen, Bewerbungen verteilen. "Darüber kam aber gar nichts", berichtet die Dortmunderin. Dass sie dann doch eine Stelle als Ferienaushilfe bei einem Online-Versand fand, hatte sie einer Bekannten aus Deutschland mit den notwendigen Kontakte zu dem Versandhändler zu verdanken. "Da habe ich dann acht Wochen lang Klamotten eingepackt", sagt Pascalina lachend. Es sei eine unvergessliche Zeit gewesen. Und: "Jetzt freue ich mich darauf, mein Leben in die Hand zu nehmen und beruflich etwas zu schaffen."

Wie Pascalina wissen viele junge Menschen, die derzeit in einigen Bundesländern für die Abiturprüfungen büffeln, noch nicht, was sie danach machen sollen. Mit Work and Travel oder einem freiwilligen Praktikum lässt sich die Entscheidung noch ein wenig hinausschieben. An Hochschulen hingegen sind manche Praktika Pflicht. Viele Schulabsolventen sind noch unschlüssig, ob sie eine Ausbildung machen oder studieren wollen. Und wenn studieren, dann welches Fach?

Im Praktikum wollen sie herausfinden, ob der Berufsalltag mit ihrer Vorstellung übereinstimmt. Die meisten seien sich danach sicher gewesen, die richtige Wahl zu treffen. Aber er habe auch schon Abiturienten beraten, erzählt André Mosberger, selbständiger Studienberater aus Stuttgart, denen der Realitätsschock die Lust auf den Traumberuf ausgetrieben habe. Nein, so hätten sie sich das nicht vorgestellt, nein, in diesem Beruf wollten sie nicht 40 Jahre lang tätig sein - seien ihre Reaktionen gewesen. "Wenn das den jungen Leuten klar geworden ist", sagt der Pädagoge, "dann hat das Praktikum seinen Zweck erfüllt. Eine Illusion zu erkennen und sich davon zu verabschieden ist allemal besser, als wenn man erst nach der Ausbildung oder nach dem Studium erkennt, worauf man sich womöglich für den Rest seines Lebens eingelassen hat."

Pflicht-Praktika oder freiwillige Hospitanzen

Gibt es das überhaupt noch: Hochschulabsolventen, die ohne vorheriges Praktikum in den Beruf starten? André Mosberger, selbständiger Studienberater aus Stuttgart, antwortet mit einem klaren "Nein. Und wenn, dann ist das eine ganz seltene Ausnahme", sagt der Pädagoge und frühere Berufsschullehrer. Der Grund: Die meisten Studien- und Prüfungsordnungen an den Hochschulen, an Fachhochschulen sogar ausnahmslos, schreiben Pflichtpraktika vor. Etwa zur Halbzeit ihres Studiums müssen die Studierenden eine Zeit lang in einem Unternehmen arbeiten, das sie später auch als Arbeitnehmer aufnehmen könnte. Ohne eine Bescheinigung des Praktikumsgebers werden sie nicht zur Abschlussprüfung zugelassen. Manchmal muss man auch ein Vorpraktikum leisten, um überhaupt zum Studium seiner Wahl zugelassen zu werden. "Das Vorpraktikum wurde mit Gründung der Fachhochschulen eingeführt", erklärt Mosberger, "weil das Studium ja direkt in den Beruf führen und deshalb auch eine praktische Ausbildungskomponente umfassen sollte." Die meisten Universitäten verzichten auf diese Pflicht. Deren Studienberater legen ihren Studierenden aber in der Regel dringend ans Herz, freiwillige Praktika zu absolvieren. Dieser Empfehlung folgen die Hochschüler auch deshalb, weil die späteren Arbeitgeber solche Hospitanzen ganz gerne sehen. Seit Jahren auf dem Vormarsch sind freiwillige Praktika im Ausland, um Fremdsprachenkenntnisse und internationale Kompetenz zu demonstrieren. "Das ist ein 'Kann'", sagt Mosberger, "aber der Bewerbung ein oder zwei Praktikumszeugnisse aus dem Inland beizulegen, ist ein 'Muss'." Das beweise, "dass sich die jungen Menschen in die Arbeitswelt einfügen können", fügt der Berater hinzu.

Tatsächlich ist ein Praktikum eine gute Möglichkeit, in den Wunschberuf hineinzuschnuppern, ohne sich für längere Zeit an diesen zu binden. Viele Abiturienten haben schon in der Mittelstufe ein kurzes Schülerpraktikum absolviert. Mit dem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife in der Tasche werden sie allerdings anders eingesetzt und behandelt als Schülerpraktikanten, die den Kollegen im Büro oder in der Werkshalle zwei Wochen lang nur über die Schultern schauen. Das heißt: Die Praktikanten mit Abitur müssen dort mit anpacken, wo Arbeit anfällt, und man geht mit ihnen um wie mit anderen Mitarbeitern auch. Die einen wird das bestätigen und motivieren, die anderen betrüben oder gar entsetzen. Der Volksmund nennt das Praxisschock.

"Es gibt nicht nur den einen perfekten Weg"

Susanne Schilden von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in Bonn rät: "Wer noch keine Idee von seinem Beruf hat, sollte sich umtun und unbekannte Berufsfelder erforschen." Auch mehrere Praktika hintereinander? "Warum nicht?", gibt sie zurück. "Wer das für den richtigen Weg hält, soll das tun. Sonst merkt man innerhalb des Studiums, dass einem das Fach nicht liegt und muss umsatteln." Was zwar nicht ehrenrührig ist, aber Zeit und Geld kostet.

Gleichgültig, ob verpflichtend oder freiwillig: Ein Praktikum hat stets sein Gutes. Schulabgänger können ihren Traumberuf auf Herz und Nieren prüfen. Sie können sich fachspezifisch informieren und werden sich mit Sicherheit persönlich weiterentwickeln. Sie lernen die Arbeitsweise in einem Unternehmen, einer Produktion, in einer Klinik oder einer Behörde kennen und gewinnen Sozialkompetenzen hinzu, die für das spätere Berufsleben wichtig sind. Zukünftige Arbeitgeber legen heutzutage sehr großen Wert auf praktische Erfahrungen. Außerdem können die jungen Leute Referenzen für den Lebenslauf sammeln und Kontakte knüpfen.

Für Künstler wird es schwierig

"Alles richtig", sagt Susanne Schilden. Sie macht darauf aufmerksam, dass es neben Praktika noch andere Wege gibt, um den künftigen Beruf einzukreisen. "Dank der kürzeren Gymnasialzeit und des Wegfalls der Wehrpflicht haben junge Menschen heute mehr Freiräume gewonnen. Diese kann man auf vielerlei Weise sinnvoll nutzen." In Form eines Auslandsaufenthalts etwa, um eine neue Sprache und Kultur zu erlernen. Auch gemeinnützige Organisationen im In- und Ausland haben stets Bedarf an Freiwilligen. Für manche Projekte, insbesondere für solche in Ländern der Dritten Welt, muss man sich aber mindestens ein Jahr vor Dienstantritt bewerben. "Es gibt nicht nur den einen perfekten Weg, um das praktische Arbeitsleben kennenzulernen", sagt Schilden.

Für eine Berufsgruppe allerdings ist das Angebot an Praktika sehr eingeschränkt. Das sind angehende Maler, Musiker oder Schauspieler, die allenfalls Verwandte oder Freunde überreden können, sie für ein paar Wochen auf ihren Bühnen auftreten zu lassen oder in ihren Künstlerateliers mitzuwirken. Auf die Frage nach Praktikumsmöglichkeiten unabhängig von Vitamin B sagt Alina Orasanu von der Künstlervermittlung der Arbeitsagentur in München: "Gibt es nicht. Musik- und Sprechbühnen bieten Praktika allenfalls in der Verwaltung an."

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