Kultusministerkonferenz:Orgie der Bürokratie

Die Prüfungswut soll ein Ende haben: Jetzt müssen die Kultusminister das selbstgeschaffene Chaos bei den Bachelor- und Masterstudiengängen beseitigen.

Tanjev Schultz

Reformen an den Hochschulen verlaufen nie reibungslos, die Kultusminister hätten sich aber viel Ärger ersparen können, wenn sie einen alten Aufsatz von Jürgen Habermas beherzigt hätten. Schon in den sechziger Jahren diskutierte man über kürzere, verschulte Studiengänge, wie sie mittlerweile mit dem Bachelor verwirklicht worden sind. Habermas warnte damals vor einer "Zwangsjacke für die Studienreform" und vor bürokratischen Auflagen, die den Sinn eines Studiums hintertreiben würden.

Kultusministerkonferenz: Eine Prüfungswut, die jeden Ansatz forschenden Lernens erstickt: Bachelor- und Masterstudiengänge sollen verbessert werden.

Eine Prüfungswut, die jeden Ansatz forschenden Lernens erstickt: Bachelor- und Masterstudiengänge sollen verbessert werden.

(Foto: Foto: AP)

So aber kam es: Die an sich sinnvolle Aufteilung des Studiums in zwei Phasen (mit den Abschlüssen Bachelor und Master) geriet in Deutschland zu einer bürokratischen Orgie. Dazu kam eine Prüfungswut, die jeden Ansatz eines forschenden Lernens erstickt. Wenn neuerdings jeder Schritt der Studenten kontrolliert und benotet wird, verzichten diese lieber auf die in der Wissenschaft oft sehr produktiven Umwege.

Aufgerüttelt durch den Streik der Studenten im Sommer, geloben die Kultusminister nun Besserung. Es soll wieder mehr Zeit und mehr Feiräume im Studium geben - die Politik hat verstanden. Ohne die Mithilfe der Hochschulen und jedes einzelnen Professors werden Korrekturen an der Studienreform allerdings kaum gelingen. Die Beschlüsse der Minister sind zunächst nur Absichtserklärungen und Appelle.

Sie werden damit nicht überall auf offene Ohren treffen. Da gibt es Professoren, die glauben, ihr Fachgebiet sei so zentral, dass man unmöglich auf eine Prüfung der Studenten verzichten könne. Und dann gibt es auch noch sehr viele Professoren, die von Anfang an und sehr grundsätzlich gegen die neuen Bachelor-Studiengänge waren und jeden Reformansatz blockieren. Hinter dem Abwehrkampf, den sie im Namen der akademischen Freiheit führen, verbirgt sich aber oft nur das Interesse, möglichst unbehelligt zu bleiben von steigenden Qualitätsansprüchen an die Lehre.

Es fehlt am Willen, die Lehre ernst zu nehmen

Ursprünglich sollte die Studienreform ja einhergehen mit einer Aufwertung der Lehre: mit einem besser durchdachten Studienaufbau, mehr Orientierung für die Studenten und einer intensiveren Betreuung. Teilweise scheitert das schon daran, dass Bachelor und Master ohne zusätzliche Finanzmittel eingeführt wurden. Es fehlt vielerorts (glücklicherweise nicht überall) an dem Willen der Forscher, die Lehre ernst zu nehmen und darüber nachzudenken, welche Seminare und Vorlesungen für ihre Studenten sinnvoll sind. Die neuen Studiengänge und Abschlüsse wären eine gute Gelegenheit, solche Überlegungen nachzuholen.

Die Verhältnisse in den Zeiten vor Bachelor und Master darf man schließlich nicht verklären. Der Begriff des "freien Studiums" war oft nur eine Ummäntelung für einen verwahrlosten Studienbetrieb und die Orientierungslosigkeit vieler Studenten. Nun in das andere Extrem zu verfallen, wäre jedoch die falsche Reaktion. Ein Studium ohne Freiräume ist kein Studium. "Wollen wir wirklich die Universität in Stromlinienform?", fragte Habermas in seinem alten Aufsatz. Und er erinnerte die damaligen Reformer daran, dass es in Deutschland die gute Tradition gibt, "noch dem jüngsten Studenten Mündigkeit anzusinnen".

Das endgültige Chaos

In der Vergangenheit ist diese Mündigkeitsunterstellung leider gerne verwechselt worden mit einem Recht, sich um die Studenten gar nicht zu kümmern. In einer anonymen Massenuni bedeutete das: Nur die besonders Cleveren und Eigenständigen fanden sich zurecht. Die anderen schleppten sich irgendwie durch. Diese Ausgangssituation erklärt, warum sich viele Politiker Ende der neunziger Jahre so vehement für Studienreformen und für die Bachelor-Studiengänge begeistern ließen. Die Ernüchterung folgte. Wollte man endgültig ein Chaos anrichten, würde man jetzt den Bachelor, wie es einige Professoren fordern, komplett wieder abschaffen. Besser ist es, den Bachelor endlich gutzumachen.

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