Kulturelle Unterschiede unter Kollegen:Alles so schön bunt hier

Lesezeit: 4 min

Firmen sind immer mehr vom globalen Markt abhängig. Das verändert die Chefetagen: Sie werden internationaler. Da hilft es, wenn man weiß, warum Chinesen mitten im Gespräch zum Telefon greifen oder Inder nie pünktlich auf die Minute sind.

Jürgen Hoffmann

Es gibt zwei Stichworte, die ein Unternehmen heutzutage braucht, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Das eine lautet "Nachhaltigkeit", das andere "Diversity", also Vielfalt in der Belegschaft. Für einen positiven Anstrich müssen Firmen also zum einen grüner werden, zum anderen bunter. "Teams mit unterschiedlicher Nationalität, Erfahrung und unterschiedlichem Geschlecht sind entscheidende Erfolgsfaktoren für ein Unternehmen", findet der Däne Kasper Rorsted, Vorstandsvorsitzender des Düsseldorfer Henkel-Konzerns. Daher sitzen neben ihm zwei Deutsche, ein Franzose und ein Belgier im Vorstand.

In deutschen Chefetagen wird es bunter: Auf dem internationalen Markt arbeiten Führungskräfte aus unterschiedlichen Kulturen miteinander. (Foto: N/A)

Henkel ist ein Vorreiter in Sachen Diversity. 2007 hat der Wasch- und Pflegemittelkonzern die Abteilung "Diversity & Inclusion" gegründet - ein Zugeständnis an die notwendige Internationalisierung des Unternehmens. Denn Henkel beschäftigt 48.000 Mitarbeiter und ist in 125 Nationen aktiv. Die Führungskräfte des Konzerns müssen im Laufe ihrer Karriere Erfahrungen in mindestens zwei Funktionen sammeln, außerdem zwei Länder und zwei Unternehmensbereiche kennenlernen. Bei Henkel heißt das "Triple-Two-Konzept". Zudem soll ein Netzwerk aus "Paten" die Integration des Managers aus dem Ausland erleichtern.

Diversity Management lautet das Stichwort, also soziale Vielfalt in der Führungsriege möglichst konstruktiv zu nutzen. In Deutschlands Beletagen sitzen immer mehr Männer, manchmal auch Frauen, aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Die Internationalisierung in den obersten Ebenen sei ein natürlicher Prozess, "weil Firmen zunehmend länderübergreifend agieren", sagt Markus Dinslacken, Leiter der Abteilung Diversity & Inclusion. Auch er hat das Programm durchlaufen und berichtet von kulturell bedingten Verständigungsschwierigkeiten: "In den USA schrieb mir ein Vorgesetzter, dass ich eine Aufgabe erledigen könne, wenn ich Zeit übrig hätte. Ich hatte aber keine Zeit." Dinslaken musste feststellen, dass er falsch reagiert hatte: "Es stellte sich heraus, dass das kein Vorschlag war, sondern ein Auftrag."

Noch vor einigen Jahren steckte der Globalisierungs-Teufel im Detail, in den kleinen Missverständnissen des Alltags. Inzwischen haben Auslandserfahrungen und interkulturelle Lehrgänge damit weitgehend aufgeräumt. "Die Zeiten, in denen Geschäftsabschlüsse dadurch gefährdet wurden, dass ein Deutscher die Visitenkarte eines Chinesen nicht beidhändig mit Verbeugung entgegennahm, sind vorbei", sagt Manuel Vermeer, Trainer für interkulturelles Management und Dozent am Ostasieninstitut der Hochschule für Wirtschaft in Ludwigshafen.

Der Asien-Experte weiß, weshalb in Indien halbstündige Verspätungen als pünktlich gelten und dass Chinesen während eines Gesprächs plötzlich zum Telefonhörer greifen, um scheinbar wichtigere Gespräche zu beginnen. Vermeer lehrt Verständnis für solche kulturellen Eigenheiten. Häufige Fragen, die dem Trainer von Firmen gestellt werden, sind: Wie arbeiten Führungskräfte aus unterschiedlichen Kulturen effektiv zusammen? Lassen sich fremde Führungsstile oder Konzepte erfolgreich auf die deutsche Wirtschaft übertragen? Von welchem kulturellen Know-how können wir in der Geschäftsleitung am besten profitieren?

In den Vorständen großer Dax-Unternehmen, beispielsweise bei Fresenius Medical Care, Adidas und SAP, wird auf multikulturelle Führung gesetzt. "In den vergangenen zehn Jahren war dort die Internationalisierung ein Trend", sagt Christoph Lesch von der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partner. Laut einer Erhebung der Consultingfirma zur Belegung von Top-Positionen ist der Anteil ausländischer Vorstände 2010 auf ein Allzeithoch von 28 Prozent gestiegen.

Auch die Beiersdorf-Führungsetage ist "multikulti" besetzt: Im sechsköpfigen Vorstand des Nivea-Unternehmens sorgen James C. Wei aus China und Ümit Subasi aus der Türkei für kulturelle Vielfalt. Die Führungscrew trifft sich wöchentlich. Wei schätzt die deutsche Disziplin: "Alles ist gut geplant, die Meetings fangen pünktlich an und hören pünktlich auf." Eine gute Balance entstehe aus deutschem Prozessdenken und asiatischem "entrepreneur spirit". Sein türkischer Manager-Kollege Subasi konstatiert, dass es bei interkultureller Zusammenarbeit durchaus auch zu Differenzen komme, "doch in unserem Job ist eine internationale Denkweise notwendig".

Ländervergleich: Was an Chefs nervt
:Italiener mögen's locker

Chefs sind überall gleich nervig? Von wegen! In Italien ärgern sich Angestellte über ganz andere Dinge als in Deutschland. Und eine Führungskraft, die in den USA gut ankommt, hat es in Russland schwer.

Überblick.

Um auch mittelständische Betriebe zu animieren, Ausländer in Top-Positionen zu holen, um von den Synergien gemischter Teams zu profitieren, hat Henkel den "Deutschen Diversity Preis" ins Leben gerufen. Vergeben wird er erstmals in diesem Jahr - in vier Kategorien, damit auch kleinere Unternehmen eine Chance haben.

Ländervergleich: Was an Chefs nervt
:Italiener mögen's locker

Chefs sind überall gleich nervig? Von wegen! In Italien ärgern sich Angestellte über ganz andere Dinge als in Deutschland. Und eine Führungskraft, die in den USA gut ankommt, hat es in Russland schwer.

Überblick.

Denn nicht nur in Konzern-Spitzenteams sitzen zunehmend Manager, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sondern auch in kleineren Unternehmen. Ein Beispiel: Konstantin Nikulin wurde 1970 in der UdSSR geboren. In seiner Jugend hatte er ein für Sowjetzeiten typisches Vorurteil gegenüber Deutschen: "Das sind alles Kapitalisten." 1997 kam er im Rahmen eines Wirtschaftspraktikums, das von der Handelskammer Hamburg organisiert wurde, für drei Monate in die Hansestadt. Ein Jahr darauf gründete er in Kaliningrad eine Computerspiele-Firma, die ein paar Monate später mit ihrer Zentrale nach Hamburg zog, "weil die Deutschen in der Vermarktung von Produkten stärker sind".

Heute sitzt Nikulin - neben drei Deutschen - im Management-Team seiner Firma Intenium, ein Marktführer bei Internet-Spielen. Andere Spitzenleute kommen aus Frankreich oder der Ukraine. "Die Deutschen analysieren bei Problemen genau ihre Fehler und arbeiten komplizierte Lösungsvorschläge aus", weist Nikulin auf eine Schwäche hin. "Dabei können Stunden draufgehen, und am Ende sind sie nicht viel klüger."

Die Russen seien unkomplizierter: "Sie sagen sich, was passiert ist, ist passiert. Und dann packen sie zu." Und Russen hielten an einer Idee länger fest, während die Deutschen "immer Präzedenzfälle, Argumente und Begründungen brauchen, bevor sie Entscheidungen treffen". Nikulin glaubt, dass der interkulturelle Mix in seiner Führungsmannschaft für den Erfolg seiner Firma entscheidend ist: "Die Stärken der Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturen addieren sich nicht nur, sondern multiplizieren sich auch."

Dass es ausländische Spitzenkräfte oft schwer haben, in deutsche Geschäftsleitungen einzusteigen, hat Fode Youssouf Minthe festgestellt: Der 1969 in Mali geborene Ingenieur arbeitete acht Jahre lang in deutschen Betrieben der Erneuerbaren-Energien-Branche - hauptsächlich als Projektmanager. Dann entschloss er sich, sein eigener Chef zu werden. In den Geschäftsleitungen der Zweigstellen arbeiten Spanier, Franzosen und Deutsche. Minthe kritisiert die traditionellen Hierarchien in vielen deutschen Firmen: "Die Personaler denken oft zu kurz. Während in Amerika das zählt, was man leistet, zählt in Deutschland noch immer, woher man kommt."

© SZ vom 18.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Umfrage unter Absolventen
:Das sind Europas beliebteste Arbeitgeber

Deutsche Unternehmen sind als Arbeitgeber in Europa beliebt - zumindest bei den Ingenieuren. BWLer ziehen laut einer Studie amerikanische Arbeitgeber vor. An der Spitze liegt ein Unternehmen, dass über alle Studienrichtungen hinweg beliebt ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: