Kündigungsklagen:Bienenstich und andere Bagatellen

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Kündigungen sind oft eine Sache des Ermessens - daher werden sie immer wieder angefochten. Auch die Bewertungen des Bundesarbeitsgerichts sind nicht in Stein gemeißelt, wie einige Fälle zeigen.

Ina Reinsch

Das hört sich nach einer beeindruckenden Karriere an: Vor fünf Jahren wurde Heiner Wagner (Name geändert) Regionalleiter bei einem Zeitarbeitsunternehmen. Zuständig war er für mehrere Niederlassungen in Norddeutschland mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Wagner berichtete direkt an die Geschäftsführung, das Ganze zu einem Jahres-Zielgehalt von 210.000 Euro brutto.

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Doch zwei Jahre später ist Wagners Aufstieg schon wieder beendet. Die Firma will sich von ihm trennen. Bei einem leitenden Angestellten eigentlich kein Problem, denn er genießt nur eingeschränkten Kündigungsschutz. Das heißt, der Arbeitgeber stellt einfach einen Auflösungsantrag vor dem Arbeitsgericht, den er noch nicht einmal begründen muss, und die Sache ist mit Zahlung einer Abfindung vom Tisch.

Doch so einfach war es im Fall Wagner nicht. Denn der Regionalleiter ist kein leitender Angestellter, sondern ein ganz normaler Arbeitnehmer, urteilte das Bundesarbeitsgericht im April 2011 (Aktenzeichen: 2 AZR 167/10). Den juristischen Laien mag diese Entscheidung überraschen. Doch die rechtliche Bewertung ist komplexer, als es erscheint. "Die Differenzierung erfolgt nicht nach der Höhe des Gehaltes, sondern nach der Stellung des Mitarbeiters im Betrieb", sagt Christoph Schmitz-Scholemann, Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. "Leitender Angestellter ist nur derjenige, der zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist, also handeln kann wie der Arbeitgeber selbst", so der Richter. Diese Kompetenz dürfe nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern müsse im Arbeitsverhältnis tatsächlich gelebt werden.

Manfred Schmid, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München, weiß, dass leitende Angestellte im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes in der Praxis nur ganz selten zu finden sind: "Gerade in großen Unternehmen herrscht häufig das Vier-Augen-Prinzip. Das heißt, in der Regel sind zwei Unterschriften für eine Einstellung oder Entlassung erforderlich."

Damit Arbeitgeber den Kündigungsschutz für Führungskräfte nicht umgehen, indem sie ihnen gestatten, einige wenige, bedeutungslose Mitarbeiter selbständig einzustellen, hat das BAG die Anforderungen erstmals weiter konkretisiert. "Bei den Arbeitnehmern, die eingestellt werden, muss es sich entweder um sehr bedeutsame Mitarbeiter für das Unternehmen handeln, dann müssen es auch nicht viele sein", erklärt Schmitz-Scholemann, "oder es muss sich um eine große Anzahl von Mitarbeitern handeln, die nicht so bedeutsam sind." Nur wer hierfür Einstellungs- und Entlassungskompetenz hat, ist leitender Angestellter. Der Regionalleiter hatte sie nicht.

Der Fall macht deutlich, in welcher Grauzone sich manche Kündigung bewegt. Wie kann es sein, dass die Entlassung einer Altenpflegerin wegen sechs mitgenommener Maultaschen wirksam ist, die Kassiererin "Emmely" aber trotz Unterschlagung eines Kassenbons im Wert von 1,30 Euro ihren Job behält? Dass ein gegessener Bienenstich zum sofortigen Rauswurf führt, ein verputzter Weihnachtsmann aber nicht?

Im Arbeitsrecht gibt es viele unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensfragen. Die Lebenssachverhalte sind so vielschichtig, dass die Verwendung sogenannter wertausfüllender Begriffe oftmals unvermeidlich ist. "Im Fall der Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen etwa geht es um die Frage, ob eine Kündigung tatsächlich die Ultima Ratio ist", sagt Michael Felser, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Brühl bei Köln.

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Erst wenn ausgeschlossen sei, dass der Mitarbeiter durch ein milderes Mittel wie beispielsweise eine Abmahnung zur Räson gerufen werden kann, sei eine Kündigung wirksam. Zum anderen müsse abgewogen werden, ob das Interesse eines Unternehmens an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem des Beschäftigten am Erhalt des Jobs überwiegt. Hier spielen Fragen wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das bisherige Verhalten eine Rolle.

"All das sind allerdings Wertungsfragen", macht Felser deutlich. "Da Richter auch nur Menschen sind, kann es vorkommen, dass der eine einen Fall so beurteilt, ein anderer ganz anders." Klärung bringt da erst eine Entscheidung durch das BAG. Doch auch die Wertungen des höchsten deutschen Arbeitsgerichts sind nicht in Stein gemeißelt. "Das Recht ist eine bewegliche Sache, die Änderungen unterworfen ist", sagt der Anwalt.

Das scheint auf den ersten Blick auch bei den Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen der Fall zu sein. Die Öffentlichkeit nahm im Fall Emmely jedenfalls wahr, dass die Unterschlagung eines Bons nicht zum Rauswurf führte. Betrachtet man das Urteil genauer, spricht es eine andere Sprache. Felser: "Die Richter haben in der Emmely-Entscheidung durchaus deutlich gemacht, dass Kündigungen wegen Bagatelldiebstählen weiterhin möglich sind. Es kommt aber immer auf eine Bewertung im Einzelfall an."

Der Kündigungsschutz hat jedoch auch Bereiche, die einer Wertung durch die Gerichte gar nicht zugänglich sind. Einen solchen schwarzen Fleck gibt es etwa bei den betriebsbedingten Kündigungen wegen "Hat das Unternehmen entschieden, umzustrukturieren, ist diese Unternehmerentscheidung nicht auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfbar", sagt Schmid. Allerdings wird nicht jeder Grund zur Rationalisierung, den Firmen ins Feld führen, auch als kündigungsrelevant angesehen.

So reicht beispielsweise der pauschale Hinweis auf eine schlechte Auftragslage nicht aus. "Der Arbeitgeber muss darlegen können, dass er eine Entscheidung mit konkreten Auswirkungen auf die Jobs getroffen hat", sagt Schmid. Eigentlich bietet sich für Unternehmen hier jede Möglichkeit, sich von Mitarbeitern zu trennen, ohne dass diese etwas dagegen unternehmen könnten. Dennoch ist längst nicht jede betriebsbedingte Kündigung wirksam. Denn häufig werden etwa bei der Sozialauswahl Fehler gemacht.

In der Grauzone spielt sich auch manche Kündigung wegen der privaten Nutzung des betrieblichen Internetzugangs ab. Das liegt nicht allein an der rechtlichen Bewertung, sondern bereits an der unzureichenden Regelung im Vorfeld. Denn viele Unternehmen schweigen zu der Frage, ob ihre Mitarbeiter den Mail-Account der Firma auch für privaten Nachrichtenverkehr nutzen oder auch privat surfen dürfen oder gestatten eine Nutzung "in angemessenem Umfang". "In diesen Fällen ist eine Kündigung nur dann wirksam, wenn der Mitarbeiter nach objektiven Gesichtspunkten nicht annehmen durfte, dass der Arbeitgeber diesen Umfang der Nutzung hinnehmen wird", so Schmid. "Das wiederum erfordert eine Wertung durch den Richter, die ganz unterschiedlich ausfallen kann."

© SZ vom 05.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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