Süddeutsche Zeitung

Langeweile im Büro:"Wer gibt schon gerne zu, dass er nichts zu tun hat?"

Alle reden von Burn-out, der großen Leere in einem stressigen Arbeitsleben. Doch auch Unterforderung stresst Arbeitnehmer - und verursacht großen wirtschaftlichen Schaden. Die Schuld, sagt Personalmanager Joachim Sauer, liegt oft bei den Chefs.

Sibylle Haas

Joachim Sauer, 51, wirft Führungskräften vor, ihre Mitarbeiter nicht sinnvoll einzusetzen. Langeweile im Job komme mindestens genauso oft vor wie Überforderung. Die Unternehmen müssten mehr in gutes Personalmanagement investieren, fordert er. Führung sei in vielen Unternehmen eine echte Schwachstelle. Joachim Sauer war bis Ende Mai Arbeitsdirektor bei Airbus Deutschland und wechselt demnächst zu einem anderen internationalen Konzern.

SZ: Herr Sauer, immer mehr Menschen fühlen sich ausgebrannt. Sie aber sagen, Langeweile im Job, das sogenannte Bore-out, ist ein viel größeres Problem. Wie passt das?

Joachim Sauer: Mitarbeiter, die chronisch unterfordert sind, leiden unter den Symptomen, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Bore-out genannt werden. Hier liegt oft eine Verwechslung vor. Im Gegensatz zum Burn-out ist die Unterforderung tabuisiert und sozial unerwünscht. Wer gibt schon gerne zu, dass die Arbeit langweilig ist, dass man tagein tagaus gar nichts Richtiges zu tun hat? Es gibt Mitarbeiter, die tragen die Last für andere mit. Das liegt aber meistens nicht an denen, die sich im Job langweilen, sondern daran, dass die Aufgaben ungleich verteilt sind.

SZ: Warum kommt es in einigen Firmen verstärkt zum Bore-out und in anderen nicht?

Sauer: Es gibt Firmen, in denen es die Unternehmenskultur zulässt, dass man über das Thema spricht. Mitarbeiter riskieren ja mitunter ihren Arbeitsplatz, wenn sie ihrem Chef sagen, dass sie unterfordert sind. Da braucht es also Vertrauen. Vorgesetzte, die das Thema ernst nehmen, gehen produktiv damit um. Wenn aber schlecht geführt wird, dann ist das Problem der ungleichen Verteilung von Aufgaben besonders groß.

SZ: Gibt es typische Ereignisketten, die bei Berufstätigen zur Unterforderung führen können?

Sauer: Ja. Das fängt schon bei der Einstellung an. Wenn eine Stelle nicht klar beschrieben ist und die Aufgaben nicht konkret dargestellt werden, kann das falsche Hoffnung beim Bewerber wecken. Der ist dann später vielleicht frustriert, weil er von dem Job mehr erwartet hat.

SZ: Worauf kommt es an?

Sauer: Vorgesetzte sollten bei der Einstellung darauf achten, dass der Mitarbeiter ins Team passt. Nicht immer ist der Beste der Richtige für den Job. Wenn jemand überqualifiziert ist, kommt es sicher zur Arbeitsunzufriedenheit, mangelnder Sinnerfüllung und Demotivation. Das Internet ist dann Hilfsmittel, um die Langeweile im Job zu überbrücken.

SZ: Gibt es bestimmte Typen, die besonders anfällig sind?

Sauer: Wenn jemand nicht couragiert ist und sich davor drückt, die Unterforderung anzusprechen, dann wird er irgendwann total frustriert sein. Man sollte das thematisieren. Man muss nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern man kann dem Chef sagen, dass man seinen Aufgabenbereich gerne vergrößern würde.

SZ: Welche Rolle spielt der Chef?

Sauer: Eine sehr große. In zahlreichen Unternehmen führt der Vorgesetzte gar nicht, sondern erledigt selbst die Aufgaben, die hochinteressant sind. Problematisch ist es, wenn Vorgesetzte nicht delegieren, sondern alles an sich reißen.

SZ: Wie muss ein guter Chef sein?

Sauer: Er muss die Aufgaben klar formulieren. Informieren, delegieren und kontrollieren, das ist wichtig. Gerade die Kontrolle ohne Gängelung wird in Deutschland oft vernachlässigt. Doch die ist maßgeblich, damit der Chef sehen kann, ob die vorgegebenen Ziele erreicht werden können. Vielleicht braucht der Mitarbeiter Unterstützung oder irgendwelche Hilfsmittel, um die Aufgabe zu erfüllen. Es genügt nicht, einmal oder zweimal im Jahr ein Zielvereinbarungs-Gespräch zu führen. Vorgesetzte müssen ihre Mitarbeiter permanent unterstützen. Führungskräfte müssen mitbekommen, ob ihre Leute sinnvoll eingesetzt sind.

SZ: Bore-out bedeutet, dass Mitarbeiter den Sinn in der Arbeit nicht mehr sehen. Wie lässt sich das ändern?

Sauer: Mitarbeiter wollen heute einen sinnerfüllten Beruf allein schon deshalb, weil sie gut qualifiziert sind. Die Anforderungen an die Sinnhaftigkeit sind daher höher als vor fünfzig Jahren. Auf der anderen Seite ist die Komplexität gestiegen. Wenn man eine komplexe Aufgabe bekommt, ohne zu wissen, mit welchen Mitteln und in welcher Zeit die zu erledigen ist, dann hat man vielleicht ein Problem. Da sind wieder die Führungskräfte gefordert. Führung ist in zahlreichen Firmen eine echte Schwachstelle. Da muss mehr investiert werden.

SZ: Wie schaffen Vorgesetzte, dass sich die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren?

Sauer: Führungskräfte müssen signalisieren, dass sie eine dienende Funktion gegenüber dem Unternehmen und den Mitarbeitern haben. Nicht wenige Führungskräfte finden sich großartig. Vorgesetzte müssen dafür sorgen, dass ihre Leute vernünftig arbeiten können. Wer seine Großartigkeit beweisen muss, ist ein schlechter Chef.

SZ: Wie erkennen Chefs die Stärken ihrer Mitarbeiter?

Sauer: Da gibt es für mich ein ganz einfaches Verb. Das heißt beobachten, beobachten, beobachten. Führung besteht darin, dass man schaut, wie sich Mitarbeiter in bestimmten Situationen verhalten, wie sie auf Arbeitsanforderungen reagieren und wie sie mit welcher Qualität in welcher Zeit ein Ergebnis abliefern. Daraus kann man schon viel ableiten.

SZ: Wie hoch ist der wirtschaftliche Schaden durch Bore-out?

Sauer: Nach Untersuchungen des Bundesarbeitsministeriums fühlen sich z. B. 60 Prozent der bis 30-jährigen Arbeitnehmer in Deutschland unterfordert und könnten mehr leisten. Das ist enorm.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2012/wolf
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