Kritik an der Schulpflicht:Mehr Freiräume für Kinder und Pädagogen?

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In Deutschland muss der Nachwuchs im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern in die Schule gehen. Freie Schulen können eine Option sein, wenn man mit der gängigen Pädagogik unzufrieden ist.

In Deutschland ist es obligatorisch, dass Kinder in die Schule gehen. Hausunterricht ist hierzulande verboten. Artikel sieben, Absatz eins des Grundgesetzes legt die Schulbesuchspflicht fest. Eltern, die entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, handeln demnach gesetzeswidrig. Trotzdem gibt es sogenannte Freilerner in Deutschland; in verschiedenen Medienberichten ist von circa 1000 Freilernern die Rede, hieb- und stichfeste Zahlen gibt es allerdings nicht.

Warum wollen Eltern ihre Kinder nicht in die "Penne" schicken? Gründe sind Unterrichtsdruck, Ablehnung der Lehrpläne oder fehlende Freiräume. Trotz teils gerechtfertigter Beschwerden über große Klassen oder wenig Lehrpersonal sieht Ilka Hoffmann von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mit Sitz in Frankfurt am Main den Heimunterricht kritisch. "Besonders problematisch ist der fehlende Klassenverband für die Kinder", sagt sie. Die Schule sei für Kinder ein "sozialer Erfahrungsort", betont Hoffmann. Hier werde gestritten, aber auch gemeinsam gelacht. "Die Kinder lernen mit Konflikten umzugehen, Kompromisse einzugehen und tolerant zu sein."

Eltern, die sich nicht mit der gängigen pädagogischen Praxis anfreunden können, haben andere Möglichkeiten - etwa Privatschulen unter kirchlicher Trägerschaft oder freie Schulen. "Wir haben ein positives Bild von Schule als Sozialisationsort", sagt Tilmann Kern, Geschäftsführer des Bundesverbands der Freien Alternativschulen (BFAS) in Berlin. Die Schulpflicht habe historisch gesehen positive Entwicklungen ermöglicht. Ob sie heute noch in ihrer strikten Ausprägung nötig sei, werde im Verband wiederholt heiß diskutiert. Die knapp 100 freien Schulen im Verband haben laut Kern alle eine individuelle Ausprägung mit alternativen pädagogischen Zielen. Eine Schulpflicht wie in Deutschland haben die meisten anderen europäischen Länder nicht. Dort gibt es eine Bildungs- oder Unterrichtspflicht, ohne dass der Lernort festgelegt ist. Für Rechtsanwalt Andreas Vogt stellt sich die Frage: Hat der Staat überhaupt einen originären Erziehungsauftrag? "Wenn Eltern das Kindeswohl gefährden, dann muss der Staat eingreifen. Die Nichterfüllung der Pflicht zum Besuch einer Schule bedeutet aber nicht zwingend eine Kindeswohlgefährdung", sagt der Anwalt aus dem hessischen Eschwege. Die Absolutheit der Schulpflicht sieht er daher kritisch. Nach seiner Ansicht ist die von Gerichten "hartnäckig verteidigte Gleichung ,Nichtschulbesuch ist gleich Kindeswohlgefährdung'" falsch. Diese Formel sei auch auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. November 2016 (9 UF 551/16) zu beziehen. "Wenn im Falle von Homeschoolern nachgewiesen wird, dass die Eltern unumstritten gute Arbeit leisten und ihrem Kind durch Heimunterricht Bildung ermöglichen, will man dies in Deutschland nicht sehen", befindet Vogt, der Freilerner-Familien vertritt.

© SZ vom 26.01.2017 / KNA - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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