Kündigungsschutzklage:Abfindung? Nein danke!

Lieber in Lohn und Brot als arbeitslos: Wann Gekündigte ihren Job retten können.

Rolf Winkel

Neue Arbeitsplätze sind rar, Sozialleistungen werden weiter gekappt und der Weg in die vorzeitige Rente zunehmend verbaut. Immer mehr Entlassene versuchen, in einem Rechtsstreit ihre Weiterbeschäftigung im Unternehmen durchzusetzen. Gute Chancen bestehen, wenn Arbeitgeber bei der Kündigung Fehler machen.

Was kann ein Gekündigter tun, der seinen Arbeitsplatz retten möchte?

Er muss eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen - und zwar spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung. Die Klage muss innerhalb der Drei-Wochen-Frist beim Arbeitsgericht eingehen, ein Schreiben an den Arbeitgeber oder an den Betriebsrat zählt nicht.

Muss bei der Klage deutlich gemacht werden, dass man keine Abfindung akzeptiert?

Nein. Der Erhalt des Arbeitsplatzes ist das eigentliche Ziel des Kündigungsschutzprozesses. Nach dem Kündigungsschutzgesetz kann man nur mit dieser Zielsetzung gegen die Kündigung klagen- und zwar erhebt man Klage auf die Feststellung "dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist". So heißt es in Paragraf 4 des Gesetzes. Das ist in der Praxis etwas in Vergessenheit geraten, weil viele Kündigungsschutzklagen de facto mit der Zahlung einer Abfindung enden.

Warum kommt es denn so häufig zur Zahlung einer Abfindung?

Viele, die am Kündigungsschutzprozess beteiligt sind, haben ein Interesse an einer einvernehmlichen (Abfindungs-)Regelung: Das Arbeitsgericht muss dann kein Urteil sprechen. Anwälte verdienen wesentlich mehr, wenn sich der Arbeitgeber und der Gekündigte auf eine Abfindung einigen. Die Arbeitgeber sind die Gekündigten so endgültig los. Und oft kassieren auch die Entlassenen lieber eine Abfindung als wieder in den Betrieb zurückzumüssen - insbesondere dann, wenn das Verhältnis zum Chef und zu den Vorgesetzten zerrüttet ist.

Vor allem Arbeitnehmer, die schlechte Arbeitsmarktchancen haben, sollten sich allerdings auch von fünfstelligen Abfindungsangeboten nicht blenden lassen. Das Geld ist schneller zerronnen als viele denken. Zudem wird das Arbeitslosengeld (I) ab Februar 2006 allenfalls noch für 18 Monate gezahlt - und das auch nur noch für Arbeitslose ab 55 Jahre. Und das niedrige Arbeitslosengeld II gibt's nur bei Bedürftigkeit.

Wann haben Arbeitnehmer überhaupt Chancen, per Klage ihren Arbeitsplatz zu erhalten?

Immer dann, wenn Arbeitgeber bei Kündigungen Fehler machen. "Und das kommt häufig vor", weiß Michael Felser, Spezialist für Arbeitsrecht aus Brühl bei Köln. Oft werde beispielsweise der Betriebsrat - soweit vorhanden - bei Entlassungen vom Arbeitgeber übergangen oder falsch informiert. Das ist aber nach dem Betriebsverfassungsgesetz unzulässig. Wer gegen die Kündigung klagt und belegen kann, dass der Betriebsrat nicht informiert wurde, wird die Klage immer gewinnen.

Gute Chancen vor Gericht haben Gekündigte auch dann, wenn bei betriebsbedingten Entlassungen die so genannte Sozialauswahl nicht eingehalten wurde. In diesem Fall mischt sich das Arbeitsgericht zwar in der Regel nicht in den Arbeitsplatzabbau selbst ein. Überprüft wird aber, ob die Entlassung "die Richtigen" getroffen hat. Wie leistungsfähig die Betroffenen sind oder wie häufig sie gefehlt haben, darf dabei im Prinzip keine Rolle spielen.

Abfindung? Nein danke!

Welche Kriterien gelten bei der Sozialauswahl?

Entscheidend ist die soziale Stärke der Betroffenen, die nach einem Punktesystem festgelegt wird. Die sozial Schwächsten und diejenigen, die am meisten auf den Arbeitsplatz angewiesen sind, dürfen erst zuletzt entlassen werden. An diese Sozialkriterien halten sich Unternehmen häufig nicht. Wer einen solchen Verstoß feststellt, hat vor Gericht immer gute Karten, wenn er sich gegen seine Kündigung wehrt. Oft werden bei der Sozialauswahl aber auch handwerkliche Fehler gemacht, wie Anwalt Felser weiß: "Die Personalunterlagen, die der Auswahl zugrunde liegen, sind beispielsweise oft unvollständig." So wissen die Personalchefs oft nicht, wer Unterhalt zahlen muss. Denn vielfach kennen die Arbeitgeber nur die wenigen Sozialdaten auf der Lohnsteuerkarte. Oft stehen aber Kinder - etwa die aus erster Ehe - gar nicht auf der Steuerkarte.

Bleibt ein Gekündigter, der klagt, bis zur Gerichtsentscheidung im Betrieb?

Nein, normalerweise nicht. Das Arbeitsrecht ist für Gekündigte weit ungünstiger als beispielsweise das Mietrecht. Wenn Mieter gegen eine Kündigung klagen, können sie zunächst in ihrer Wohnung bleiben - sie dürfen nicht auf die Straße gesetzt werden. Anders bei Arbeitnehmern. Diese verlieren den Arbeitsplatz, sobald ihre Kündigungsfrist abläuft. Das Arbeitsgericht stellt aber oft erst viele Monate später, vielleicht sogar erst nach einem Jahr, fest: Die Kündigung erfolgte zu Unrecht. Eine Rückkehr auf den alten Arbeitsplatz kommt dann nur schwer in Frage, schon allein, weil sich im Betrieb vieles verändert hat. Zudem waren die Entlassenen in der Zwischenzeit vom betrieblichen Alltag und wichtigen Informationen abgeschnitten. So erfahren sie unter Umständen gar nichts von zwischenzeitlichen Neueinstellungen.

Gibt es eine Chance, im Betrieb zu bleiben?

Ja. Das funktioniert aber nur, wenn es im Betrieb einen Betriebsrat gibt und dieser der Kündigung "ordnungsgemäß" widerspricht. In diesem Moment greift nämlich nach Paragraf 102 des Betriebsverfassungsgesetzes der "betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch". Konkret bedeutet das: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer, wenn dieser es verlangt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigen - und zwar bei "unveränderten Arbeitsbedingungen", wie das Gesetz ausdrücklich vorschreibt. Der Arbeitnehmer ist in diesem Fall dem Mieter gleichgestellt, der ja nach der Kündigung auch in seiner Wohnung bleiben darf - jedenfalls bis der Prozess entschieden ist.

Wann ist ein Widerspruch eines Betriebsrats ordnungsgemäß?

Das Betriebsverfassungsgesetz sieht fünf anerkannte Widerspruchsgründe vor. So kann der Betriebsrat beispielsweise widersprechen, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach einer zumutbaren Fortbildungsmaßnahme möglich ist. "Es reicht allerdings nicht, das Gesetz zu zitieren, der Betriebsrat muss in jedem Fall konkret auf den Einzelfall bezogen argumentieren", erläutert Anwalt Felser. Beispiel: In der Werkstatt wird ein Schweißer gesucht, dort könnte aber auch der entlassene Herr B. arbeiten, der bereit ist, einen Schweißerschein zu machen. Oder: Bei der Sozialauswahl hat Frau A. 48 Punkte, Herr M. dagegen 34 Punkte. Beide sind nach Ansicht des Betriebsrats vergleichbar. Der Betriebsrat widerspricht daher der Entlassung von Frau A.

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