Süddeutsche Zeitung

Künstler Ignacio Uriarte:"Für Kunst wird man häufiger gelobt als im Büro"

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Seine Bilder sehen aus wie Kritzeleien eines gelangweilten Büroarbeiters: Ignacio Uriarte hat BWL studiert, dann stieg er aus und setzt sich seitdem als Künstler mit der Monotonie unserer Arbeitswelt auseinander. Im Interview erzählt er, was Künstler von Angestellten unterscheidet - und warum Langeweile im Büro ein Segen ist.

Von Karin Janker

Als Ignacio Uriarte begann, sich mit Kunst zu beschäftigen, ging es mit seiner Angestelltenkarriere abwärts. Uriarte, der 1972 in Krefeld geboren wurde, studierte studierte Betriebswirtschaft, arbeitete für Unternehmen wie Siemens und Canon und studierte nebenbei audiovisuelle Kunst. Büroarbeit und Kunst gleichzeitig - irgendwann war das für ihn nicht mehr vereinbar und so wagte er 2003 den Ausstieg aus dem Job und wurde freischaffender Künstler.

Inzwischen sind Uriartes Arbeiten, in denen er sich unter anderem mit Zeit und der Monotonie unserer Arbeitswelt beschäftigt, regelmäßig in Museen und Galerien zu sehen, derzeit in der Ausstellung "Playtime" im Münchner Lenbachhaus. Seine Klanginstallation "Acht Stunden zählen" ist in der Berlinischen Galerie zu erleben. Am 25. Mai diskutiert Uriarte mit Künstlern und Wissenschaftlern bei der Veranstaltung "World Wide: Work" in den Münchner Kammerspielen über die Frage "Macht Arbeit glücklich?".

SZ.de: Herr Uriarte, macht Arbeit glücklich?

Ignacio Uriarte: Arbeit kann glücklich machen. Im besten Fall dient sie der Selbstverwirklichung. Und im schlechtesten Fall hat man wenigstens das Gefühl, etwas abgehakt und erledigt zu haben: Arbeit gibt einem einen guten Grund, nach Feierabend die Füße hochzulegen.

Sie arbeiten mit Materialien, die viele täglich in der Hand haben: Aktenordner, Druckerpapier, Kugelschreiber. In ihrer Klanginstallation "Acht Stunden zählen" zählt eine monotone Stimme acht Stunden lang, einen ganzen Bürotag, von 1 bis 3599. Warum spielt die Welt des Büroangestellten eine so wichtige Rolle in Ihren Werken?

Ich widme mich der Thematik, die ich selbst am besten kenne. Ich habe zehn Jahre lang im Büro gearbeitet, da kann ich jetzt nicht einfach so tun, als wäre ich ein Künstler der Bohème. Indem sie durch das Material in der realen Welt verankert ist, hält meine Kunst den Menschen einen Spiegel vor. Mit den Gegenständen kann jeder etwas anfangen.

Menschen kommen dagegen kaum vor in Ihren Werken.

Die Menschen sind in den Spuren präsent, die sie hinterlassen haben.

In Ihren Werken gibt es immer wieder Momente, in denen man sich wiedererkennt, beispielsweise bei den Kritzeleien in "Black and white squared monochrome". Die könnten auch von einem Angestellten stammen, der während eines Meetings auf seinen Block kritzelt.

Diese Momente sind so gewollt. Sie eröffnen einen Spielraum für eine unproduktive Tätigkeit im Büro, wo es eigentlich immer darum geht, möglichst produktiv zu sein. Wir sollen heute immer zielorientiert denken, für Träumereien ist keine Zeit. Da ist es Luxus, einfach nur Kästchen auf kariertem Papier auszumalen, um den Kopf freizukriegen.

Solche Kritzeleien können aber auch ein Zeichen von Langeweile sein.

Langeweile und Kreativität sind eng verbunden. Ich habe die besten Ideen auf Flughäfen, wenn ich warte und nur ein Stück Papier vor mir habe. Oder bei sehr repetitiven Tätigkeiten, zum Beispiel wenn ich solche Kritzeleien fertige. Wenn man sich freiwillig in die Monotonie begibt, kommen oft gute Gedanken.

Sie selbst sind aus der Monotonie Ihres Bürojobs geflüchtet. Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert, seitdem Sie Künstler sind?

Eigentlich ist mein Tag gar nicht so anders als ein Tag im Büro. Ich beginne etwas später, so gegen zehn Uhr, und arbeite dann bis etwa 19 Uhr. Mein Atelier befindet sich im Gebäude der früheren DDR-Telefongesellschaft. Hier gibt es Neonlicht, abgehängte Decken, es herrscht typische Büroatmosphäre. Nur mein Schreibtisch ist anders als in den meisten Büros: Er ist so groß wie ein Doppelbett.

Was sagt ein Schreibtisch über den aus, der daran arbeitet?

Der Schreibtisch ist Kunst. Er ist eine Projektionsfläche, um Ideen zu ordnen - egal, ob auf dem virtuellen Desktop oder dem Tisch vor uns. Wichtige Dinge bringen wir in physische Nähe zu uns, andere schieben wir weiter weg. Außerdem ist der Schreibtisch ein Statement. Er kann sagen: Ich bin ein kreativer Chaot - und stolz darauf.

Auf welches Arbeitsgerät - außer ihrem Schreibtisch - könnten Sie im Büro nicht verzichten?

Der Kugelschreiber ist für mich das Zeicheninstrument schlechthin. Er erlaubt durch die Überlagerung mehrerer Schichten verschiedenste Farbmischungen - fast wie ein Pinsel. Außerdem liebe ich meine Schreibmaschine. Sie ist wie ein Klavier. Man kann mit ihr nicht nur schreiben und zeichnen, sondern zugleich auch Musik machen. Sie produziert Bild und Klang.

Künstler sind flexibel, ständig an der Arbeit und neigen zur Selbstausbeutung - sind sie der Prototyp des heutigen Angestellten?

Es gibt auch sehr faule Künstler, für manche ist die Kunst eine Art Ruheinsel. Erfolgreiche Künstler aber sind tatsächlich wie Manager, sie haben eine Menge Arbeit. Aber immerhin wird man für Kunst häufiger gelobt als im Büro. In anderen Berufen bekommen wir oft nur Kritik zu hören. Einem Künstler klopft man schon auf die Schulter, bevor die Ausstellung überhaupt eröffnet ist.

Eines Ihrer Werke heißt "Immer höher" - eine Anspielung auf die Gedanken von Wachstum und Effizienz, die unsere Arbeitswelt bestimmen. Wie steht es um die Effizienz in der Kunst?

Grundsätzlich glaube ich an Effizienz. Ich glaube, es ist gut, wenn wir effizient sind und uns die Arbeit leichter machen. So bleibt mehr Zeit, uns gegenseitig glücklich zu machen. In der Kunst allerdings hat Effizienzdenken nichts verloren. Die Frage, wie viel Arbeit in einem Kunstwerk steckt, darf nicht ausschlaggebend sein. Ein Künstler braucht Leidenschaft, keine Controlling-Abteilung.

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