Kündigung:Handy aufgeladen - wegen "Stromklaus" entlassen

Weil Mohammed Sheikh an seinem Arbeitsplatz sein Handy aufgeladen hatte, hat seine Firma ihn fristlos entlassen. Die Kosten des Stroms: 0,00014 Euro.

Julia Bönisch

Kein Vergehen zu gering, kein Gegenstand zu banal: Wieder sorgt ein Kündigungsprozess für Aufsehen, gegen den der Emmely-Prozess um gestohlene Pfandbons im Wert von 1,30 Euro oder der um ein weggeworfenes Kinderbett geradezu wie Kapitalverbrechen wirken.

Kündigung: Kündigung wegen Stromklaus: Wollte ein Mitarbeiter seiner Firma einen ganzen Euro an Stromkosten "klauen", müsste er jahrelang jeden Arbeitstag sein Handy aufladen.

Kündigung wegen Stromklaus: Wollte ein Mitarbeiter seiner Firma einen ganzen Euro an Stromkosten "klauen", müsste er jahrelang jeden Arbeitstag sein Handy aufladen.

(Foto: Foto: iStock)

Diesmal geht es um umgerechnet 0,014 Cent. Diese stolze Summe, das hat ein Fachingenieur errechnet, verschlingt eine Akku-Ladung für ein leeres Handy an Strom. 0,014 Cent, das sind ganze 0,00014 Euro. Wollte ein Mitarbeiter seiner Firma einen ganzen Euro an Stromkosten "klauen", müsste er jahrelang jeden Arbeitstag sein Handy aufladen.

Unerlaubt Fotos geschossen

Lächerlich - und doch stehen sich wegen dieses "Vergehens" in Oberhausen gerade der aus Pakistan stammende Arbeiter Mohammed Sheikh und sein ehemaliger Arbeitgeber gegenüber: Sheikh hatte sein Handy am Arbeitsplatz aufgeladen. Der Chef der Firma für Industriedichtungen erkannte darin einen Straftatbestand und kündigte dem 51-Jährigen - fristlos und nach mehr als 14 Jahren im Unternehmen.

Zudem, so der zweite Vorwurf des Vorgesetzten, habe Sheikh mit besagtem Handy auch noch die Maschine fotografiert, an der er arbeitet. Auch das sei im Unternehmen verboten. Warum genau, bleibt allerdings unklar. "Dass Herr Sheikh damit Industriespionage hätte betreiben wollen, zu dieser Behauptung hat sich auch die Firma nicht verstiegen", sagt Arbeitsrechtler Hans Henning Klingen, der Mohammed Sheikh vertritt. "Das hätte ohnehin niemand geglaubt, denn da gibt es nichts zu spionieren. Herr Sheikh presst simple Dichtungen."

Mohammed Sheikh selbst sagt, sein fünfjähriger Sohn habe einfach einmal sehen wollen, womit der Papa seinen Tag verbringt. Also habe er seinen Arbeitsplatz geknipst, um die Neugier des Jungen zu befriedigen. Nachdem sein Chef ihn gebeten habe, dies nicht wieder zu tun, habe er sich an die Vorschrift gehalten. Zudem habe man ihm als Strafe eine halbe Stunde Arbeitszeit vom Lohn abgezogen.

Prozesskostenhilfe gewährt

"Schon das war nicht rechtens", sagt Anwalt Klingen. "Doch Herr Sheikh hat die Strafe klaglos akzeptiert, um das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber nicht zu belasten. Offenbar hat ihm das nichts genutzt."

Das Gericht hat Sheikh, der seit der fristlosen Kündigung vom 5. Juni Hartz IV bezieht, Prozesskostenhilfe gewährt. So muss der Pakistaner, der seit mehr als 20 Jahren in Oberhausen lebt und eine fünfköpfige Familie ernährt, zumindest nicht selbst für das Verfahren aufkommen. "Es ist absurd", sagt Arbeitsrechtler Klingen. "Da wird ein Gericht wegen eines Cent-Betrags beschäftigt und ein Vater von drei Kindern muss jetzt überlegen, wie er die Miete zahlt."

Auf der nächsten Seite: Welche Einigung der Richter vorschlug, das Unternehmen jedoch ablehnte und welche Gründe Mohammed Sheikh hinter seiner Entlassung vermutet.

Genervtes Gericht

Auch Radios angeschlossen

Auch das Arbeitsgericht Oberhausen ist ganz offensichtlich genervt, wegen eines Cent-Betrags angerufen zu werden. Beim ersten Gütetermin hatte der Richter eine Einigung vorgeschlagen: Mohammed Sheikh sollte weiterbeschäftigt werden, wenn er sich im Gegenzug dazu verpflichte, künftig am Arbeitsplatz weder zu fotografieren noch sein Handy aufzuladen.

Obwohl im Unternehmen andere Kollegen das eigene Radio oder Kaffeemaschinen über das Stromnetz der Firma laufen lassen und dies bisher niemand beanstandet hatte, wäre Sheikh zu solch einer Verpflichtung bereit gewesen. Doch das Unternehmen lehnte ab - und ist jetzt zu keiner Stellungnahme bereit.

Mohammed Sheikh mutmaßt jedoch, dass bereits ein anderer Arbeiter bereitsteht, der seinen Job für wesentlich weniger Geld erledigen würde. Einen anderen Grund für seine Entlassung kann er sich nicht vorstellen, denn er hat sich nach seinen Angaben in den 14 Jahren seiner Betriebszugehörigkeit nie etwas zuschulden kommen lassen.

Verhandlung im Oktober

Sheikh, Anwalt Klingen und das Oberhausener Industrieunternehmen treffen sich am 29. Oktober wieder vor Gericht. Doch steht zu befürchten, dass bis dahin schon die nächsten absurden Kündigungsprozesse die Gerichte beschäftigen werden: Nach dem Fall Emmely, der sich um zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro drehte, sorgte zuletzt der Streit um Mehmet G. für Schlagzeilen. Der Müllmann hatte ein ausrangiertes Kinderbett aus einem Müllcontainer mitnehmen wollen und war deshalb ebenfalls fristlos entlassen worden.

Das Arbeitsgericht Mannheim erklärte die Kündigung zwar für unwirksam, doch in anderen Fällen gehen die Auseinandersetzungen nicht so positiv für die Beschäftigten aus: Sowohl ein Prozess um zwei Brötchen, die eine Küchenhilfe aus dem Krankenhaus mitgenommen hatte, als auch ein Rechtsstreit um einen Fehlbetrag von 1,36 Euro in einer Supermarktkasse endeten für die betroffenen Mitarbeiterinnen mit der Entlassung.

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