Langwierige Bewerbungsverfahren:Kandidat in der Endlosschleife

Jobwechsel mit Hindernissen: Wer sich auf eine neue Stelle bewirbt, sollte Geduld mitbringen. Unternehmen stellen Bewerber auf die Probe - manchmal monatelang.

Franziska Brüning

Mit einer Einladung zum Vorstellungsgespräch hatte Luise Werth nicht mehr gerechnet. Schließlich war es schon zwei Monate her, dass sie sich für eine Stelle in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines internationalen Konzerns beworben hatte. Als plötzlich doch noch der Anruf kam, war die 28 Jahre alte Ingenieurin überrascht. Und obwohl sie nach einem einstündigen Telefoninterview kein besonders gutes Gefühl hatte, ging es jetzt erst richtig los.

Treppenarchitektur in Freiburg

Sie sind zum Vorstellungsgespräch eingeladen? Herzlichen Glückwunsch! Aber machen Sie sich darauf gefasst, dass es mit diesem einen Mal nicht getan sein wird. Personaler gehen gern auf Nummer sicher und wollen wieder und wieder mit Ihnen reden.

(Foto: dpa)

"Zuerst sollte ich einen halbstündigen Vortrag über ein frei gewähltes Thema vorbereiten", sagt Luise Werth, die eigentlich einen anderen Namen trägt. "Eine Woche vor dem Termin wurde mir dann noch ein Fachthema gestellt, über das ich zehn Minuten lang referieren sollte. Da war ich noch voller Elan." Insgesamt dauerte das Gespräch mit fünf Vertretern der Abteilung fast vier Stunden. Zwischenzeitlich war sie zum dritten Mal gebeten worden, ihren Lebenslauf aufzuschreiben, obwohl sie bereits einen Online-Personalbogen ausgefüllt und eine klassische Vita eingereicht hatte. "Das alles kostet Zeit, und man ärgert sich, wenn man x-mal dasselbe machen muss", sagt Werth.

Das war nicht das einzige Problem. Werths derzeitiger Arbeitgeber soll nämlich nicht wissen, dass sie sich nach einem neuen Job umschaut. Für das Überraschungsinterview hatte sie sich noch unauffällig in ein leeres Büro zurückziehen können. Für das Bewerbungsgespräch am anderen Ende der Republik musste sie sich zwei Tage frei nehmen. Doch damit nicht genug. Werth hat jetzt wieder eine Einladung auf dem Tisch. Diesmal geht es in die dritte Runde, und dafür sind gleich zwei Termine an zwei aufeinanderfolgenden Tagen angesetzt. "Da muss ich wieder mindestens drei Tage frei nehmen, langsam werden meine Urlaubstage knapp", sagt Werth.

Die Belastung ist enorm. Freizeit hat Werth nicht mehr gehabt, seit sie sich entschieden hat, nach einer neuen Stelle zu suchen. Einem anderen Unternehmen, das sie einstellen wollte, hat sie schon abgesagt, weil sie auf die Position in dem internationalen Konzern hofft. Das Risiko, am Ende doch nicht genommen zu werden, nagt mittlerweile an ihrer Motivation. "Irgendwie bin ich müde und hoffe, dass man mir das bei der nächsten Runde nicht anmerkt", sagt sie.

"Etwa 80 bis 90 Prozent der Bewerbungsgespräche verlaufen heutzutage in Form mehrerer Runden oder als Assessment Center", sagt Jürgen Hesse. Seit 1992 zählt das von ihm gegründete Büro für Berufsstrategie Hesse/Schrader in Berlin zu einer der bekanntesten Karriereberatungen in Deutschland. Er sagt auch: "Die meisten haben Angst vor diesem Procedere." Und das seien bei weitem nicht die schlechtesten Kandidaten. Viele geben mitten im Bewerbungsverfahren auf oder lehnen am Ende die Stelle ab, obwohl sie ausgewählt worden sind. "Ich habe irgendwie keine Lust mehr, mich zum Affen zu machen", sagt auch Werth, die Auslandsaufenthalte, exzellente Abschlüsse, Praktika und erste Berufserfahrungen vorweisen kann.

Jürgen Hesse erklärt den Trend zu aufwendigen Bewerbungsverfahren, der seit den achtziger Jahren fest in deutschen Unternehmen verankert ist, mit einem Sicherheitsbewusstsein der Arbeitgeber: "Man will sichergehen, dass man den Besten auswählt, und viele Firmen tun sich schwer mit Einstellungen, weil die Kandidaten am Anfang mehr kosten, als sie einbringen. Immerhin verlässt jede vierte Führungskraft das Unternehmen noch im ersten Jahr." Hesse sieht ein doppeltes Problem: "Es gibt zu viele Akademiker auf dem Markt, und es ist schwierig, die Richtigen darunter zu finden." Dazu fördern Verfahren wie Assessment Center die Schauspieler unter den Berufseinsteigern. "Man erkennt den Diamanten nicht, weil er noch nicht geschliffen ist."

Ein Zeichen der Wertschätzung

Drum prüfe, wer sich bindet - dieser Satz trifft auch auf den Arbeitsmarkt zu. Und er führt zu der Gepflogenheit, einen Bewerber immer und immer wieder auf seine Eignung hin zu testen. "Man will sehen, ob er heute noch so ist wie das letzte Mal", sagt Hesse. Er meint, dass Einstellungsgespräche früher harmloser gewesen seien und man den jungen Leuten einfach mal eine Chance gegeben habe.

Bewerbung

Mit einer harmlosen Bewerbung fängt es an - und nimmt im Laufe der Zeit unerwartete Ausmaße an.

(Foto: iStockphoto)

Hesse rät Jobsuchenden, die zu ihm kommen, eine Kernbotschaft zu finden, wollten sie im Bewerbungsmarathon bestehen. "Wenn man begreift, wofür man steht, dann kann man auch überzeugen", sagt er. Ein erfolgreicher Kandidat ist für Hesse nicht jemand, der "echt" gewesen ist, sondern der einen Anpassungsprozess an das Unternehmen durchlaufen hat. In Ratgebern heiße es zwar oft, man solle authentisch auftreten, aber Hesse warnt davor, zu ehrlich zu sein. "Natürlich möchte der Personaler nichts vorgespielt bekommen. Aber er erzählt dem Kandidaten ja auch nicht alles, beispielsweise von aktuellen Schwierigkeiten des Unternehmens", sagt Hesse.

"Längere Bewerbungsverfahren können auch ein Zeichen der Wertschätzung sein", sagt Anja Robert vom Career Service der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Die Universität bietet ihren Studenten Übungsbewerbungsgespräche an, an denen neben dem Absolventen auch Vertreter eines Unternehmens und des Career Service teilnehmen. Chaos in Bewerbungsverfahren wie mehrfaches Ausfüllen von Personalbögen oder Terminverschiebungen seien typisch für Firmen, die ihr Personalmanagement unprofessionell organisiert oder es komplett an Vermittlungsagenturen ausgelagert haben, sagt Robert.

Sandra Freiburg, freiberufliche Personalmanagerin in Aachen für kleine und mittelständische Unternehmen, geht dagegen hart mit den Bewerbern ins Gericht. "90 Prozent der Bewerbungen sind schlecht", sagt Freiburg. Die meisten seien nach dem Gießkannenprinzip geschrieben, und man könne nicht erkennen, warum der Kandidat gerade zu diesem Unternehmen wolle. Sie plädiert daher für drei Runden, bestehend aus einem Telefoninterview, einem Gespräch mit Personalern und Geschäftsführung und einem letzten Gespräch mit einem Vortrag des Bewerbers, um die besten Kandidaten herauszufiltern.

Kaum scheint die wirtschaftliche Krise überwunden zu sein, rückt das Thema Fachkräftemangel in Deutschland wieder in den Vordergrund. Da wundert es manchen, dass beispielsweise Frauen zwischen Ende 20 und Ende 30 es selbst bei exzellenter Qualifikation schwer haben, eine feste Stelle zu finden. "Es ist ein Arbeitgeberrisiko, eine Frau einzustellen", sagt Freiburg.

Luise Werth kann da nur den Kopf schütteln. Sie hat bislang alles richtig gemacht, von der Bewerbung bis zur Präsentation. "Wenn ich nach der nächsten Runde keine klare Ansage erhalte, pfeife ich auf den Job und mache was anderes", sagt sie. In der Zwischenzeit hat sie nämlich noch ein anderes Angebot von einem mittelständischen Unternehmen bekommen - nach einem einzigen, dreistündigen Gespräch. Die Firma ist zwar nicht ihr Favorit, aber dafür fühlt sie sich auch nicht auf den Arm genommen.

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