Kuriose Arbeitsrechts-Urteile:Angestellte müssen sich nicht alles gefallen lassen

Deutsche Arbeitsgerichte sind bestens beschäftigt mit unzähligen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern - dabei haben die Richter über die skurrilsten Situationen zu entscheiden. Kuriose Fälle des Arbeitsrechts im Überblick.

Andreas Jalsovec

Der Firmenchef auf dem Toilettenboden - das ist einer jener Fälle, über den Jobst-Hubertus Bauer nur den Kopf schütteln kann. "Der ist fast schon absurd", meint der Stuttgarter Arbeitsrechtler. In dem Fall hatte ein 80-jähriger Firmen-Patriarch einen Kontrollgang durch die sanitären Anlagen des Betriebs gemacht. Als er eine verschlossene Toilettentür bemerkte, ging er auf die Knie, schaute unten durch und sah einen Beschäftigten dort sitzen - mit angezogenen Hosen. Der Chef holte die Kamera und fotografierte den Mitarbeiter über die Tür hinweg. Danach schickte er ihm die fristlose Kündigung. Begründung: Der Mann habe auf dem Klo geschlafen, statt zu arbeiten. Der Vorfall landete vor Gericht - und wurde zugunsten des Mitarbeiters entschieden.

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Solche Streitigkeiten am Arbeitsplatz sind gar keine Seltenheit, meint Arbeitsrecht-Professor Bauer. Regelmäßig müssten Gerichte über ähnlich kuriose Konflikte entscheiden. Der Professor hat sie jetzt in einem Buch gesammelt. Hier einige der skurrilsten Fälle:

Darf ein Arbeitgeber den Mitarbeitern die Farbe der Unterhose vorschreiben?

Getan hatte das eine Firma, deren Beschäftigte am Flughafen die Passagiere kontrollierten. Sie erließ auch Vorschriften über Länge und Lackierung der Fingernägel oder die Art, wie sich Männer die Haare färben dürfen. Vor Gericht kam sie damit weitgehend durch (Az. 3 TaBV 15/10). So beuge die Vorschrift über die Länge der Fingernägel einer Verletzungsgefahr der Fluggäste vor. Auch dass die Mitarbeiter Unterwäsche und BHs in weiß oder Hautfarbe tragen müssten, sei in Ordnung. Zu weit geht es aber, wenn Frauen ihre Fingernägel nur einfarbig lackieren dürfen; ebenso der Zwang für Männer, sich die Haare nur in natürlichem Ton zu färben.

"Grundsätzlich darf ein Arbeitgeber Vorschriften über Erscheinungsbild und Kleidung der Mitarbeiter machen", sagt Anwalt Bauer. Die Regeln müssten aber dem Betriebszweck angemessen sein. Das gilt etwa für das dunkle Kleid der Sekretärin in einer Wirtschaftskanzlei oder die Krawatte beim Außendienstmitarbeiter. Für einen Arbeiter in der Produktion dagegen kann es keinen Krawattenzwang geben. "Ein Beschäftigter muss sich auch nicht zum Affen machen lassen", sagt der Nürnberger Arbeitnehmeranwalt Wolfgang Manske. So könne man vom Verkäufer im Sportgeschäft nicht verlangen, den ganzen Tag in Taucherflossen rumzulaufen.

Muss ein Arbeitnehmer seinen Chef grüßen?

Der Leiter eines Maschinenbaubetriebs fand: ja. Er war einem Außendienstmitarbeiter zweimal außerhalb des Betriebes begegnet. Der Angestellte ignorierte beide Male den Gruß seines Chefs - und erhielt dafür die Kündigung. Die Richter entschieden jedoch für den Beschäftigten: Eine Gruß-Verweigerung sei keine Beleidigung (Az. 9 (7) Sa 657/05). Das gilt umso mehr, als der Vorfall nicht am Arbeitsplatz stattfand.

"Außerdienstliches Verhalten kann nur ganz selten ein Kündigungsgrund sein", erläutert Jobst-Hubertus Bauer. Wer allerdings in der Firma seinen Chef beim Gruß ignoriere, müsse durchaus mit einer Abmahnung rechnen. "Kommt das öfter vor, könnte man das als ungebührliches Verhalten werten", meint Bauer. Anwalt Wolfgang Manske meint hingegen dazu: "Freundlichkeit kann man nicht erzwingen - auch im Betrieb nicht." Auch Menschen, die ungern redeten, müssten arbeiten können, ohne Gefahr zu laufen, dafür abgemahnt zu werden.

Persönlichkeitsrechte haben Vorrang

Muss sich ein Beschäftigter in seinem Betrieb dauernd duzen lassen?

Der Mitarbeiter einer schwedischen Bekleidungskette ertrug es zwei Jahre lang - dann klagte er. Er wollte nicht mehr ständig von allen Kollegen Du und beim Vornamen genannt werden. Die Firma hatte das von ihren Beschäftigten verlangt - wegen des lockeren Arbeitsklimas. Das Gericht gab dem Unternehmen recht (Az. 14 Sa 1145/98). Aber nicht, weil es der Meinung war, der Mitarbeiter müsse das Duzen hinnehmen. Er hatte es nur zu lange geduldet. Es war damit Bestandteil seines Arbeitsvertrages geworden, so das Urteil der Richter.

"Eine Duz-Pflicht müssen sich Mitarbeiter nicht gefallen lassen", meint Arbeitsrechtsexperte Bauer. In diesen Fällen überwiege das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen. Man könne daher auf das Siezen bestehen. Das gelte aber auch für den Chef: Er müsse sich das Du ebenfalls nicht von jedem gefallen lassen.

Darf man den Lohn kürzen, wenn jemand zu viel Zeit auf dem WC verbringt?

Zwei Wochen lang hatte der Chef einer Rechtsanwaltskanzlei minutiös die Toilettengänge eines jungen Mitarbeiters notiert. Dann rechnete er die 384 Klo-Minuten auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses hoch und zog dem Beschäftigten 682,40 Euro vom Lohn ab. Der ging vor Gericht - und bekam recht (Az. 6 Ca 3846/09).

"Auf die Toilette zu gehen gehört zu den menschlichen Bedürfnissen", sagt Anwalt Bauer. Der Aufenthalt dort könne daher nie ein Grund sein, den Lohn zu kürzen. Auch eine Höchstdauer für den Toilettengang gebe es nicht. Ähnlich sieht es Anwalt Manske: "Der Arbeitgeber müsste schon nachweisen, dass der Mitarbeiter absichtlich unerlaubte Pausen einlegt."

Kann der Arbeitgeber einem Mitarbeiter kündigen, der ständig zwei, drei Minuten zu spät kommt?

An fast 100 Tagen im Jahr bediente der Mitarbeiter eines Einrichtungshauses die Stechuhr zu spät. Es waren zwar oft nur wenige Minuten. Der Arbeitgeber mahnte ihn dennoch mehrfach ab - und kündigte dann fristlos. Die Richter jedoch erklärten den sofortigen Rauswurf für unwirksam. Häufige Verspätungen seien zwar eine Verletzung des Arbeitsvertrags. Der Arbeitgeber hätte aber fristgerecht kündigen können.

"Beim Zuspätkommen ist die Rechtssprechung unendlich geduldig", meint Jobst-Hubertus Bauer. Es müsse schon viel passieren, damit bei Verspätungen eine Kündigung rechtens sei. Entscheidend ist in solchen Fällen unter anderem, ob der Betriebsablauf gestört wird. Bei Schichtarbeit ist die Firma oft auf zeitliche Genauigkeit angewiesen. "Auch ein Busfahrer kann nicht dauernd zu spät kommen", meint Arbeitnehmeranwalt Manske. In solchen Fällen riskieren Arbeitnehmer daher auch bei kleinen Verspätungen einen Rauswurf - je häufiger es passiert, desto eher.

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