Süddeutsche Zeitung

Kritik an Deutscher Forschungsgemeinschaft:Wut-Wissenschaftler attackieren Bürokratie-Wahnsinn

Ein bürokratisches Monstrum, das unkontrolliert im rechtsfreien Raum agiert und vor allem sich selbst verwaltet: Fünf renommierte Wissenschaftler greifen die Deutsche Forschungsgemeinschaft an. Die soll eigentlich Hochschul-Fördergelder gerecht verteilen - fördert nach Meinung der Kritiker aber vor allem Seilschaften und Kartelle.

Jens Bisky

"Fünf gegen die Deutsche Forschungsgemeinschaft" hätte die Vorstellung heißen können, die am Freitag im Foyer des Berliner Ensembles gegeben wurde. Auf dem Podium saßen der Stroemfeld-Verleger KD Wolff, sein Kollege Georg Siebeck vom Wissenschaftsverlag Mohr Siebeck, der Münchner Jurist Volker Rieble, der Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum sowie der Kafka- und Kleist-Editor Roland Reuß. Sie taten, was Wissenschaftler in diesem Land viel zu selten tun. Sie artikulierten ihre Wut: einseitig, parteilich und in der Hoffnung, damit eine überfällige Debatte auszulösen. Bewusst war niemand von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeladen worden, auch kein anderer, der hätte opponieren können.

Die DFG, die sich als "zentrale Selbstverwaltungsorganisation der deutschen Wissenschaft" versteht, ist ein großer Apparat zur Verteilung von Fördergeldern: jährlich zwischen 2,2 und 2,7 Milliarden Euro, "nach rein wissenschaftsgeleiteten Kriterien im Wettbewerb", so der DFG-Präsident Matthias Kleiner.

Glaubt man den Anwürfen der Fünf, ist sie zu einem bürokratischen Monstrum verkommen, das unkontrolliert, nach Regeln, aber im rechtsfreien Raum agiert, in erster Linie die Interessen der Apparatschiks im Auge hat und die vom Grundgesetz geschützte Autonomie der Forschung gefährdet. Die Forderungen der Wut-Wissenschaftler lassen sich so zusammenfassen: "Türen auf! Fenster auf!" - mehr Transparenz, zurechenbare statt anonymer Entscheidungen, Selbstverwaltung. Manches erinnerte an den Herbst 1989: "Wir sind die Wissenschaft".

Wer im dreihundert Seiten umfassenden Jahresbericht der DFG für 2010 blättert, glaubt rasch, eine Propagandabroschüre nach sowjetischem Vorbild vor sich zu haben. Hohles Pathos, Belehrung und Selbstzufriedenheit dominieren, die Tonnenideologie kommt nicht zu kurz: "Allein die Sitzungen von Präsidium, Senat und Hauptausschuss dauerten zusammen über 60 Stunden, in denen übrigens ungefähr 2000 Liter Wasser konsumiert wurden. Es waren ja auch über alle Programme hinweg mehr als 17.000 Anträge im Jahr 2010, die insgesamt um die 12.400 Gutachterinnen und Gutachter gelesen und bewertet haben - davon zirka 2700 Gutachtende aus dem Ausland." Das geht so weiter.

Wer gewohnt ist, Wissenschaft als Beschäftigung mit ungelösten Problemen zu verstehen, der muss über solchen Texten einschlafen oder rappelig werden. In der "scientific community" jedoch herrschen, so Roland Reuß, Anpassung, melancholische Gleichgültigkeit oder einverstandener Zynismus.

Als die DFG 1951 gegründet wurde, gab man ihr, um politische Einflussnahme zu verhindern, die Form eines privatrechtlichen Vereins. Sie ist also verfasst wie der ADAC oder ein Kleingärtnerverein. Mitglieder sind allerdings nicht einzelne Wissenschaftler, sondern Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen. Dieser Verein evaluiert gern und mit Ingrimm, aber nie sich selbst. Er wird vom Bundesrechnungshof kontrolliert, aber die Ergebnisse sind nicht öffentlich. Die Gutachter arbeiten anonym. Die Struktur fördere, hieß es, Seilschaften und Kartelle.

Digital ferngesteuerte Universitäten

Im Berliner Ensemble stieß auch der von der DFG massiv geförderte Wandel zur "E-Science" auf Kritik. Er gehe, so Uwe Jochum, zu Lasten der Bibliotheksetats, da die Universitäten Open-access-Publikationen mit 25 Prozent fördern müssen, wenn sie DFG-Gelder erhalten wollen. Man greife in die Etat-Hoheit der Universitäten ein, sie würden digital ferngesteuert.

Nun ist es etwas albern, sich gegen die digitale Revolution zu stellen. Wenn die DFG dafür sorgt, dass Digitalisierung und Internet-Publikationen mit mehr bibliothekarischem Sachverstand erstellt werden, als dies die Analphabeten von Google tun, kann sich der Leser nur freuen.

Allerdings zeigt das Beispiel schlagend, dass die Macht der DFG wesentlich auf der Schwäche der tradierten Institutionen beruht. Niemand muss sich von der DFG fördern lassen - aber wer kann sich das leisten? Da die Universitäten skandalös unterfinanziert sind, sind Wissenschaftler in rasant wachsendem Maße auf Drittmittel angewiesen. Deshalb ist die Exzellenzinitiative so erfolgreich, deshalb fördert der Bund immer stärker, obwohl laut Grundgesetz die Wissenschaft Ländersache sein soll.

Unter den Drittmittelanbietern aber gibt es keinen Wettbewerb. Die DFG besitzt hier fast eine Monopolstellung. Wer das ändern will, muss die Universitäten stärken und an ihnen die einzelnen Wissenschaftler. Die Entwicklungen verlaufen jedoch überall in umgekehrter Richtung.

Zeitfressender Wahnwitz

Es waren nur wenige ins Berliner Ensemble gekommen. Unbegreiflicherweise fehlten Naturwissenschaftler auf dem Podium. So dürfte der Appell der Fünf rasch verhallen. In den vergangenen zehn Jahren haben die Hochschullehrer und Universitätsverwaltungen sehr brav und oft wider die eigene Einsicht alle Reformmaßnahmen hingenommen und umgesetzt: die Verschulung der Studiengänge, den zeitfressenden Wahnwitz der Exzellenzinitiative, die Absenkung der Gehälter. Der Protest im Namen der Wissenschaftsfreiheit des Einzelnen klingt da wie ein Ruf aus ferner Vergangenheit, als man sich um die eigenen Angelegenheiten noch kümmerte.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2011/holz
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